Dinslaken. Im Glauben gegen den Hass: Der Dinslakener Regisseur Adnan G. Köse widmete dem ersten Pfarrer von Lohberg ein Theaterstück.

Die Szene erinnert an die alten „Don Camillo“-Filme: Der Pfarrer (Dieter Landuris) in der altmodischen Soutane steht vor dem Kreuz und hält Zwiesprache mit Jesus. Die Schulbehörde hat ihm eine Absage erteilt, dabei sei die Bildungssituation für die Kinder der neuen, rasant wachsenden Bergarbeitersiedlung katastrophal. Der stille Rat vom Kreuz: Wenn das Gebäude aus Stein nicht finanziert würde, erfülle auch eine Holzbaracke den Zweck.

Eine entscheidende Botschaft von „Roter März“, dem „Ruhrgebietsdrama“ von Adnan G. Köse in Dreifachfunktion als Autor, Regisseur und Schauspieler im Ensemble, wird bereits in den ersten Minuten offenbar: Zum Ziel führen allein Kompromissfähigkeit und die Politik der kleinen Schritte. Und der Rat dazu kommt „von oben“.

Premierenpublikum saß zu Hause

Als „Hybridstück“ aus live aus der Dinslakener Kathrin-Türks-Halle übertragenen Theaterszenen und separaten Filmeinspielungen erlebte ein Premierenpublikum an den heimischen Endgeräten am Donnerstag die Premiere von „Roter März“ auf der neuen Livestream-Plattform Culture Total. Das Ruhrgebietsdrama stellt sich allerdings auch inhaltlich als „hybrid“ dar: Es transportiert einen Kommentar zu aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen und wirbt für den katholischen Glauben mit einem Historienstück, das ein 100 Jahre altes Stück Lokalgeschichte mit nationaler Tragweite erstmals auf die Bühne bringt. Ein Ansatz, der zu polarisieren vermag.

Der Schauspieler Dieter Landuris spielt Pfarrer Albert Nienhaus.
Der Schauspieler Dieter Landuris spielt Pfarrer Albert Nienhaus. © FUNKE Foto Services | Foto: Markus Joosten

„Roter März“ spielt vor dem Hintergrund der Märzunruhen 1920 in der Bergarbeiter-Siedlung Dinslaken-Lohberg, historische Hauptperson ist Pfarrer Albert Nienhaus, der die bis heute lebendige Lohberger Kirchengemeinde St. Marien aufgebaut hat und bis zu seinem Tod in den 1960er Jahren prägte: eine katholische Integrationsfigur im „roten Lohberg“.

Schwarzes Schaf mit roter Gesinnung

Im Mittelpunkt des Stücks steht allerdings über weite Strecken die Familie des konservativen, technikaffinen Steigers Artur (Christoph Bernhard). Der Schwager, das schwarze Schaf mit roter Gesinnung (Anis Jusovic), hat dem Sohnemann (Orlando Lenzen) eingeredet, lieber als Sozialdemokrat nach Berlin zu gehen, als in die Fußstapfen des Vaters zu treten und sich in den Dienst der Kohleindustrie zu begeben, denen das Leben ihrer Arbeiter egal sei. Es kommt zum Bruch, der Sohn flieht als Freiwilliger an die Front. Obwohl doch die Mutter Maryja (Silke Natho) droht, dass sein (sicherer) Tod auch den ihrigen bedeute.

„Sein oder nicht sein“, so zitierte Kaiser Wilhelm II. ausgerechnet den Engländer Shakespeare in seinem Aufruf an das deutsche Volk zum 1. Weltkrieg 1914 in einer O-Toneinspielung. Maryja wird nach dem Tod ihres Sohns vor Verdun wie Ophelia wahnsinnig am Rotbach in Hiesfeld durch den Wald irren. Und den Geist ihres Sohnes sieht sie wie Hamlet den seines Vaters vor dem Mord an Polonius: im Wahn. Adnan G. Köse mag das Mystisch-Dramatische in seinen bedeutungsschweren Inszenierungen, „Roter März“ ist keine Ausnahme.

„Alle Welt ist Vaterland“

Doch die Handlung spielt 1920, da machte jemand Shakespeare Konkurrenz: Brecht. Denn auch wenn „Roter März“ sich klar gegen den Kommunismus positioniert und die Handlungen der Roten Armee auf grausame Auswüchse wie dem Mord am Lohberger Bergwerksdirektor Sebold (gespielt von Adnan G. Köse selbst) reduziert – der Fraktionsvorsitzende der Linken im Kreis Wesel, Sasha H. Wagner, reagierte unverzüglich mit einem Brief an die NRZ – das Leid, das Kaiser, Krieg und Kriegsgewinnler den Arbeitern brachte, tragen die Darsteller in originalen Gedichten und Liedtexten vor.

Da tritt der gefallene Sohn ein letztes Mal hervor und wirbt mit Erich Mühsams „Soldatenlied“ von 1916 um Versöhnung: „Alle Welt ist Vaterland“; da dämmert es seinem staats- und industrietreuen Vater mit Johannes Leschinsky: „Wer zettelt immer die Kriege an … immer die Gleichen, die Reichen.“

Der originale Sarkasmus fehlt

Regisseur und Autor Adnan G. Köse in der Rolle des Bergewerkdirektors Sebold.
Regisseur und Autor Adnan G. Köse in der Rolle des Bergewerkdirektors Sebold. © Karnofsky | Foto: Karnofsky

Wenn aber sein Schwager Roman, ausdrucksvoll gespielt von Anis Jusovic, „Wir sind der Pöbel, Gott sei Dank“ von Oscar Kanehl als die gequälte, von Hass zerfressene Kreatur herausstößt, fehlt der originale Sarkasmus. Schließlich ist Roman der gottlose Antagonist zum katholischen Pfarrer. Und dann ist da die Metaebene, die Warnung vor dem Auseinanderdriften unserer heutigen Gesellschaft.

Es geht um Corona, wenn im Text auf die Spanische Grippe angespielt wird und es geht um Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und andere Spalter, die Hass verbreiten, Ängste von Benachteiligten für ihre Sache instrumentalisieren und so die Demokratie unterwandern, um ihre „Ordnung aus dem Chaos“ heraus durchzusetzen. Dass für dieses wichtige und richtige Anliegen das Bild des gewaltbereiten „Bolschewiken“ herangezogen wird, kann man historisch kritisch sehen.

Der Pfarrer setzt ein Zeichen

Aber Köse hat mit „Roter März“ eindeutig Position ergriffen und es ist die des Pfarrers Nienhaus. Der hat seine stärkste Szene in der Messe am Palmsonntag, gefilmt in „seiner“ St. Marienkirche in Lohberg – den Text gibt Jesus quasi selbst mit dem „Vater unser“ vor. Mit dem Bekenntnis zur Botschaft von der Liebe, die den Hass, und dem Leben, das den Tod überwindet, setzt der Pfarrer ein Zeichen in einer Zivilbevölkerung, der es an Zivilcourage mangelt. Was sagte Köse zu Beginn des Livestreams? – „Wir brauchen ein Glauben an Gott mehr denn je.“