Voerde. Wegen Corona fällt die Gedenkveranstaltung zum 8. Mai aus. Mit-Organisatorin erinnert an das Zwangsarbeiter- und Kinderlager Buschmannshof.
8. Mai – 75 Jahre sind seit dem Kriegsende vergangen. „Nie wieder Krieg“ lautet seitdem das Motto jährlicher Gedenkveranstaltungen. Für dieses Jahr war auch wie in all den vorangegangenen Jahren eine Gedenkveranstaltung am Buschmannshof in Voerde angedacht. Doch die Veranstaltung fiel leider dem Corona-Virus zum Opfer.
„Wir wollen sie am 1. September, dem Anti-Kriegstag, nachholen“, sagt Marlies Wellmer, Mit-Organisatorin der jährlichen Gedenkfeiern am Buschmannshof. Und erzählt daher zum Gedenktag, den die ehemalige Friedensgruppe Voerde ins Leben gerufen hatte, von der Geschichte des Zwangsarbeiter- und Kinderlagers.
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Dort, wo heute eine moderne Siedlung steht, waren einst nur Wiesen und Felder. „Der Name Buschmannshof geht wohl auf einen Bauernhof zurück, dessen Parzellen bis an die Hindenburgstraße, die heutige B 8, gingen“, erzählt Marlies Wellmer. Die Parzellen wurden veräußert als die Organisation Todt die Straße ausbaute und 1940 ein Lager für die Arbeiter benötigte. Baracken wurden erstellt, die nach Beendigung des Straßenbauabschnittes leer standen.
Ab 1943 verschärfte sich die Situation
Durch die zunehmende Bombardierung des Ruhrgebietes ab 1943 verschärfte sich die Situation in den Städten. Die Firmen bangten um ihre Produktivität, die sie durch die vor allem aus Polen, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion und der Ukraine rekrutierten Zwangsarbeiter aufrecht hielten. Diese arbeiteten vorwiegend in der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft und im Bergbau. Auch die Essener Firma Krupp beschäftigte innerhalb von fünf Kriegsjahren über 78.000 Zwangsarbeiter.
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„Die wurden eigentlich noch recht gut versorgt, waren ja auch billige Arbeitskräfte“, so Wellmer. Auch viele Frauen arbeiteten dort in der Rüstungsindustrie, einige an der Seite ihrer Ehemänner. Die natürliche Folge dieser Situation ließ nicht lange auf sich warten. Viele Frauen wurden schwanger und im werkseigenen Alberthaus behandelt, was sowohl Geburten als auch Abtreibungen beinhaltete. Als dieses durch den Beschuss der Alliierten zerstört wurde, verlegte Krupp 130 anfänglich gesunde Kinder in das von Krupp 1944 erworbene und zum Zwangsarbeiterlager ausgebaute Außenlager Voerde-West.
Das Lagergelände wurde begrenzt durch die Bahnhofstraße, Hindenburgstraße (B 8) und die heutigen Straßen Am Kindergarten und Taubenstraße. Dazu kamen im Westen die Baracken zwischen der heutigen Barbarastraße und der Bahnhofstraße. Am 22. Mai 1944 war das Lager erstmals mit einer Belegschaftsstärke von 994 Menschen in Betrieb genommen worden. Hauptsächlich wohnten dort Ostarbeiter aus der Ukraine und Polen.
Dann kamen die Krankheiten
Im Durchschnitt lebten dort 1100 Menschen, darunter auch 200 Frauen aus der Ukraine, die in der Landwirtschaft, der Lagerküche, in anderen Lagereinrichtungen und als Pflegepersonal in der so genannten „Kinderstation“ eingesetzt waren. „Etwa 100 Kinder waren dort untergebracht“, berichtet Marlies Wellmer, „anfangs nur gesunde Säuglinge, später auch kranke. Bis zur Abstillung verblieben die Kinder bei ihren Müttern, dann wurden die Kinder von anfangs 20 ukrainischen Zwangsarbeiterinnen, später nur von vieren versorgt.“ Die Aufrechterhaltung der Rüstungsindustrie war wichtiger.
„Dann kam der Hungerwinter 44/45“, berichtet Wellmer, „und mit ihm die Krankheiten.“ Tuberkulose, Scharlach, Diphtherie und Masern. Medikamente und Lebensmittel fehlten. Kachexie, eine schnelle Abmagerung, gesellte sich zu den ursprünglichen Krankheiten. Zwar hatte auch die deutsche Bevölkerung nichts zu essen, im Lager aber kam wohl noch hinzu, dass sie vor allem auf die Behandlung der Säuglinge und Kinder nicht eingerichtet war.
Inschriften müssten restauriert werden
99 Kinder starben während der neun Monate, in denen das Lager bestand. „Das jüngste Kind, Valentina, war erst zwei Tage alt“, sagt Marlies Wellmer leise. „Sie starb am 26. Februar 1945.“ Auch Kinder, die ins Dinslakener Krankenhaus verlegt wurden, überlebten nicht. Sie wurden auf dem Dinslakener Kommunalfriedhof begraben, die anderen fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Franzosenfriedhof an der Alten Hünxer Straße.
Dort kann man ihre Namen und den Zeitpunkt ihres Todes lesen. „Noch“, sagt Marlies Wellmer, denn die Inschriften zerbröckeln immer mehr, sind kaum noch lesbar. „Sie müssten dringend restauriert werden“, so Wellmer, „als immer währendes Mahnmal, dass so etwas nie wieder passieren darf.“
Friedensgruppe errichtete das Mahnmal
1987 errichtete die damalige Friedensgruppe Voerde ein Mahnmal am Buschmannshof in der Nähe des Kinderspielplatzes. Der Betonsockel soll für Abgrenzung, Intoleranz und verhärtete Denkstrukturen stehen, die rostenden Eisenstäbe für Zwangsarbeit, Unfreiheit und Lagersituation, Die Kuppel für die „goldene Nase“, die Krupp sich mit den Zwangsarbeitern verdiente.
„Wenn wir das Beet bepflanzen, kommen immer wieder Kinder zu uns und fragen, was wir dort machen“, freut sich Marlies Wellmer. Dann erzähle sie ihnen die Geschichte der Kinder des Lagers Voerde, damit es nie vergessen wird. Auch eine Geschichtstafel des Heimatvereins erinnert inzwischen an das Lager.