Duisburg. Siegeslauf oder rechter Aufmarsch? So bewerten Duisburger mit türkischen Wurzeln die Feiern auf den Straßen in Hamborn nach der Türkei-Stichwahl.
Duisburg-Hamborn war nach der Stichwahl in der Türkei in ein Meer aus roten Flaggen getaucht, nationalistische Symbole und Lieder waren allgegenwärtig. Erkan Üstünay, der Vorsitzende des Integrationsrates, bezeichnet den „Siegeslauf“ lediglich als kurzfristiges Phänomen. Der Duisburger Pädagoge und Buchautor Burak Yilmaz wertet die Feiern indes als „rechte Aufmärsche“ und „dickes Problem“.
„Man zeigt nicht aus einer Laune heraus den Wolfsgruß“, meint Yilmaz, der sich an Duisburger Schulen gegen Antisemitismus unter Migranten engagiert. „Man muss sich dafür in seinem Umfeld sehr sicher fühlen und das zeigt, dass wir ein dickes Problem haben.“
Siegeszug in Duisburg-Hamborn: Massive Überhöhung der Nationalität
Auf dem Hamborner Altmarkt seien völkische Lieder mit rechtsextremen Inhalten laut gespielt worden, „inhaltlich vergleichbar ist das mit Liedern von Landser“, erklärt Yilmaz (Landser war eine neonazistische Band, d. Red.). Eine so massive Überhöhung der eigenen Nationalität müsste eine „massive politische Reaktion erzeugen“, findet er.
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Ihn ärgert, dass keine der Duisburger Parteien die Siegeszüge zum Thema gemacht hat: „Ich deute das als stillschweigende Akzeptanz.“ Probleme würden nicht als solche erkannt. Insbesondere CDU und SPD hätten in der Vergangenheit „problematische Organisationen und Vereine besucht, um damit Wählerstimmen zu generieren“.
Burak Yilmaz: Millî Görüş verbreitet in Duisburg seine Ideologie
Für Yilmaz ist vor allem das Erstarken von Millî Görüş (IGMG) bedenklich. Die Gemeinschaft gilt als islamistisch, antisemitisch; ein kleiner extremistischer Teil wird zudem vom Verfassungsschutz beobachtet.
Der Verein sei inzwischen in allen Duisburger Stadtteilen mit Zuwanderung vertreten, sagt Yilmaz. Er biete Elternberatung, Nachhilfe, ein aktives Vereinsleben und religiösen Zusammenhalt in Moscheen an, produziere Zeitungen, die in Bäckereien ausliegen, und verbreite so seine Ideologie. In Meiderich wurde erst kürzlich eine neue Moschee an der Winterstraße eröffnet.
Der große Zulauf am Wochenende werde nationalistische Vereine weiter bestärken, ist sich der Pädagoge sicher. Sie würden schon jetzt intensiv Jugendarbeit betreiben, machen etwa auf TikTok in deutscher und türkischer Sprache zielgruppengerechte Angebote. Auch hier würden Feindbilder verstärkt.
Duisburg sei schon länger „die Hochburg der türkischen Nationalisten“. Das hätte spätestens bei dem Auftritt des Millî Görüş-Gründers Necmettin Erbakan in der ausverkauften Mercatorhalle vor zwölf Jahren klar sein müssen. Seither habe der Verein einen Freifahrtschein, sei mindestens so mitgliederstark wie der an den türkischen Staat angebundene Verband Ditib, der in Duisburg zum Beispiel die Merkez-Moschee betreibt.
Verhalten der Erdoğan-Anhänger befeuere deutschen Rechtsextremismus
Es gebe aber nur wenige, die sich trauen, dagegen etwas zu sagen. „Aleviten, linke Türken – sie haben Angst, weil sie sich auf die Mehrheitsgesellschaft nicht mehr verlassen können“, glaubt Burak Yilmaz. Kritiker würden seit Jahren ignoriert.
Was sagt er zu den Stimmen in Deutschland, die angesichts der hohen Zustimmungswerte für Erdoğan eine Abschiebung der türkischen Rechten fordern, damit diese unter dem Regime leben sollen, das sie selbst möglich gemacht haben? „Wir schieben ja auch keine deutschen Rechten ab, das Wahlverhalten ist keine Legitimation für Rassismus!“, sagt Yilmaz. Problematisch sei, dass das aufsehenerregende Verhalten der Türken auf der anderen Seite den deutschen Rechtsextremismus ankurbele.
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Integrationsratsvorsitzender: Jugendliche wissen nicht, was der Wolfsgruß bedeutet
Erkan Üstünay, der Vorsitzende des Integrationsrates in Duisburg, kommentiert die Menschenaufläufe auf Nachfrage nur sparsam. Vielleicht, weil in diesem Integrationsrat ebenfalls rechte und nationalistisch geprägte Gruppierungen vertreten sind. Rund um die Wahl hatte es vor zwei Jahren mehrere Skandale und Polizeirazzien gegeben.
Er selbst sei deutscher Staatsbürger und habe nicht gewählt, sagt Üstünay. Für türkische Staatsbürger sei es ihr gutes Recht, wählen zu gehen und sich danach auch zu freuen. Am Wochenende sei es Gott sei Dank friedlich geblieben, es habe keine Ausschreitungen gegeben.
Wie erklärt er sich, dass so oft der Wolfsgruß gezeigt wurde? „Das muss ja jeder selbst wissen“, findet Üstünay. Er glaubt, dass viele Jugendliche die Bedeutung nicht kennen. „Sie glauben, sie seien damit Türken, sie sind nicht aufgeklärt.“
Wenn man den Gruß als rechtsextrem interpretiere, sei das natürlich „nicht schön“. Zum Siegeslauf seien aber auch viele aus Städten außerhalb von Duisburg gekommen.
Die Demokratie mehr achten
Üstünay glaubt, dass die Stichwahl in der Türkei hierzulande das nationalistische Lager angeheizt habe. „Das ist nicht das alltägliche Bild und ich hoffe, dass sich eine nationalistische Haltung in Duisburg nicht breit macht.“
Der Integrationsrat könne durch seine Mitglieder sensibilisieren, dass die Demokratie geachtet wird. „Wir müssen insgesamt als Gesellschaft darauf gucken, dass wir nicht nach rechts abrutschen.“