Dinslaken. In Dinslaken-Lohberg gedachten Hunderte der Erdbebenopfer in Türkei und Syrien. Viele spendeten und halfen, damit die Hilfe schnell ankommt.
Es sind Bilder von fröhlich lachenden Menschen, die gezeigt werden und die Tränen fließen – denn das Lachen dieser Menschen ist für immer verstummt. Gleich 45 Angehörige haben Mustafa und Mehmet D., zwei Unternehmer aus Dinslakens Innenstadt, bei der Erdbebenkatastrophe im türkischen Hatay verloren. 45 von über 25.000 bereits aus den Trümmern geborgenen Opfern, von denen es täglich mehr gibt. Aber sie sind nicht nur eine Zahl, durch die Betroffenen mitten in Lohberg, mitten in Dinslaken bekommen die Opfer ein Gesicht.
Die Lohbergerinnen und Lohberger sind noch näher zusammengerückt – den Eindruck hatte man am Samstag auf dem Johannesplatz im Dinslakener Stadtteil. Viele von ihnen hatten sich versammelt, um der Opfer der Erdbeben-Katastrophe in einer Schweigeminute zu gedenken. „Wie kann man diesen Schmerz nur aushalten, wenn eine Familie 45 ihrer Angehörigen verliert?“, fragt sich Bürgermeisterin Michaela Eislöffel. Wenn man nur einen einzigen geliebten Menschen auf diese Weise verliere. „Die Bilder sind weit weg, aber sie kommen uns ganz nahe, wenn Freunde, Nachbarinnen und Nachbarn erzählen, dass sie betroffen sind“, sagt Eislöffel und drückt auf türkisch und arabisch ihre Anteilnahme aus. Dankbar sei sie über die große Zahl derer, die zusammengekommen sind, um ihre Betroffenheit zu zeigen, die miteinander hoffen; dankbar aber auch über das Engagement der Lohbergerinnen und Lohberger, die innerhalb weniger Tage eine Hilfsaktion ins Leben gerufen haben. Turkan Faitekin, der Imam der VIKZ-Moschee, erinnert an die vielen internationalen Helferinnen und Helfer, die derzeit in der Türkei sind: „Daran sehen wir, dass wir Menschen alle gleich sind im Angesicht einer Katastrophe, im Schmerz.“
Spenden im Minutentakt
Im nahen ehemaligen Edeka-Geschäft, das die Vivawest für die Hilfsaktion zur Verfügung gestellt hat, stapeln sich inzwischen die Kisten. Im Minutentakt treffen Menschen ein, bepackt mit Säcken und Taschen voller Konserven, Tierfutter, Decken und Hygieneartikel. Alles neu, denn gebrauchte Waren dürfen nicht versandt werden, der Zoll habe da einen Riegel vorgeschoben, erklärt Sibel Göksü vom türkisch-deutschen Elternverein. Über die Moschee, Zeitungen und durch die sozialen Medien hatten sie, die AWG, Kultura Pflegedienst, die Diyanet-Moschee, Rot-Weiß-Lohberg und der Integrationsrat zu Sach- und Geldspenden aufgerufen.
Zuvor war eine Verbindung zum THW und türkischen Konsulat hergestellt worden, um einerseits behördliche Dinge zu klären und andererseits sicherzustellen, dass gezielt die richtigen, gerade benötigten Sachspenden zur Verfügung gestellt werden können. Auch mit der türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad und einem Hodscha in Syrien stünden sie in Verbindung. „Ich glaube, ich habe noch nie so viel in meinem Leben telefoniert“, berichtet Yasemin Zorlu, Inhaberin des Kultura Pflegedienstes, die sich maßgeblich um die behördlichen Dinge kümmert, und am Samstag, wie viele andere auch, mit anpackt, um die Flut der Spenden zu meistern. Jeder abgegebene Karton, jeder Sack, jede Tasche wird ausgepackt und in Kiddy-Boxen neu verpackt. „Sie sind Spenden und besser zu stapeln, außerdem einheitlich, damit der Zoll gleich erkennen kann, welche Pakete zueinander gehören“, erklärt Turhan Tuncel vom Integrationsrat. Auch er sei schier überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Menschen. Seine Schwester Sevim, sagt er, habe Glück gehabt. „Sie war in Kahramanmaras, dem Epizentrum eines der beiden großen Beben und ist gerade noch rechtzeitig aus dem Haus gekommen, bevor es einstürzte.“ Nun sei sie in Istanbul in Sicherheit. Ihm ist die Erleichterung anzumerken.
Pakete: Viele Dinge sind zu beachten
Turhan Tuncel wendet sich wieder den Hilfslieferungen zu. Der Inhalt jeden Paketes muss in türkischer und englischer Sprache deklariert und anschließend noch gewogen werden. Anschließend müssen sie noch im Konsulat mit einem Stempel versehen werden, bevor sie in den Flieger kommen, der sie letztendlich ins Erdbebengebiet bringt. „Wir sammeln nicht nur für die Türkei, sondern auch für Syrien, aber noch wissen wir nicht, wie wir die Spenden nach Idlib und Aleppo bringen können“, sagt Sibel Göksu und hofft, dass bald mehr Grenzen geöffnet werden. Für sie, deren enge Freunde Familienmitglieder verloren haben, ist es unverständlich, dass Hilfe untersagt wird.
So geht es vielen in Lohberg, auch wenn Schuldzuweisungen nicht laut ausgesprochen werden. Dennoch hört man aus leise geführten Gesprächen am Rande heraus, dass Baumängel Schuld an so vielen Toten seien. Doch es überwiegt die Hilfsbereitschaft – und auch die Trauer. „Die ersten 36.000 Euro an Geldspenden haben wir am Freitag überweisen können“, sagt Özkan Yildiz von der Diyanet-Moschee. Und es könnten weiterhin Spenden abgegeben werden. „Ich kenne viele der Spender, die mit hohen Geldbeträgen kommen, obwohl sie selber nicht viel besitzen“, berichtet er. Zudem hätten viele Lohberger Firmen und Institutionen gespendet. Und auch die Künstlerin Larissa Schwarz. Sie hatte bereits vor Wochen die türkische Nationalbank angeschrieben und um geschredderte Lira für ein künstlerisches Projekt gebeten. „Tatsächlich habe ich Geldschnipsel erhalten“, berichtet sie, die daraus das Bild einer Teetasse als Symbol von Gastfreundschaft gefertigt hat. Dann kam das Erdbeben und spontan versteigerte sie ihr Werk. Für 650 Euro ging das Kunstobjekt an die AWG, die das Objekt wiederum für die Teeküche der Diyanet-Moschee spendete. Der Erlös aber geht an die Katastrophenhilfe in die Türkei.