Duisburg/Oberhausen. Noch bis März 2024 gibt es am Landgericht Duisburg Termine im Prozess gegen Mitglieder der Hells Angels. Das Opfer ist seit fast zehn Jahren tot.
Es ist ein Jubiläum, aber es gibt keinen Grund zu feiern: 75 Verhandlungstermine hat die Fünfte Große Strafkammer am Landgericht Duisburg, die als Schwurgericht tagt, absolviert. Es geht um den Mord an Rocker Kai M., der mit 32 Jahren starb und der von seinen Club-Kameraden der Hells Angels getötet und anschließend zerteilt worden sein soll. Seit anderthalb Jahren tagt die Kammer. Ein Ende des Prozesses ist weiter nicht in Sicht. Derzeit werden Beweisanträge der Verteidigung abgearbeitet. Bis Anfang Februar sind Zeugen geladen. Verhandlungstermine gibt es aktuell noch bis in den März hinein.
Tag 75, es ist der Mittwoch vor Weihnachten, es ist der letzte Verhandlungstag in diesem Jahr: Im Zeugenstand nimmt eine Oberstaatsanwältin aus Mönchengladbach Platz, in deren Federführung der Fall seit dem Jahreswechsel 2020/21 für rund ein halbes Jahr lag, ehe das ganze Verfahren von ihren Kollegen in Duisburg übernommen worden war. Es beginnt ein Frage- und Antwort-Spiel zwischen der Zeugin und den Verteidigern, wie es schon oft bei anderen Vernehmungen zu beobachten war. Zäh, mit Wiederholungen und vielen Gedankenpausen. „Ich kann nur mutmaßen.“ „Ich kann mich nicht erinnern.“ „Das mag sein.“ „Da bin ich mir nicht mehr sicher.“ Oft sagt die Oberstaatsanwältin diese Sätze.
Anklage basiert auf den Angaben eines Kronzeugen
Die Anklage basiert auf den Angaben eines Kronzeugen. Dessen Glaubwürdigkeit versuchen die Verteidiger seit Beginn des Prozesses in Zweifel zu ziehen. Ja, der damals inhaftierte Kronzeuge habe im Gegenzug für seine Aussage mehrfach um Hafterleichterungen gebeten, sagt die Oberstaatsanwältin. Nein, diese seien ihm nicht gewährt und abgelehnt worden. Den Kronzeugen hat sie nie persönlich getroffen oder gar vernommen. Viel von dem wenigen, was sie konkret sagt, stammt aus Erzählungen von Polizisten, die in dem Komplex ermittelten. „Mittelbar“ habe sie Sachen erfahren, sagt sie auch häufiger.
Es war mal ein äußerst komplexes Verfahren. Nachdem 900 Polizisten im September 2020 bei einer Razzia gegen Mitglieder der Hells Angels vorgegangen waren, gab es Anklagen gegen sechs Männer. Es ging um zwei Taten: den Mord an Kumpan Kai M. im Januar 2014 und die Schüsse auf einen führenden Bandido und dessen Freundin im November davor. Inzwischen gab es vier Freisprüche. Die Attacke auf den verfeindeten Bandido ist in der Verhandlung längst abgetrennt und im Prinzip ist die Akte erstmal geschlossen.
Rocker-Boss der Hells Angels ist in den Iran abgetaucht
Der größte Schönheitsfehler des Prozesses ist, dass der mutmaßliche Rädelsführer beider Taten gar nicht auf der Anklagebank sitzt. Ramin Yektaparast, einst Vize der Hells Angels in Oberhausen und später Chef des Charters in Mönchengladbach, hat sich in den Iran abgesetzt. Er soll Kai M., den die Rocker für einen Verräter gehalten hatten, mit einer Maschinenpistole erschossen und die Attacke auf den Bandido angeführt haben. Yektaparast wird auch verdächtigt, aus dem „Exil“ heraus einen Mann zu einem Anschlag auf die Synagoge in Bochum angestiftet zu haben. Der wurde dafür in dieser Woche zu einer Haftstrafe verurteilt. Hat Yektaparast dabei im Auftrag staatlicher Stellen gearbeitet? Die Frage ist offen, sorgte aber zuletzt sogar für diplomatische Verstimmungen zwischen dem Iran und Deutschland.
Gut vernetzt könnte Yektaparast auch in Deutschland gewesen sein. Der Rocker-Boss soll einen engen Verwandten gehabt haben, der bei der Polizei in Mönchengladbach gearbeitet hat. Außerdem soll er eine Beziehung zu einer Justizangestellten gehabt haben, die ihn mit Informationen versorgt haben soll. Über zwei Jahre soll das gegangen sein. Von wann bis wann, verrät die zuständige Duisburger Staatsanwaltschaft nicht. Die Ermittlungen gegen die Frau dauerten an, heißt es. Zahlreiche Asservate seien sicher gestellt worden, die weiter ausgewertet werden. Bislang gebe es aber keine Erkenntnisse, dass sie ihm bei der Flucht geholfen haben könnte.
Leichenteile in Rhein und Rhein-Herne-Kanal versenkt
Am Landgericht Duisburg hat sich in anderthalb Jahren das Bild geändert. Es gibt keine Mannschaftswagen der Polizei mehr, die noch wie bei den ersten Prozesstagen aus Sicherheitsgründen auf dem König-Heinrich-Platz Stellung beziehen. Oder gar Elite-Polizisten im Gerichtssaal, die den Kronzeugen mit schweren Waffen sichern. Es gab vier Freisprüche. Es gibt nur noch zwei Angeklagte: Den Mann, der als rechte Hand von Yektaparast galt und der dem die Waffe für die tödlichen Schüsse gereicht haben soll. Und den, der die Leiche des Getöteten zerteilt haben soll. Der Torso wurde später im Rhein und im Rhein-Herne-Kanal versenkt.
Der „Zerteiler“ kommt auf freiem Fuß ins Gericht und scherzt vor Verhandlungsbeginn mit seinem Anwalt. Der letzte Angeklagte in U-Haft wird ohne Handschellen in Saal 157 gebracht, umarmt seine Verteidigerin. Das Sicherheitsglas vor der Anklagebank ist auch weg. Zwei Justizwachtmeister sitzen noch im Saal, zwei ältere Polizisten setzen sich an den Rand und vertreiben sich die Zeit. Es sind keine zehn Zuschauer mehr, ein paar Angehörige des Getöteten und auch ehemalige Angeklagte.
Der Prozess geht jetzt in die Winterpause. Im neuen Jahr sollen weitere Staatsanwälte und Polizisten aussagen. Die Mutter von Kai M. verfolgt den Prozess weiter als Nebenklägerin. Die Verhandlung wird am 10. Januar fortgesetzt. Auf dieses Datum fällt auch der 10. Todestag des Opfers.