Düsseldorf. Sein Wechsel von der SPD zur Wagenknecht-Partei kam überraschend. Düsseldorfs Ex-OB Thomas Geisel redet Klartext und nimmt Stellung zur Ukraine.

Thomas Geisel hat gleich zu Beginn des Jahres 2024 für einen Paukenschlag gesorgt. Während einer Pressekonferenz für das „Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) verkündete er am 8. Januar, dass er in die neu gegründete Partei eingetreten ist. Einen Tag zuvor war der frühere Düsseldorfer Oberbürgermeister offiziell aus der SPD ausgetreten. Das nennt man einen nahtlosen Übergang. „Und ich bin überrascht, dass der große Shitstorm ausgeblieben ist“, sagt Geisel gut eine Woche später im Gespräch mit der NRZ. „Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass mir nun einige Leute die Freundschaft kündigen werden. Aber es kam anders. Viele haben mir Glück gewünscht.“

Geisel spricht von „Selbstverzwergung“ der SPD

Thomas Geisel wird nun gemeinsam mit dem Hamburger Ex-Linkenpolitiker Fabio de Masi die BSW-Liste für die Europawahl am 9. Juni 2024 anführen. Ehemalige SPD-Genossinnen und -Genossen zeigten sich zumindest irritiert, nachdem sie von diesem Schritt ihres früheren OBs hörten. Von einer „erstaunlichen Kehrtwendung“ etwa sprach die Düsseldorfer SPD-Vorsitzende Zanda Martens. Geisel sieht das anders. Der 60-Jährige fühlt sich bei den Sozialdemokraten nicht mehr gut aufgehoben. Er spricht von einer „Selbstverzwergung in den letzten 40 Jahren“. Und übt Kritik an der Ampelregierung: Für eine Steuerpolitik, die gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, Leistung honoriert und soziale Durchlässigkeit fördert, fehle aktuell der Mut. Aber: „Ich werde immer meinen sozialdemokratischen Grundsätzen treu bleiben. Das kann ich in der neuen Partei, sonst hätte ich mich dieser nicht angeschlossen.“

Ukraine-Krieg ein „erheblicher Völkerrechtsbruch“

Wo liegt BSW nun? Links? Rechts? Irgendwo dazwischen? Dazu befragt meint Geisel: „Diese politische Gesäßgeografie halte ich ehrlich gesagt für überholt. Ich würde lieber mit den Aspekten Vernunft und Gerechtigkeit argumentieren.“ Voraussetzung für einen funktionierenden Sozialstaat sei der soziale Zusammenhalt, ergänzt der Politiker. Wenn „links“ bedeute, „dass man auf Chancengerechtigkeit, auf ein leistungsfähiges öffentliches Bildungswesen und auf gut ausgebaute staatliche Infrastruktur setzt, dann ist das eine linke Partei“. Und: Es sei kein rechtes Statement, wenn man die Einwanderungspolitik der vergangenen Jahre kritisiere. „Nach unten entwickeln sich Parallelgesellschaften, namentlich in migrantischen Milieus, die durch unkontrollierte Zuwanderung wachsen und die immer schwieriger zu integrieren sind“, sagte Geisel bereits während der Pressekonferenz in Berlin. Was ihm fehlt: Man solle Entwicklungen und politische Entscheidungen wieder vom Ende her denken, „das passiert etwa im Ukraine-Konflikt derzeit aber nicht“.

Apropos Ukraine: Dass Geisel - ebenso wie Wagenknecht - eine russlandfreundliche Haltung einnehmen würde, hält der frühere Düsseldorfer Rathauschef für ein „Narrativ ohne Grundlage“. Der Überfall Russlands auf die Ukraine sei zweifellos ein „eklatanter Völkerrechtsbruch“. Die Frage sei aber doch, was am Ende des Konflikts stehen wird. „Immer mehr Waffen in die Ukraine liefern zu wollen, ist vielleicht ein nachvollziehbarer moralischer Impuls“, sagt Geisel im Gespräch mit der NRZ. „Es führt aber zu immer mehr Opfern und immer mehr Zerstörung. Es ist höchste Zeit, Verhandlungen zu führen über eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung, die die Unverletzlichkeit bestehender Grenzen ebenso respektiert wie die politische und kulturelle Autonomie der russischen Bevölkerungsmehrheit in den umkämpften Gebieten.“

Vom OB-Gedanken Abstand genommen

Geisel wird am 27. Januar in Berlin zum Wahlparteitag des BSW anwesend sein, bis dahin und auch danach „viele Medientermine wahrnehmen“. Konkrete Wahlkampf-Termine für die am 9. Juni statt findende Europawahl gibt es indes noch nicht, sagt der gebürtige Schwabe. Fakt ist, dass Geisel mit seiner Familie seinen Lebensmittelpunkt weiter in Düsseldorf haben wird. „Wir sind Düsseldorfer - und werden es natürlich auch bleiben“, sagt er.

Apropos Düsseldorf: Es ist nicht lange her, da hatte Geisel - im Interview mit der NRZ - laut darüber nachgedacht, möglicherweise im Herbst 2025 nochmal als OB-Kandidat der SPD für die Landeshauptstadt anzutreten. Den Gedanken hat er offenbar längst verworfen und sich für Sahra Wagenknecht entschieden, die er laut eigener Aussage seit 30 Jahren kennt. „Ich habe von dem OB-Gedanken Abstand genommen, weil ich befürchte, eine zweite Amtszeit könnte eine nicht mehr ganz so tolle Kopie der ersten werden“, sagt Geisel. Da reizt ihn das Wagenknecht-Angebot offenbar mehr. „Das ist wieder ein Sprung ins kalte Wasser, wie es vor zehn Jahren die OB-Kandidatur war.“ Und der Mann ist optimistisch: „Wir hoffen natürlich, dass BSW bei der Europawahl und auch bei der Bundestagswahl die Menschen überzeugen kann.“

Das ist Thomas Geisel

Thomas Geisel ist am 26. Oktober 1963 im schwäbischen Ellwangen geboren. Er ist studierter Jurist und arbeitete auch schon als Manager beim Energieunternehmen Eon. Von 2014 bis 2020 war er Oberbürgermeister Düsseldorf. Bei der Kommunalwahl 2020 verlor er in der Stichwahl gegen Stephan Keller (CDU). Am 8. Januar 2024 ist er dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) beigetreten und zusammen mit Fabio De Masi designierter Spitzenkandidat des BSW bei der Europawahl. Geisel ist verheiratet. Er ist Vater von fünf Kindern.

Und Brüssel? Dort wird Geisel auf seine Lieblingsfeindin Marie-Agnes Strack-Zimmermann treffen, die Düsseldorfs Ex-OB gerne und oft kritisiert. „Strazi“ ist die designierte Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl. „Über Frau Strack-Zimmermann mache ich mir keine Gedanken, ich werde mich auch nicht an ihr abarbeiten. Ich überlasse es ihr, sich an meiner Person abzuarbeiten.“