Hünxe. Eva Weyl war an der Gesamtschule Hünxe zu Gast und erzählte den Schülern von ihren Erlebnissen. Das sollen sie aus der Geschichte lernen.
Es ist still im Forum der Gesamtschule Hünxe. Obwohl die gesamten Jahrgangsstufen 10 und 12 hier versammelt sind, hört man aus der Schülerschaft keinen Laut. Die Schüler sitzen auf ihren Stühlen, scheinen gebannt von der Frau, die vor ihnen auf der Bühne sitzt. Eva Weyl, 88 Jahre alt, ist Zeitzeugin des Holocaust, verbrachte drei Jahre im Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden und überlebte – nur durch Glück, wie sie mehrfach betont.
Als „Zweitzeugen“ bezeichnet sie die Schülerinnen und Schüler, die ihrem Vortrag konzentriert folgen. „Ich bin Zeitzeugin und es wird bald keine mehr geben“, sagt die 88-Jährige. Auch deswegen ist sie darauf angewiesen, dass die Schüler, eben als „Zweitzeugen“, die direkt von den Zeitzeugen etwas erfahren können, sich daran erinnern. „Ihr müsst die Erinnerung bewahren! Es ist wichtig, dass ihr die Geschichtet lebendig haltet“, sagt Eva Weyl den versammelten Jugendlichen.
Name auf der Todesliste – und Brillanten als Mantelknöpfe
Und die lauschen der Geschichte der Holocaust-Überlebenden. „Ich stand drei Jahre lang auf einer Todesliste“, beginnt sie ihre Erzählung. Und das, als sie gerade acht Jahre alt ist, ein unschuldiges Kind. Sie erzählt, wie ihre Eltern aus Kleve vor den Nazis flüchteten. Zuerst nach Arnheim, wo ihr Vater ein Geschäft hatte. Die Niederlande, im Ersten Weltkrieg neutral, galten vielen Juden als sicherer Zufluchtsort. Dann kamen die Nazis – und wollten auch hier die Juden vernichten.
„Evchen, wir ziehen um!“ Das waren die Worte, mit der ihre Eltern den Zwangsumzug in das Durchgangslager Westerbork ankündigten. Kaum etwas von ihrem Hab und Gut konnten Eva Weyl und ihre Eltern mitnehmen. „Ich hatte ein Vermögen in den Knöpfen meines Mantels“, erzählt Eva Weyl den lauschenden Schülern. Denn ihre Mutter hatte Brillanten, damals die Geldanlage der Familie, als Knöpfe getarnt an den Mantel ihrer Tochter genäht. Diese wurde nie entdeckt, überstanden auch den Krieg. Zehn Jahre nach dem Krieg ließ sich ihre Mutter aus eben diesen Edelsteinen einen Brillantring anfertigen, den Eva Weyl zu ihrem 60. Geburtstag geschenkt bekam. „Wenn ihr nichts von dem Tag heute behaltet: Diese Geschichte werdet ihr euch merken“, sagt die Zeitzeugin den jungen Menschen.
Eine Scheinwelt als Zwischenstation der Reise in den Tod
Dass die sicher mehr von dem Vormittag mitnehmen, liegt auch an der per Video zugeschalteten Anke Winter. Sie ist die Tochter von Albert Gemmeker, der als Lagerkommandant das Durchgangslager Westerbork leitete und rund 80.000 Menschen in den Tod schickte. „Er hat jeden Dienstag darüber entschieden, wer abtransportiert wird“, erzählt seine Enkelin. Abtransportiert bedeutet in diesem Fall: In Viehwaggons geschickt und auf einen Weg geschickt in Richtung des Konzentrationslagers Auschwitz. Eine Reise ins Verderben.
Im Lager selbst erhielt Gemmeker eine Scheinwelt aufrecht: Es gab für alle genug zu essen, Cabaret-Vorführungen fanden statt und das größte Krankenhaus der Niederlande gehörte zum Lager, wo die Menschen fit für die Arbeit gehalten wurden. Denn es hatte auch jeder seine Arbeit zu erledigen. Und dann wurden doch regelmäßig Menschen ausgewählt, die in die Transporte Richtung Osten mussten – rein zufällig meist. Eva Weyl hatte bei diesen Auslosungen Glück: Einmal ließ ein guter Freund des Vaters die schon ausgeloste Karte mit den Namen der Familie darauf verschwinden. Ein anderes Mal griff ein englisches Flugzeug das Lager an, der Transport, auf den sie und ihre Eltern gehen sollten, fand nicht statt – und die Liste mit den ausgelosten Namen war verschwunden.
Am Ende des Vortrags der beiden Frauen ist es Anke Winter, die eine der Eingangsbotschaften von Eva Weyl wiederholt: „Wir sind nicht verantwortlich für die schrecklichen Taten. Aber wir sind verantwortlich für die Erinnerung und das, was wir damit machen“, sagt sie. Die wichtigste Botschaft der beiden Freundinnen: Die Verbrechen dürfen nicht in Vergessenheit geraten, damit sich Geschichte nicht wiederholt. Applaus von den gebannt lauschenden Schülern der Gesamtschule.
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