Voerde. Warum Kirsten Baumeister eine glühende Anhängerin der Gesamtschule ist und was sie bei aller Freude über die neue Aufgabe etwas wehmütig macht.

Manchmal sind es Begegnungen Dritter, die den eigenen Blick auf mögliche berufliche Horizonte weiten können. Im Fall von Kirsten Baumeister war es das Aufeinandertreffen ihres damaligen Chefs und der Leiterin der Voerder Comenius-Gesamtschule. In einem Seminar, an dem beide teilnahmen, erzählte Ursula Reinartz ihrem Kollegen von der vakanten Stelle der didaktischen Leitung an ihrer Schule. Und der wiederum berichtete Kirsten Baumeister davon. Damit kam ein Stein ins Rollen. Die damalige Abteilungsleiterin der Jahrgangsstufen 5 und 6 an der Gesamtschule Osterfeld in Oberhausen bewarb sich. Mit Erfolg. Nun, fünf Jahre nach Antritt der Stelle in Voerde lenkt Kirsten Baumeister als Nachfolgerin von Ursula Reinartz an der Allee 1 die Geschicke.

Dabei sah es vor 20 Jahren nicht unbedingt danach aus, dass sie einmal an einer Gesamtschule landen würde. Als sie nach Abitur und Auslandsjahr in den USA ihren beruflichen Weg mit dem Ziel Lehrerin einschlug, sah sie sich doch „eher bei den Kleineren“, sprich, in der Grundschule unterrichten. Zugleich war da aber auch der Wunsch, Englisch zu studieren. Beides setzte die gebürtige Hammerin, die ab der zweiten Klasse in Niedersachsen lebte und in Braunschweig 2001 ihr Abitur machte, schließlich in Baden-Württemberg um. An der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe studierte sie Deutsch und Englisch für das Grund- und Hauptschullehramt – inklusive Auslandssemester in Wales und Auslandspraktikum in Südafrika.

Durch Zufall landete Kirsten Baumeister an einer Gesamtschule in Castrop-Rauxel

Während ihres anschließenden Referendariats an einer Grund- und Hauptschule wurde Kirsten Baumeister bewusst, dass ihr „die Großen auch sehr liegen“. Weil es in Baden-Württemberg nach ihrem Vorbereitungsdienst zur Lehrkraft keine freien Lehrerstellen gab, musste sie sich anderweitig umschauen. Sie bewarb sich in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – und kam am Ende durch Zufall nach Castrop-Rauxel. Dort trat sie an einer Gesamtschule ihre erste feste Stelle als Lehrerin an. „Ich bin damals ins kalte Wasser geworfen worden“, erinnert sich die heute 41-Jährige und erklärt: „Gesamtschule ist anders.“ Damit meint sie deren „Bandbreite“.

Inzwischen hat Kirsten Baumeister 15 Jahre als Lehrerin dieser Schulform im Erfahrungsgepäck. „Ich würde heute nichts anderes machen wollen“, sagt sie mit Blick darauf, dass sie nicht an einer Grund-, sondern an einer weiterführenden Schule arbeitet. Ihre Stärke liege darin, die Übergänge zu gestalten – womit sie etwa den Wechsel in den Beruf meint – und „nicht im Erstlernen“.

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Wie ihre Vorgängerin Ursula Reinartz ist Kirsten Baumeister eine vehemente Verfechterin der Schulform. Noch gut erinnert sie sich an einige Kinder aus ihrer ersten Klasse, bei denen nicht unbedingt offensichtlich war, dass sie beruflich ihren Weg gehen würden – wie etwa dem Jungen von damals, der heute Dachdeckermeister ist. Wie häufig hätten Gesamtschulen Kinder mit eingeschränkter Realschulempfehlung, die nachher ihr Abitur ablegen. „Das hat mich zu einer überzeugten Gesamtschullehrerin und jetzt -leiterin gemacht“, sagt Kirsten Baumeister.

Ihrer Auffassung nach bedeutet Schule mehr, als nur Unterrichtsinhalte zu vermitteln. Es gelte, die Kinder auf die Anforderungen, die ihnen die Gesellschaft stellt, vorzubereiten – etwa auf die in der digitalen Welt. Die Pädagogin denkt da an das viel diskutierte Thema der Künstlichen Intelligenz (KI). Schule müsse die Kinder zudem stärken, damit sie ihren eigenen Weg gehen und ihnen vermitteln: „Ich bin gut so, wie ich bin.“ Das Fach „Glück“ an der Comenius-Gesamtschule zeige die eigenen Stärken auf.

Kirsten Baumeister setzt auf eine „gesunde Mischung aus Erklärphasen und eigenverantwortlichem Lernen“. Ihre Überzeugung: „Wenn jeder in seinem Tempo lernt, erreichen wir deutlich mehr, weil wir die Schülerinnen und Schüler so individuell fördern können.“ Dabei will die 41-Jährige aber auch das Gemeinsame nicht aus den Augen verlieren: „Das Sich-Gegenseitig-Helfen und das kooperative Lernen sind ebenfalls wichtig.“ Und so arbeiten Kinder mit unterschiedlichen Bedarfen an der Comenius-Gesamtschule zusammen an einem Projekt. Es gehe darum, das Gefühl, alleine zu sein, aufzubrechen. „Wenn wir gemeinsam im Team arbeiten, sind wir stark“, erklärt Kirsten Baumeister, für die Schule nicht nur ein Lern-, sondern auch ein Lebensort ist.

Passionierte Pädagogin möchte das in Voerde Angefangene weiterführen

Die 41-Jährige, die von ihrem Wohnort in Dorsten-Rhade nach Voerde und zurück pendelt, äußert sich nicht nur als glühende Verfechterin von Gesamtschule allgemein, sondern auch für die in Voerde im Besonderen: „Ich habe mich bewusst für diese Schule entschieden. Ich wollte Schulleiterin an dieser Schule sein. Das ist meine Schule – für die stehe ich, für die brenne ich.“ Und in ihrer neuen Position möchte die passionierte Pädagogin das Angefangene weiterführen, mit den Schülerinnen und Schülern, mit dem Kollegium und den Eltern. Ein Ziel ist etwa, die Lernbüros auf weitere Jahrgänge auszuweiten. Mütter und Väter sollen bei anstehenden Prozessen noch stärker mitgenommen werden. „Es ist wichtig, dass auch sie Teil der Schulgemeinschaft sind“, sagt Kirsten Baumeister. So ist etwa geplant, in regelmäßigen Abständen ein Elterncafé stattfinden zu lassen, wo sie sich einbringen können. Mit am Tisch sitzen sie auch in der Schulentwicklungswerkstatt, die Ende Oktober ihre Premiere hat. Dort geht es um Themen wie Ganztag, Schulhofgestaltung und einiges mehr.

Die im Jahr 2015 gestartete Comenius-Gesamtschule soll nach dem Wunsch ihrer neuen Leiterin ein fester Bestandteil der Stadt werden. Was die Akzeptanz betrifft, sei man auf einem guten Weg. Kirsten Baumeister möchte diese noch weiter ausbauen und festigen. Auch wünscht sie sich, dass die Identifikation der Kinder und Jugendlichen mit ihrer Schule „noch stärker verankert ist“ – getragen von der Erfahrung, „hier werde ich wahrgenommen, hier werde ich unterstützt“, erklärt die 41-Jährige.

Wichtig ist ihr außerdem die enge Kooperation mit den Grundschulen und mit den Firmen, damit die Kinder und Jugendlichen „gut abgeholt werden können“ beim Übergang an die weiterführende Schule oder in den Beruf. Aber auch in die Oberstufe. Die Comenius-Gesamtschule in Voerde „wuppt“ im nächsten Jahr „das erste Abitur“, erinnert Kirsten Baumeister.

Neuer Gesamtschulleiterin bleibt trotz jetzt voller Stelle weniger Zeit zum Unterrichten

Während sie vor Übernahme der Schulleitung in Voerde zuletzt nach der Rückkehr aus der Elternzeit in Teilzeit arbeitete, ist ihre neue Aufgabe ein Fulltime-Job. Für die Mutter einer kleinen Tochter (drei Jahre alt) kein Hindernis. Ihr Mann ist nun in Teilzeit tätig. Ihr Beispiel könne anderen Kolleginnen Mut machen, findet Kirsten Baumeister. Die 41-Jährige freut sich auf die verantwortungsvolle Tätigkeit, die ihr einen breiteren Aufgabenbereich bietet. Ihr ist bewusst, dass sie sich als Schulleiterin in dem Spannungsfeld Eltern, Schüler, Kollegen, Öffentlichkeit und Vorgaben bewegt. „Da steht man manchmal zwischen den Stühlen. Das muss man aushalten können“, sagt sie. Die Herausforderung nimmt sie an.

Mit einem Wermutstropfen ist die neue Aufgabe aber auch verbunden: Kirsten Baumeister wird deutlich weniger unterrichten als zu der Zeit, als sie bereits eine volle Stelle hatte. Auch wird die 41-Jährige keine Klasse mehr leiten, was für sie eine „andere Ebene“ des Arbeitens mit Schülerinnen und Schülern bedeutete. Hintergrund: Für Schüler, Eltern und Kollegen bestehe in notwendigen Fällen die Option, „sich an eine Instanz höher zu wenden“. Würde sie eine Klasse leiten und käme es etwa zu einem Konflikt mit Eltern, müssten diese an die Bezirksregierung Düsseldorf herantreten. Am Ende kann sich Kirsten Baumeister mit all dem versöhnen: „Ich glaube, dass ich das, was ich Schülerinnen und Schülern mitgeben möchte, über meine Kolleginnen und Kollegen weitergeben und als Schulleiterin weiter streuen kann.“