Dinslaken. Das Lohberger Fördergerüst ist normalerweise für Bürger gesperrt. Für die Bürgermeisterin machte die RAG eine Ausnahme. Die NRZ begleitete sie.
Die Einladung für die Presse lässt Raum für Interpretationen. Stadt und RAG bitten zur „Begehung am Förderturm Lohberg“. Am. Also nicht auf den Förderturm. Der ist wegen der Sanierung aktuell ohnehin mehr Gerüst als Turm und überhaupt für Bürger nicht zugänglich. Zu hoch. Zu gefährlich. Allerdings ist Michaela Eislöffel nicht irgendeine Bürgerin. Sondern die Erste. Die Bürgermeisterin der Stadt Dinslaken. Und sie will genau das: einmal auf das Plateau des Fördergerüsts, des höchsten Gebäudes der Stadt. Den Gefallen tut die RAG ihr gerne - persönlich, und weil Dinslaken und die RAG auch nach dem Bergbau verbunden bleiben. Für immer. Denn Lohberg wird Standort für die Wasserhaltung des Ruhrgebiets - eine Ewigkeitsaufgabe. Also: Begehung des Förderturms. Für Bürgermeisterin, Baudezernent Dominik Bulinski. Und Presse.
Die RAG-Leute verteilen Warnwesten und Helme. „Kumpel“ steht darauf. Mit Hashtag. Also kein Überbleibsel vom Bergbau. Sicherheit auf der Mega-Baustelle ist sehr wichtig, betont Projektleiter Dr. Stefan Roßbach. Stadtsprecher Marcel Sturm bittet alle zum Foto. Vor der Auffahrt. „Solange es noch allen gut geht“, sagt Sturm und man weiß nicht, wie ernst er das meint. Das Baugerüst ums Fördergerüst hat einen Aufzug. Einen Bauaufzug. Obenrum offen. Zum Glück, sagt Jörg Küsters (RAG Wasserhaltung), sei es trotz anderslautender Prognose nicht windig. Es wackelt trotzdem. Auf einem Schild an der Aufzugwand steht etwas von einer Maximallast. Also besser an eine andere Stange klammern. Man weiß ja nie. Die Männer im Aufzug unterhalten sich über das Gerüst und Windlasten, die Bürgermeisterin hofft, dass niemand eine Schraube vergessen hat. Gerüst und Aufzug würden regelmäßig kontrolliert, beruhigen die RAG-Leute. „Einfach geradeaus gucken und nicht nach unten“, rät einer. Ach so. Geradeaus ist gerade etwa 50 Meter hoch. Tankstelle und Fahrschule im Gewerbegebiet werden schon klein, das Gerüst scheint kein Ende zu nehmen.
Die Bürgermeisterin ist schwindelfrei
„Unten“ sollen wir aufpassen, wo wir hingehen - „wegen der Querstreben“, mahnt einer. „Unten“ - das ist in diesem Fall die Plattform auf etwa 70 Metern. Dort, wo in einem halben Jahr die Seilscheiben wieder eingehängt werden sollen. Aber wir fahren ja zum Glück nach oben. „Gucken Sie mal, wie klein der Bergpark ist“, ruft Michaela Eislöffel begeistert. Dafür müsste man allerdings nach unten schauen.
Die Bürgermeisterin war früher schwindelfrei, ist sogar geklettert und mit dem Fallschirm gesprungen. Ob sie es heute noch ist, weiß sie nicht. Der Aufzug rappelt, steht. Und die Leute im Aufzug auch. Die Wolken sind quasi zum Greifen nah. Das Tor bleibt zu. Irgendwie passt es doch nicht mit der oberen Plattform und wir fahren eins tiefer.
Der Gitterboden bewegt sich
Nur 70 Meter also. Gitterboden. Der Boden bewegt sich beim Drauftreten. „Der hält“, verspricht Jörg Küsters. Sogar ihn. Der Mann ist etwa zwei Meter groß. Am Horizont sind die Kraftwerke Walsum und Voerde zu sehen. Auf der Ober-Lohberg-Allee fahren Spielzeugautos an den Solarpanels der Kohlenmischhalle vorbei und der Rote Hase im Bergpark ist geradezu niedlich klein von hier oben. Auf diese Höhe muss in wenigen Monaten ein Kran die Seilscheiben bugsieren. Und millimetergenau einsetzen. Der Winter habe die Arbeiten etwas verzögert, teilweise sei der Stahl sogar zum Schweißen zu kalt gewesen und habe vorher angewärmt werden müssen.
Michaela Eislöffel ist offenbar immernoch schwindelfrei. Und begeistert vom Blick über Lohberg, über die ganze Stadt. Marcel Sturm macht Fotos und lehnt sich dabei so weit hinaus, dass die Bürgermeisterin Angst um ihren Mitarbeiter bekommt. Der fotografierende Kollege denkt über den Einsatz einer Drohne nach. Ist wohl noch nicht hoch genug. Ich halte mich an einer der dafür ausgesprochen geeigneten Querstreben fest und umklammere mit der anderen Hand das Smartphone. Was nutzen auf der Höhe eigentlich Helm und Weste? Der Wind erinnert sich an die Wettervorhersage und pfeift um die Gerüststangen. Planen wehen, und mir wird bewusst, wie Flatterband zu seinem Namen gekommen ist.
Im Aufzug abwärts, der nach dem Ausflug auf die Plattform komisch sicher erscheint, plaudern Michaela Eislöffel und ich über potenzielle Tatort-Plots, in denen Lokalpolitiker, Lokaljournalisten und hohe Gerüste eine Rolle spielen. Also: nur aus Spaß, natürlich. Wir kommen sicher unten an. Alle. Ein einmaliger Ausflug. Denn, auch wenn die Seilscheiben installiert und das Fördergerüst Ende des Jahres fertig saniert ist: Die Plattform wird für Bürger nicht zugänglich gemacht, bedauern die RAG-Leute. Zu hoch. Zu gefährlich. Und überhaupt, korrigiert Stefan Roßbach noch die Einladung: Im Bergbau heißt es nicht Begehung. Sondern Befahrung.