Dinslaken. Martina T. aus Dinslaken hatte Covid-19. Laut Statistik gilt sie als genesen. Aber sie leidet an Spätfolgen. Und fühlt sich allein gelassen.

Direkt nach unserem Gespräch legt sich Martina T. ins Bett. Eine Stunde reden – das schafft sie kaum noch. Dieselbe Martina T., mit der ich schon so oft stundenlang geplaudert habe, im Stehen und gerne noch mit Einkaufstaschen über der Schulter. Sie kennen niemanden, der Corona hatte? Ich schon. Aber ich erkenne Martina, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, kaum wieder. Sie hatte Corona im März, zu Beginn der Pandemie. Und sie hat es irgendwie noch immer. Was von Medizinern und der Öffentlichkeit erst seit Kurzem wahrgenommen wird, hat Martina T. seit einem dreiviertel Jahr aus ihrem Leben geworfen: die Langzeitfolgen von Covid-19.

Das bedeutet „genesen“ in der Statistik

„Wir sind nicht ‘tot’, aber auch nicht ‘genesen’“, sagt sie über sich und eine täglich wachsende Gruppe von Menschen mit Langzeitschäden. Und „wir tauchen in keiner offiziellen Statistik auf“. 863 der 1190 mit Corona infizierten Menschen gelten in Dinslaken als genesen. Eine Zahl, die über die Realität nichts aussagt. Denn seit Ende November hat der Kreis Wesel die Verfolgung der Krankheitsverläufe aufgegeben. Seitdem geht man von einem „geschätzten Datum der Genesung“ aus. Und das liegt 14 Tage nach dem Meldedatum. Egal wie es dem Patienten tatsächlich geht.

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Bei Martina rief ab und an ein Arzt des Gesundheitsamtes an, um den Genesungsverlauf zu dokumentieren. Die Quarantäne hätte sie demnach schon nach 14 Tagen verlassen dürfen. Aber sie war nachhaltig krank.

Angst vor dem Krankenhaus

Immer wieder wollte ihr Partner sie ins Krankenhaus bringen, weil sie nachts keine Luft bekam. „Aber ich hatte immer die Bilder aus den Krankenhäusern vor Augen, wo die Leute an die Beatmungsmaschine angeschlossen wurden und nicht wussten, ob sie wieder aufwachen.“

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Ihre Ärztin überwies sie zur Lungen-Untersuchung ins Bethanien-Krankenhaus nach Moers, weil das schon da im Ruf stand, nicht so schnell zur Beatmung zu greifen. Ergebnis – keine Lungenentzündung. Aber auch keine Besserung.

Quarantäne beendet – aber Luftnot, Herzprobleme, extreme Erschöpfung

„Quarantäne nach fünf Wochen beendet“ postete sie freudig im Frühsommer in den Sozialen Medien. Und ärgerte sich über eine Antwort, dass sich der Arbeitgeber da aber freuen werde. Denn an Arbeit war und ist nicht zu denken. Duschen, anziehen – dauert Stunden. Autofahren? Unverantwortlich. Jeder Schritt ist anstrengend, die Treppe zur Wohnung ein Marathon. Luftnot, Herzprobleme, extreme Erschöpfung. Den Großteil des Tages liegt Martina im Bett.

„Reiß dich mal zusammen“

„Du bist doch negativ getestet, reiß dich mal zusammen!“ Diesen Satz habe wohl jeder Betroffene mit Langzeitbeschwerden schon gehört. Weder Freunde noch Ärzte würden das Problem ernst nehmen. „Man fühlt sich von vielen nicht verstanden und man wird schnell abgestempelt.“ Als Simulant. Oder Waschlappen. Je nachdem. Martina selbst hatte einen positiven PCR-Test – aber „nach Monaten keine Antikörper mehr“. Gleichgesinnte fand sie in der Facebookgruppe „Covid-19 Langzeitbeschwerden“. Ihre Ärztin schickte sie zu Lungenfachärzten, Kardiologen, schließlich wieder ins Krankenhaus. Diagnosen unter anderem: Dyspnoe (Atemnot), Herzinsuffizienz (Herzschwäche), Postvirales Fatigue, ein Erschöpfungssyndrom, das chronisch werden kann.

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Dinslakenerin vermisst Hilfe von Behörden und Ärzten

Und dann? Droht die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit. Undenkbar für Martina, die sonst gerne mit ihrem Kleinwagen zur Arbeit getuckert ist. „Wer hilft einem dann? Es gibt keinerlei Hilfen behördlicherseits. Es gibt keine rechtlichen Hilfen. Es gibt keine finanziellen Hilfen. Und es gibt kaum ärztliche Hilfen.“

Den Maskenverweigerern und Verschwörungstheoretiker werde viel Beachtung geschenkt. „Wir Langzeiterkrankte erregen weniger Interesse“, sagt sie. Dabei sollten „gerade wir als mahnendes Beispiel genannt werden. Es gibt Menschen, die zwar nicht gestorben sind, aber deren Leben sich durch die Infizierung mit Corona dramatisch verändert hat.“ Die laut Statistik als „genesen“ gelten. Es aber nicht sind.

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