Dinslaken. Erna Fassbender ist auf Rollstuhl oder E-Scooter angewiesen. Sie lobt das Engagement der Behindertenbeauftragten, sieht aber noch Nachholbedarf.

Erna Fassbender fühlt sich wohl in Dinslaken. Sie genießt es, in die Stadt zu fahren, Freundinnen zu treffen oder den Tag im Schwimmbad zu verbringen. „Das alles bedeutet für mich ein Stück Lebensqualität“, sagt die 72-Jährige. Sich frei bewegen zu können, „ohne dabei ständig auf die Hilfe meines Mannes angewiesen zu sein.“ Doch immer wieder stößt die Rollstuhlfahrerin an Grenzen. Wenn der Aufzug am Bahnhof mal wieder defekt ist. Oder wenn sich die schwere Tür am Behinderten-WC einfach nicht öffnen lässt.

Ärgerliche Ausnahmen oder hat Dinslaken beim Thema Barrierefreiheit tatsächlich Nachholbedarf? Bereits 2015 haben wir in unserem Bürgerbarometer gefragt, wie gerne die Dinslakener in ihrer Stadt leben. Auch damals viel das Urteil sehr positiv aus. Bei der Attraktivität für Senioren und Behinderte landete Dinslaken im Städtevergleich aber auf dem drittletzten Platz. Was hat sich seitdem verändert? Gemeinsam mit Fassbender begeben wir uns auf Spurensuche.

ÖPNV nur teilweise barrierefrei: E-Scooter in Bahn nicht erlaubt

„Früher kam ich mit meinem Rollstuhl überhaupt nicht aus der Stadt raus“, sagt die 72-Jährige. „Heute kann ich zumindest den Zug benutzen.“ Der Ein- und Ausstieg sei aber nicht das Problem gewesen. Fassbender scheiterte bereits einige Meter vorher – an der steilen Treppe, die am Dinslakener Bahnhof zu den Gleisen führt. „Das hat sich mit dem Aufzug deutlich verbessert“, so Fassbender. „Wenn er denn funktioniert.“ Seit der Installation vor rund drei Jahren sei der Aufzug mehrmals außer Betrieb gewesen.

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Die barrierefreie Modernisierung der Bushaltestellen sieht die MS-Erkrankte ebenfalls positiv. Trotzdem nutze sie nur selten den ÖPNV. Der Grund: „Ich möchte auch mal alleine unterwegs sein.“ Dafür ist sie jedoch auf ihren E-Scooter angewiesen. Und der ist in den Bahnen der Linie 903 grundsätzlich verboten. Fassbenders Ehemann Jürgen – jahrelang selbst Straßenbahnfahrer – hat dafür kein Verständnis. Anstatt ein generelles Verbot auszusprechen, müsse sich die DVG lieber um Lösungsansätze bemühen.

Niag: Großteil der Busse für Mitnahme von E-Scootern ungeeignet

Auch in Bussen gelten für E-Scooter strenge Vorgaben, die viele der Elektro-Fahrzeuge nicht erfüllen. So dürfen zum Beispiel keine Körbe, Taschen oder Halter für Gehhilfen angebaut sein. Sind alle Voraussetzungen erfüllt und der vorgesehene Platz für E-Scooter bereits besetzt oder durch stehende Fahrgäste blockiert, darf die behinderte Person trotzdem nicht mitfahren.

Zudem räumte die Niag auf Anfrage dieser Redaktion ein, dass in Dinslaken lediglich zwei bis fünf Busse für die ordnungsgemäße Mitnahme von E-Scootern ausgerüstet sind. Bliebe noch der Behindertenfahrdienst des DRK. Aber der fahre laut Fassbender nur innerstädtisch oder zum Duisburger Hauptbahnhof. „Wenn ich mal nach Ikea möchte, hab ich da auch nichts von.“

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Ein weiteres Ärgernis sei der Zustand einiger Behinderten-WCs. Die meisten Menschen könnten sich gar nicht vorstellen, wie wichtig Rollstuhlfahrern der Zugang zu einer barrierefreien Toilette sei. „Du musst ständig überlegen, wo du hingehst und ob ein geeignetes WC in der Nähe ist“, so Fassbender.

Da wäre zum Beispiel die Toilette am Burgtheater, die von Obdachlosen jahrelang als Schlafstätte genutzt worden sei. Das WC an der Gartenstraße, bei der man drei Türen aufschließen müsse, bis man es endlich zur Toilette geschafft hat. Oder die Toilette im Obergeschoss der Neutor-Galerie. „Da musst du Bodybuilder sein, um die Tür aufzukriegen.“

Zugang zu Behinderten-WC im Dinamare gelegentlich versperrt

Auch im Dinamare sei die Toiletten-Situation ein Problem. „Es gibt nur eine Kabine für Familien und Rollstuhlfahrer. Und in dieser Kabine befindet sich das Behinderten-WC.“ Ist die Kabine besetzt, sei somit auch der Zugang zur Toilette versperrt. Erst kürzlich war sie mit ihrem Ehemann im Lagunenbad in Willingen, sagt Fassbender. „Die haben zwei Kabinen für Familien und zwei für Rollstuhlfahrer.“ Zudem gebe es ein frei zugängliches Behinderten-WC. „Diese Lösung finde ich toll.“

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Die 72-Jährige vermisse auch das Behindertentelefon im Stadthaus, mit dem körperlich eingeschränkte Personen die Mitarbeiter des entsprechenden Fachdienstes anrufen konnten. „Das ist weg“, kritisiert Fassbender. Sie wolle aber nicht nur meckern. „Ich finde, die Stadt hat schon vieles getan.“ Auch die Behindertenbeauftragte Leslie Unterberg sei sehr engagiert und reagiere sofort auf Anfragen. Die Umgestaltung des Neutorplatzes sei ebenfalls gelungen, lobt Fassbender.

Trotzdem habe sie einen Wunsch für die Zukunft: „Dass wir Behinderten noch stärker in die Überlegungen mit einbezogen werden.“ Schließlich wüssten sie aus erster Hand, welche Anforderungen eine WC-Tür oder eine Rampe erfüllen müssen. „Und ich möchte gerne ins Kino gehen“, ergänzt die Rentnerin. „Das kann ich hier in Dinslaken nicht.“ Für viele Menschen sei das womöglich eine Banalität. „Aber auch das bedeutet Barrierefreiheit.“

DVG will barrierefreie Bahnen in Betrieb nehmen

Die Duisburger Verkehrsgesellschaft AG (DVG) will ihre Straßenbahnflotte aufrüsten. Insgesamt 47 neue Bahnen für die Linie 901 und 903 sollen angeschafft werden. Sie seien dafür beschaffen, dass auch bestimmte E-Scooter-Modelle befördert werden können, so ein Sprecher.

Zudem soll die Haltestelle Dinslaken Bahnhof der Straßenbahnlinie 903 im Zuge der Umgestaltung des Bahnhofsgeländes barrierefrei umgebaut werden. Planungen hierzu hätten bereits begonnen. Für die Haltestelle Neustraße gebe es derzeit keine Pläne.