Dinslaken. Die jüdischen Verstorbenen sollten 1927 auf den Parkfriedhof umgebettet werden. Ein nun aufgetauchter Zeitzeugen-Bericht stellt das in Frage.
Unter dem Stadtpark liegen möglicherweise noch alte Gräber des ehemaligen jüdischen Friedhofs. Diese Vermutung legt ein alter Artikel der Zeitung „Der Israelit“ aus dem Jahr 1927 nahe, den Anne Prior vom Verein Stolpersteine bei Forschungsarbeiten jetzt entdeckt hat, nahe. Der Bericht wurde von Sally Moses, dem Rendanten der damaligen jüdischen Gemeinde verfasst. Danach wurden, anders als bisher bekannt, 1927 eben nicht alle Gräber des jüdischen Friedhofs, der sich vom Kreisverkehr in den Stadtpark bis an die Häuser der Schillerstraße erstreckte, auf das jüdische Gräberfeld auf dem Parkfriedhof an der B8 umgebettet.
Ratsherr Johannes Niggemeier (SPD) kündigte diese „neuen Erkenntnisse zur Verlegung“ am Dienstag im Kulturausschuss an – ohne auf deren Inhalt einzugehen. In dem Ausschuss ging es um die Bewilligung eines Mahnmals zur Erinnerung an den jüdischen Friedhof.
Das ist der aktuelle Stand
Der jüdische Friedhof wurde wegen des Straßenbahnbaus „ab 1920 in mehreren Schritten vollständig abgebaut. Die gefundenen Überreste von Verstorbenen wurden auf einer Sonderfläche auf dem Friedhof an der B8 beigesetzt, die historischen Grabsteine dort aufgestellt.“ Das schreibt die Stadt in der Vorlage für den Ausschuss.
1927 sei der kleinere Teils des jüdischen Friedhofs – also der Bereich, in dem nun der Kreisverkehr ist – „mit Zustimmung der jüdischen Gemeinde“ an die Stadt verkauft worden, sagt die Infotafel vor dem jüdischen Gräberfeld auf dem Parkfriedhof. Der größere Teil – also im Bereich des Stadtparks – sei nach der Reichspogromnacht „scheinbar ‘rechtmäßig’“ an die Stadt veräußert worden, heißt es weiter. Auch das klingt bei Moses anders: Danach wurde der jüdischen Gemeinde der Verkauf abgepresst.
Das sind die bekannten Quellen
Die einzig bislang bekannte Information über die Umbettung der Verstorbenen vom jüdischen Friedhofsteil am Kreisverkehr auf das neue Gräberfeld an der B8 stammt vom Heimatforscher Sepp Aschenbach. Die Gebeine seien damals in Säckchen gesammelt und in einem Sarg auf dem neuen jüdischen Friedhof an der B8 beigesetzt worden, schreibt Sepp Aschenbach in seinem Buch „Steine der Erinnerung“ und bezieht sich auf die Auskünfte einer Zeitzeugin aus dem Jahr 1986. Dokumente, die den Ablauf der Aufhebung des Friedhofs belegen, seien aber nicht mehr vorhanden, heißt es in den Quellenangaben Aschenbachs.
Das schrieb Sally Moses
Der nun entdeckte Bericht von Sally Moses aus „Der Israelit“ stellt die Geschehnisse anders dar. Die Zeitung war das Zentralorgan für das orthodoxe Judentum.
Sally Moses war nicht nur Berichterstatter sondern auch hoch angesehenes Mitglied der jüdischen Gemeinde. Sein Anliegen war, „die Überlieferung der Gemeinde unverfälscht zu erhalten,“ wie es in seinem Nachruf hieß.
Unter dem Titel „Die jüdische Gemeinde und ihr Friedhof“ berichtet Moses am 23. September 1927, vom Friedhof, dessen älterer Teil im Stadtpark lag und dessen neuerer Bereich auf einem Hügel im Bereich des jetzigen Kreisverkehrs. Bis 1911 wurde laut Moses der Friedhof genutzt. Dann habe die Gemeinde das Gräberfeld auf dem heutigen Parkfriedhof erworben.
Stadt soll mit Enteignung gedroht haben
Die Stadtverwaltung sei daraufhin mit dem Anliegen an die jüdische Gemeinde herangetreten, ihr das Grundstück mit dem Hügel zu überlassen. „Durch Stadtverordnetenbeschluss sollte, falls die Hergabe nicht freiwillig erfolge, ein Enteignungsverfahren eingeleitet werden“, schrieb Sally Moses. „Um nun nicht den ganzen Friedhof zu verlieren, wodurch die Gefahr bestand, dass alle Gräber umgebettet werden mussten, einigte man sich dahin, dass ein Teil des Hügels abgetragen werden soll und mit den Grabstätten auf dem noch freien Teil des Friedhofs wieder beigesetzt.“
Im März 1927 sei mit den Arbeiten begonnen worden. 79 Gräber hätten sich damals auf dem Teil des Friedhofs befunden, die ältesten mehr als 200 Jahre alt. „Die in den Grabstellen gefundenen Überreste wurden sorgsam gesammelt, in einen Beutel gelegt und in zehn Särgen auf die noch freien Teile des Friedhofs wieder beigesetzt.“ Sie wurden laut Moses also im Bereich des Stadtparks beigesetzt – nicht auf dem neuen Gräberfeld an der B8. Die Erde des Hügels „benutzte man zur Anhöhung des Friedhofsgeländes, welches erhalten geblieben ist. Wir wollen hoffen, dass den Toten nunmehr ewige Ruhe zuteil wird,“ endete Moses. Der Rechtsausschusses des preußischen Landesverbandes der jüdischen Gemeinden gab ein Jahr später bekannt, dass eine Gemeinde „niemals freiwillig ihre Rechte an einem Friedhof aufgeben“ darf.
Ein jüdischer Friedhof gilt als „Haus der Ewigkeit“: Jedes Grab bleibt für immer bestehen, die Totenruhe darf nicht gestört werden.
Sally Moses starb Ende 1927 an den Folgen einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg. Er wurde auf dem neuen Friedhof an der B8 beigesetzt. Sein Grab befindet sich noch heute dort.
Das empfahl der Kulturausschuss
Der Kulturausschuss sprach sich in der Sitzung für ein Mahnmal des Künstlers Alfred Grimm aus, das an den jüdischen Friedhof erinnern soll. Die Kosten dafür liegen bei etwa 9700 Euro. Entscheiden muss schlussendlich der Stadtrat in der Sitzung am Dienstag, 31. März.
Auch die Restaurierung des Kunstwerks „Sieben Säulen der Weisheit“ von Waldemar Kuhn wurde auf den Weg gebracht.