Dinslaken/Oberhausen. Laut Ministerium entsprach der Zaun beim Wolfsriss in Dinslaken dem Grundschutz. Warum das für die Beurteilung des Rudels nicht zählt.
Es war ein Blutbad, das Wölfin Gloria und einer ihrer Söhne Ende Februar auf einer Weide des Oberhausener Schäfers Tobias Thimm in Dinslaken angerichtet haben: 39 Tiere – Schafe, Ziegen und Lämmer – waren tot oder verletzt, mittlerweile sind laut Tobias Thimm insgesamt 50 Tiere infolge des Wolfsangriffs verstorben. In einer Berichtsvorlage für den Landtag bestätigt das Umweltministerium nun, dass auf der Weide der „der empfohlene Grundschutz gegeben war“. Einfluss auf die offizielle Bewertung des Verhaltens des Wolfsrudels hat das trotz der hohen Anzahl von Opfern aber nicht.
Zwar gilt die mehrfache Überwindung „zumutbarer“ oder „empfohlener“ Herdenschutzmaßnahmen als eine mögliche Bedingung für eine Entnahme des unter europarechtlichen Schutz stehenden Wolfes. Aber als „zumutbar“ gilt laut Praxisleitfaden Wolf“ der Umweltministerkonferenz ein „erhöhter Schutz“ mit einer Zaunhöhe von 1,20 Metern. Die Zäune von Tobias Thimm hat das Land zwar ebenfalls gefördert – sie entsprechen aber mit einer Höhe von 1,10 Metern nur dem „Grundschutz“ und nicht dem „empfohlenen“ oder „zumutbaren“ Schutz, der laut Umweltministerium zweimal innerhalb von vier Wochen überwunden werden müsste, um davon ausgehen zu können „dass der betroffene Wolf das Überwinden erlernt und sich dieses Verhalten auch verstetigt hat“. Bei den vier Wochen handele es sich um einen „Orientierungswert“, der gesetzlich nicht festgeschrieben ist. Das Umweltministerium bezieht sich dabei auf das Urteil des Verwaltungsgerichts gegen eine Entnahme der Wölfin Gloria im Jahr 2021 und das dem zugrunde liegende Rechtsgutachten.
Das Ministerium fordert weitere Maßnahmen
Im Fall des Schäfers Tobias Thimm sei zudem auch „eine Erhöhung des wolfsabweisenden Elektrozaunes, ein nächtliches Aufstallen oder der Einsatz von Herdenschutzhunden“ zumutbar, so das Umweltministerium.
Tobias Thimm widerspricht. Das nächtliche Aufstallen etwa sei „völlig sinnbefreit“, sagt er. Er führe eine Wanderschäferei. Seine etwa 250 Schafe und Ziegen sind, aufgeteilt in bis zu fünf Herden – von Mai bis November vor allem auf innerstädtischen Wiesen und Landschaftsschutzgebieten im Auftrag der Städte und Gemeinden unterwegs, um dort die Landschaft zu pflegen. Am heimischen Stall sind sie nur im Winter in der Lammzeit. „Ich kann nicht morgens mit den Tieren irgendwo hinziehen und abends wieder in den Stall ziehen und ich kann auch nicht alle drei Kilometer einen Stall bauen,“ sagt der Schäfer – noch dazu auf fremdem Grund. Eine abendliche Aufstallung sei nur möglich, wenn die Tiere eine größere Weidefläche am Stall hätten.
Eine Wanderschäferei könne zudem keine Festzäune sondern nur mobile Zäune nutzen. Diese werden immer wieder umgesetzt, müssen also händelbar bleiben. Den Elektrozaun erhöht Thimm nun auf 1,20 Meter. Wobei zehn Zentimeter mehr immer auch „zehn Zentimeter Netz auf 50 Meter“ und somit mehr Gewicht bedeuten, gibt er zu bedenken. Um einen Hektar einzuzäunen, brauche er elf Netze. „Ich kann zwei, zur Not drei 1,10-Meter-Netze tragen“, sagt Thimm: „Die haben schon richtig Gewicht.“
Für seine Herde bräuchte Schäfer Thimm sechs Herdenschutzhunde. Diese werden aber seinem Fall nicht vom Land gefördert. Relevant für die Förderung sei der Sitz der Schäferei und nicht die Beweidungsflächen. Weil Oberhausen außerhalb des definierten Wolfsgebiets Schermbeck liege, bekäme er kein Geld für die Hunde. Die Anschaffung solcher Hunde würde 18.000 bis 25.000 Euro kosten, rechnet Thimm – „das können wir als junger Betrieb nicht tragen“. Hinzu kämen etwa 2000 Euro im Jahr pro Hund für Versorgung, Versicherung. Die Hunde, die er zudem nicht überall – etwa innerstädtisch – einsetzen könne, seien etwa sieben Jahre arbeitsfähig. „Ich müsste also ein Altersresort schaffen.“ Seinen Schafen könnte er aktuell ohnehin keine Schutzhunde zumuten. Diese seien durch den Wolfsangriff extrem schreckhaft. „Wenn ich da jetzt Schutzhunde reinsetze, springen die im Dreieck“.
2023 wurden bereits 80 Nutztiere gerissen
Insgesamt war Wölfin Gloria seit ihrer Ankunft in der Region im Sommer 2018 nachgewiesen an 64 Rissen allein oder mit anderen Wölfen beteiligt, bei denen 190 Nutztiere zu Schaden kamen. Allein in diesem Jahr wurden im Schermbecker Wolfsgebiet mehr als 80 Nutztiere mutmaßlich oder nachgewiesen durch Wölfe verletzt oder getötet. Der empfohlene Herdenschutz sei in den Jahren 2022 und 2023 aber in keinem Fall überwunden worden, so das Umweltministerium. Im übrigen werde „ein hundertprozentiger Schutz vor Wolfsübergriffen nicht zu erreichen sein. Es wird in Einzelfällen dem Wolf auch gelingen den empfohlenen Herdenschutz zu überwinden“, so das Umweltministerium.
Abgesehen davon seien „Wildtiere nach wie vor die Hauptquelle der eigenen Ernährung des Rudels. Denn von den dokumentierten Rissen von Nutz- und Haustieren kann sich das Rudel nicht in ausreichender Weise ernähren.“