Dinslaken. Die beiden großen Parteien im Stadtrat, CDU und SPD, wollen den Anträgen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, zustimmen.
Die Stadt Dinslaken ist auf dem Weg, ein „Sicherer Hafen“ für Flüchtlinge zu werden. Der Rat entscheidet am heutigen Donnerstag über mehrere Anträge zu dem Thema: Kirchen, Flüchtlingsrat und Eine Welt-Gruppe fordern, Dinslaken soll bei Bedarf 50 aus Seenot gerettete Flüchtlinge über die nach dem Königsteiner Schlüssel festgelegten Quoten hinaus aufnehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Dinslaken sich tatsächlich zum „Sicheren Hafen“ erklärt, ist hoch: Die beiden großen Fraktionen wollen zustimmen.
Das sagt die SPD
Nach der CDU erklärt jetzt auch die SPD ihre Bereitschaft, die Anträge zu unterstützen. „Das ist ein Akt der Humanität gegenüber den Geflüchteten und ein Akt der Solidarität gegenüber den Mittelmeer-Anrainerstaaten“, begründet der SPD-Stadtverbandsvorsitzende Reinhard Wolf auf NRZ-Anfrage. Er beklagt die mangelnde Solidarität der EU-Länder untereinander: „Ein erbärmliches Trauerspiel.“
Es bleibe abzuwarten wie sich dieser Beschluss auswirke, so Wolf. Ob einer Gemeinde Flüchtlinge zusätzlich zugewiesen würden und wie viele das seien, entscheide das Bundesinnenministerium. „Und das wird erst dann greifen, wenn die Flüchtlingsquote in Dinslaken bei einer erneuten Welle erreicht würde.“ Derzeit erfülle Dinslaken die Quote zwar nicht, aber „man weiß ja nicht was passiert“ sagt Wolf auch mit Blick auf die Entwicklungen in der Türkei.
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Wolf geht davon aus, dass Dinslaken im Falle einer neuen „Flüchtlingswelle“ eine Kostenerstattung für zusätzlich aufgenommene Geflüchtete erhält. Allerdings werden durch die Zuschüsse nicht alle Kosten gedeckt. Im „Worst Case“, also wenn tatsächlich 50 Menschen zusätzlich aufgenommen würden, kämen 100.000 bis 150.000 Euro Kosten auf die Stadt zu, so die Rechnung des SPD-Stadtverbandsvorsitzenden. Die SPD geht zudem davon aus, dass die Antragsteller „sich in die Integration einbringen.“ Dass das die wichtigste Aufgabe sei, hätten die Jahre 2015 und 2016 gezeigt.
Dass die EU-Länder erst Recht keine Notwendigkeit sehen könnten, Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sich in Deutschland zunehmend Städte zum Sicheren Hafen erklären, sei „die Kehrseite“ des Antrages, so Wolf. „Dessen muss man sich bewusst sein.“ Es sei eine „Abwägungsfrage“ ob man dem „Druck aus sozialen Medien oder einer bestimmten Partei“ nachgebe. „Wir haben uns aus humanitären und solidarischen Gründen für den Antrag entschieden.“
Das sagen andere Parteien
Die CDU hat – wie berichtet -- schon vor vier Wochen erklärt, den Anträgen zuzustimmen. „Dinslaken kann die Probleme dieser Welt nicht allein lösen, aber es kann einen kleinen Teil dazu beitragen“, so begründete Fraktionsvorsitzender Heinz Wansing die Haltung der CDU. Auch Lilo Wallerich (Grüne), die selbst in der Flüchtlingsarbeit tätig ist, will den Anträgen zustimmen.
Offensive Dinslaken und Limit haben ihre Ablehnung erklärt. „Wo bleibt unsere Abwägung, ob wir nicht eine Sogwirkung erzielen, wodurch sich noch mehr Menschen der Gefahr aussetzen werden, über den Seeweg zu flüchten. Ich werde jedenfalls mit meiner Stimme im Rat keine kriminellen Schlepperbanden unterstützen“, so Limit-Ratsherr Mirko Perkovic. Er führt zudem die Kosten an fragt, „wie über 50 weitere Personen dort (in der Fliehburg) untergebracht werden sollen“.
Das sind die Kosten
Die Stadt beziffert die Kosten mit rund 12.100 Euro pro Person und Jahr. Solange eine Person die Kriterien des Flüchtlingsaufnahmegesetz erfüllt und Asylbewerberleistungen erhalte, habe Dinslaken Anspruch auf eine monatliche Pauschale in Höhe von 866 Euro Kostenerstattung des Landes. „Ob weitere Flüchtlinge aufgenommen werden, die ja ebenfalls durch das Land zugewiesen werden müssten, ist für die Kostenerstattung des Landes unerheblich“, diese sei gesetzlich im Flüchtlingsaufnahmegesetz geregelt, so Stadtsprecher Marcel Sturm.
Wenn der Asylantrag abgelehnt wird, endet die Kostenerstattung des Landes nach drei Monaten. Anfang 2018 betraf das 154 Menschen, für die die Stadt jährlich 1.600.368 Euro nicht erstattet bekommt.
Das sind aktuelle Zahlen
Im ersten Halbjahr 2019 sind 51 Flüchtlinge nach Dinslaken gekommen, 16 Menschen weniger als die Stadt laut Erfüllungsquote aufnehmen sollte. Die Quote liegt bei 93,94 Prozent. Die Situation habe sich „normalisiert“, so die Stadt Dinslaken in einem Bericht für den Sozialausschuss. In der Fliehburg leben 408 Geflüchtete. Anfang 2016 waren es 930. Aktuell sind noch 602 freie Plätze vorhanden – allerdings sind wegen aktueller Sanierungsmaßnahmen nicht alle Plätze verfügbar.
Die Flüchtlingszahlen in Dinslaken entwickeln sich seit Anfang 2016 nach unten. Damals waren es 930 Menschen, Anfang 2018 waren 471 Flüchtlinge in Dinslaken, Anfang 2019 waren es 431.
Beispiel Flensburg: Erfahrungen nach einem Jahr „Sicherer Hafen“
Deutschlandweit haben sich bereits 108 Kommunen oder Kreise zu „Sicheren Häfen“ erklärt. Eine der ersten war die Stadt Flensburg in Schleswig-Holstein. Flensburg hat etwa 90.000 Einwohner, ist also etwas größer als Dinslaken und ist seit einem Jahr „Sicherer Hafen“. Wir haben bei der Stadt Flensburg nach Erfahrungen und nach den Auswirkungen des Beschlusses gefragt.
Die Entscheidung, ein „Sicherer Hafen“ zu werden und aus Seenot gerettete Geflüchtete aus dem Mittelmeer aufzunehmen „wird im vollen Umfang von Politik und Stadtverwaltung getragen“, berichtet der Sprecher der Stadt Flensburg, Christian Reimer. Zusätzlich sei die Stadt dem „Bündnis Städte Sicherer Häfen“ beigetreten.
„Faktisch nicht spürbar“
Weil sich das Land Schleswig-Holstein Anfang des Jahres ebenfalls bereit erklärt hat, Mittelmeerflüchtlinge zusätzlich über Artikel 17 der Dublin-Verordnung aufzunehmen, musste laut Reimer keine Regelung gefunden werden, die lediglich für die Stadt Flensburg gelte, sondern für alle aufnahmebereiten Städte, Kreise und Kommunen. Das Land verteilt die Geflüchteten quotal im Rahmen des gültigen Verteilungsschlüssels innerhalb der Sicheren Häfen in Schleswig-Holstein, so der Stadtsprecher.
In Flensburg leben derzeit 3532 Flüchtlinge, 2016 waren es etwa 2000 Geflüchtete. „Bis jetzt wurden der Stadt Flensburg drei von insgesamt 22 aus Seenot geretteten Geflüchteten, die in Schleswig-Holstein angekommen sind, zugewiesen. Diese Zahl ist faktisch nicht spürbar und keine zusätzliche Belastung für unsere Regelsysteme,“ so Christian Reimer.
Flensburg empfiehlt Beitritt zum „Bündnis Städte Sicherer Häfen“
Flensburg habe sich „unabhängig von der derzeitigen guten praktischen Lösung bereit erklärt, bis zu 20 Mittelmeerflüchtlinge zusätzlich aufzunehmen“, berichtet er weiter – weil die Stadt über die entsprechenden Aufnahmekapazitäten verfüge und „zum anderen aber auch aus unserer humanitären Verpflichtung heraus, Menschen in Not zusätzlich aufzunehmen, bis es eine EU-weite Lösung gefunden wurde“.
Das „Bündnis Städte Sicherer Häfen“ habe jetzt die Bundesregierung aufgefordert, sich „für eine langfristige Lösung zur Sicherung der Aufnahme aus Seenot geretteter Menschen auf europäischer Ebene einzusetzen“ und die Finanzierung für die Kommunen zu sichern. „Sollte es in Dinslaken zu einer positiven Entscheidung kommen, könnte ein Beitritt im Bündnis Städte Sicherer Häfen eine gute Ergänzung zur Vernetzung und zum fachlichen Austausch sein“, so Reimer.