Duisburg/Oberhausen. Die Kronzeugen-Vernehmung ist lange beendet. Doch steht er weiter im Mittelpunkt. Wie glaubwürdig ist Ramadan I.? Es läuft Tag 57 im Mordprozess.
Der Tag in Saal 157 plätschert zum Beginn oft träge vor sich hin. Wenn die Verteidiger wieder lange nach der nächsten Frage suchen, herrscht lange Stille vor der Fünften Großen Strafkammer. Und dann wird es auf einmal doch wieder emotional: Als die Staatsanwältin einen langen Frage-Vortrag eines Anwalts unterbricht, blafft der los: „Sie halten jetzt mal die Schnüss!“ Raunen in den Zuschauerreihen. „Na, na, das war unverschämt“, entfährt es dem Vorsitzenden Richter Mario Plein. Nach einer Pause ermahnt er alle Prozessbeteiligten zur Besonnenheit. „Sie haben die Grenzen überschritten“, maßregelt Plein den Anwalt. Die Verteidiger ficht das nicht an - sie diskutieren erstmal weiter.
Seit elf Monaten schon verhandelt das Duisburger Landgericht gegen mehrere Mitglieder der Hells Angels den Fall um den Mord an Kai. M. und einer weiteren schweren Gewalttat im Rocker-Milieu. Zehn Verhandlungstage sind im vergangenen knappen Jahr wegen Erkrankungen von Prozessbeteiligten schon ausgefallen. Es ist ein Mammut-Prozess - auch wegen der Vielzahl der Beteiligten und der Komplexität der Taten. Am Mittwoch, dem mittlerweile 57. Verhandlungstag, setzt die Verteidigung die Befragung des Polizisten vor, der die Ermittlungen der Mordkommission (MK) im Präsidium Duisburg geleitet und der die meisten Vernehmungen des Kronzeugen Ramadan I. der Staatsanwaltschaft absolviert hat.
Wo sind Widersprüche in der Aussage des Kronzeugen?
Wieder versucht die Verteidigung von Francesco G., der die rechte Hand des Schützen Ramin Y. gewesen sein und diesem die Waffe für den Mord gereicht haben soll, die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen in Zweifel zu ziehen. Was weiß der wirklich über die Tat? Wo sind Widersprüche in seiner Aussage? Als G. nach dem Mord zu I. kam, habe der von 16 Schüssen berichtet, mit denen Kai M. getötet worden sein soll. Das Opfer habe sich viermal wieder aufgerichtet und sei viermal wieder hingefallen. So erzählte es der Kronzeuge später der Polizei, die allerdings nur einen Schuss beim verstümmelten Opfer gerichtsfest sicherstellen konnte. Den Widerspruch habe I. aber nicht erkennen können, so der Ermittler. Bei der Tat selbst sei er nicht dabei gewesen, überprüfen können habe er die Informationen nicht. Als er den Toten erstmals gesehen habe, hätten die Täter den Oberkörper - warum auch immer - schon teilweise mit Beton übergossen gehabt.
Es war aber wohl nicht nur Hörensagen, sondern auch selbst Erlebtes, was der Kronzeuge den Ermittlern erzählte. Explizit geht es am Mittwoch mehrfach auch um ein bestimmtes Körperteil, dass dem Getöteten postum abgetrennt worden sein soll. Da sei der Kronzeuge dabei gewesen - und hätte sich dadurch auch selbst belastet, so der Leiter der Mordkommission. Diese Information habe sich im Zuge der Ermittlungen bestätigt.
Rotlicht-Größe soll 100.000 Euro Belohnung versprochen haben
Wie schon öfter geht es an diesem Tag um kleinste Details: Die Verteidiger wollen vom Zeugen wissen, welche Farbe die Plane des Anhängers hatte, mit der der Tote vom Tatort in Mönchengladbach nach Duisburg transportiert worden sein soll. Oder: Warum konnte die Polizei im BMW X6 von Ramin Y. keine Blutspuren sicher stellen, obwohl der mutmaßliche Schütze und G. nach der Tat laut dessen Aussage „blutüberströmt“ bei dem Kronzeugen aufgeschlagen waren? Kommt er nicht auch als Täter in Frage, wenn er bei der Zerteilung des Leichnams anwesend war? „Ausgeschlossen“, sagt der erfahrene Ermittler.
Es gibt noch eine kuriose Geschichte, die zur Sprache kommt: Nach einer Attacke auf das Haus eines der ehemaligen Angeklagten in Mülheim hört die Polizei Telefone in der Szene ab. Dabei fischen sie ein Gespräch ab, in dem eine Düsseldorfer Rotlicht-Größe, die im Clinch mit den Hells Angels liegt, dem Kronzeugen ein Angebot macht: 100.000 Euro Belohnung, wenn seine Aussage im aktuellen Fall zu Verurteilungen führen wird. Zu dem Zeitpunkt hatte sich der Kronzeuge aber schon von sich aus an die Polizei gewandt. Dass von der ausgelobten Belohnung jemals etwas ausgezahlt werden könnte, gilt in Ermittlerkreisen als äußerst unwahrscheinlich. Die Rotlicht-Größe war im Prozess bereits als Zeuge geladen. Der Mann verweigerte allerdings die Aussage.
Nur noch zwei von ehemals sechs Angeklagten
Die Vernehmung des MK-Leiters soll am Freitag fortgesetzt werden. Ein Ende des Prozesses ist nicht in Sicht. Bis in den September gibt es noch Termine. In Raum 157 haben sich die Reihen gelichtet. Vier der ursprünglich sechs Angeklagten hat das Landgericht bereits vor längerer Zeit freigesprochen, teils sitzen sie jetzt im Zuschauerraum. Auch dort sind nun wesentlich mehr Plätze frei als an den ersten Prozesstagen, wo Besucher sogar draußen bleiben mussten. Zwei Polizisten zur Sicherheit sind es noch im Saal, von denen einer mangels Beschäftigung auch einen Blick in die Tageszeitung werfen kann, deutlich weniger Wachtmeister als an vorherigen Tagen. Die Mannschaftswagen der Polizei, die im vergangenen Jahr zuhauf vor dem Gerichtsgebäude auf dem König-Heinrich-Platz in Formation standen, sind nicht mehr zu sehen.
Hinter ihren Verteidigern nehmen noch zwei Angeklagte Platz, die mutmaßliche rechte Hand des früheren Hells-Angels-Bosses Y. und Navaratnam J., der die Leiche von Kai M. zerteilt haben soll. Geblieben ist auch der große Wermutstropfen aus Sicht der Ermittlungsbehörden und der Opfer und Hinterbliebenen: Der mutmaßliche Todesschütze und der Mann, der in der mitangeklagten zweiten Tat die Schüsse auf ein führendes Mitglied der mit den Hells Angels verfeindeten Bandidos und seine Freundin in Oberhausen abgegeben haben soll, sind weiter flüchtig. Sie werden im Ausland vermutet.
Vor Beginn der Verhandlung zeigt sich auch am Mittwoch im Landgericht ein bekanntes Bild. Ehemalige und aktuelle Angeklagte feixen mit ihren Verteidigern. J. lacht und wirft ein Kusshändchen ins Publikum. Die Nebenklägerin, die Mutter von Kai M., verfolgt das gewohnt stoisch wie an dutzenden Prozesstagen zuvor. Aber es ist ihr anzumerken, was sie davon hält. Der Mord an ihrem Sohn ist jetzt fast neuneinhalb Jahre her.