Duisburg. Das Ballett „Giselle“ wird in Duisburg aus queerer Perspektive erzählt. Das schützt die Protagonistin aber nicht vor unemanzipiertem Verhalten.
Diese „Giselle“ beginnt mit dem Schlussapplaus, denn Demis Volpi lässt seine Choreographie des Klassikers von 1841 als lesbische Liebesgeschichte hinter den Kulissen eines Theaters beginnen. In Düsseldorf hatte die Produktion schon im Juni Premiere, jetzt erlebt sie im Duisburger Theater ihre Übernahme.
Das Ballett, das auf einem Text von Heinrich Heine beruht, erzählt eigentlich die unglückliche Geschichte des tanzbegeisterten Dorfmädchens Giselle, das sich in den Herzog Albrecht verliebt. Nachdem der sie wegen seiner Verlobten Bathilde sitzen lässt, tanzt sie sich zu Tode und erscheint ihm im 2. Akt als Geist. Für den Chefchoreographen des Balletts am Rhein Volpi ist dieses Frauenbild nicht mehr zeitgemäß, und so erzählt er eine lesbische Liebesgeschichte aus der Sicht der Bathilde, die von der Nebenfigur zur Hauptrolle wird.
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Entsetzte Reaktionen in Düsseldorf – Duisburger Publikum gelassen
Bathilde und ihr Verlobter Albrecht besuchen eine Ballettaufführung, bejubeln die Tänzer und schnuppern dann ein wenig Bühnenluft. Bühnenbildnerin Heike Scheele hat dafür klassische „Giselle“-Elemente wie Fachwerkhäuser und malerische Waldprospekte entworfen, die aber stets als Bühnenbild erkennbar bleiben.
Als sich Bathilde und Giselle begegnen, ist es um die beiden Frauen geschehen: Volpi lässt das ganze Ensemble für einen Augenblick erstarren, um zu zeigen, dass für die verliebten Frauen die Zeit stehen bleibt. Doris Becker tanzt die Bathilde elegant und schüchtern, während Futaba Ishizaki die bodenständige Ballerina gibt, welche die neue Freundin in die Welt des Tanzes einführt. Kostümbildnerin Katharina Schlipf hat den Stoff für Bathildes Kostüm so gewählt, dass der Zuschauer schnell sieht, wie schweißtreibend der Tanz für sie ist.
Demis Volpis Choreographie ist gefällig und schön anzusehen. Wenn die Musik schließlich schweigt und sich das Paar zum ersten Mal küsst, gehen keine entsetzten Reaktionen durch das Publikum, wie dies bei der Düsseldorfer Premiere der Fall war. Man fragt sich dann aber doch, warum Bathilde am Ende des Aktes zum kauzig-buckelnden Albrecht von Daniele Bonelli zurückkehrt? Solch ein unemanzipiertes Verhalten ist genauso wenig zeitgemäß wie die Originalversion von 1841.
Schweriner Dirigent am Pult der Duisburger Philharmoniker
Auch die beschwingte Musik von Adolphe Adam ist schon 182 Jahre alt und müsste für Volpi deshalb veraltet sein. Am Pult der Duisburger Philharmoniker leitet der Schweriner Generalmusikdirektor Mark Rohde eine luftig-leichte Aufführung der romantischen Partitur. Die rhythmischen Akzente kommen dabei stets leichtfüßig daher und geraten nie aufdringlich.
Der zweite Akt, den Volpi aus der Perspektive der gealterten Barthilde zeigt, gerät musikalisch noch lyrisch-zarter und weicher im Klangbild. Mit seinem Wechsel zwischen dem Rückblick auf das brave Familienleben mit Albrecht und der Fantasie eines Liebesglücks mit Giselle, bringt Volpi nur Themen auf die Bühne, die er auch schon im ersten Akt behandelt hat. Immerhin gibt es für Doris Becker und Futaba Ishizaki ein weiteres schönes Pas de deux.
Man darf gespannt sein, ob Demis Volpi diese „Giselle“ auch in Hamburg zeigen wird, wenn er ab Herbst 2025 Nachfolger des legendären John Neumeier wird. Gegen dessen „Giselle“- Choreographie aus dem Jahr 2000 dürfte es Volpi schwer haben.
>> BALLETT „GISELLE“ IST NOCH VIER MAL IN DUISBURG ZU SEHEN
„Giselle“ ist in der Choreographie von Ballettchef Demis Volpi noch am 7. und 16. September sowie am 19. und 20. Oktober im Theater Duisburg zu sehen.
Dann sollen auch Elisabeth Vincetti und Charlotte Kragh das Liebespaar Giselle und Barthilde tanzen, was bei der Duisburger Premiere wegen einer Erkrankung nicht möglich war.