Duisburg/Dinslaken. . Am zweiten Prozesstag lieferte der Sohn der 58-jährigen Dagmar E. aus Dinslaken ein umfangreiches Geständnis. Wegen Totschlags ist er angeklagt.

Alexander E. (25) redet. Und redet. Redet fast vier Stunden lang vor dem Landgericht Duisburg. Unvermittelt steigt er ins Thema ein: „Abenezer hat mich gefragt, was ich machen würde, wenn er meine Mutter umbringen würde. Ich dachte, es sei nur ein Test...“. Er bedient sich der Comic-Sprache: „...der so: heul-heul am Telefon...“, wird dramatisch: „Ich habe Todesangst gehabt, dass Abenezer und Kalab mir auch was antun!“, oder präzise: „Hinter dem letzten Pfahl 20 Schritte in den Wald haben wir eine Grube ausgehoben. So tief...“. Dort, im Hünxer Wald, wurde die Dinslakener Kosmetikerin Dagmar E. verscharrt. Drei junge Männer aus Äthiopien sind des Mordes angeklagt. Am zweiten Prozesstag lieferte der Sohn des 58-jährigen Opfers, angeklagt wegen Totschlags durch Unterlassen, ein umfangreiches Geständnis.

Wie ernst nahm Alexander E. die Mordpläne der Brüder wirklich, von denen er drei Wochen vor der Tat am 30. September 2014 erfahren haben will? Hat Dagmar E. ihn nicht zuvor massiv unter Druck gesetzt, seine Ausbildung ernst zu nehmen? War sie ihm und den drei befreundeten Brüdern nicht lästig, weil sie ein Darlehen über 6000 Euro zurückhaben wollte, und zwar bald?

In all den Geschichten, Episoden und Versatzstücken, mit denen Alexander E. seine Aussage zur Sache, zum Mord an seiner Mutter, verkleidet, offenbart sich eine bedingungslose Abhängigkeit des Angeklagten zu den Brüdern, die mit Rastalocken, Drogendeals, chillen, einer Vorliebe für Skateboards und Horrorfilme sehr cool dahergekommen sein mögen.

Pulli in die Jeans gestopft

Er selbst wirkt dagegen schmächtig und viel jünger mit seinen schwarzen Bürstenhaaren und der Hornbrille, den blauen Pulli in die zu weite Jeans gestopft. Geradezu eilfertig streckt er dem Wachmann die Hände entgegen, um sich Handschellen anlegen zu lassen.

Bereits bei der polizeilichen Vernehmung nach Alexanders Festnahme im April 2015 war dessen krankhaft wirkende Emotionslosigkeit aufgefallen, und sie ist auch vor Gericht verstörend. Alexander E. beschreibt, wie Abenezer (19) und Kalab (21) seine Mutter erstickten und bis auf die Unterwäsche entkleideten, sie in einen Müllsack steckten und mit Packband aus der Vorratskammer verschnürten. Sich dann „The Purge – Anarchy“ auf DVD anschauten, das Opfer in die orange Patchworkdecke einschlugen, „mit der meine Mutter immer auf dem Sofa gesessen hat“, und sie in den Wald brachten. Er sagt nur, dass er vor Aufregung den Film nicht verstanden habe. Aber die Erinnerung löst nichts aus bei ihm. Kein Bedauern. Kein Mitleid mit der toten Mutter.

Dabei hat die Geschäftsfrau alles gegeben, um ihm ein schönes Zuhause zu ermöglichen – Eigentumswohnung, Taschengeld, Auto, sie finanziert ihm eine Ausbildung in einer privaten Hochschule, die er schleifen lässt, selbst da fährt sie zu Alexanders Chef nach Düsseldorf, versucht, das Praktikum des Sohnes zu retten.

Auf der Berufsschule, mit 18, hat Alexander Israel, den ältesten der Brüder kennengelernt, der sich bald schamlos seines Autos bedient. 2014 kommen die beiden Brüder Kalab und Abenezer ebenfalls nach Deutschland, in Wesel unterhält der Vater einen Kiosk. Vor allem mit Abenezer wird Alexander unzertrennlich, der unentwegt Geld fordert, „weil er glaubte, meine Mutter sei Millionärin“. Sogar für Bordellbesuche in Duisburg will Alexander aufgekommen sein.

Golf der toten Mutter gefahren

Immer mehr verstrickt sich Alexander E. in finanzielle Schwierigkeiten. Auch nach dem Tod der Mutter kein Ende – während Alexander bis zu seiner Verhaftung ein halbes Jahr später Freundinnen der verschwundenen Mutter und seiner Oma den besorgten Sohn vorgaukelt, verhökert er alles, was sich von ihr zu Geld machen lässt: Schmuck, Ipod, sogar den Kosmetikstuhl. Mit dem Geld, so erzählt er, habe er den Brüdern Lebensunterhalt und Drogen bezahlt. Israel habe sogar den Golf der toten Mutter gefahren, Abenezer wollte, dass er die Eigentumswohnung verkauft: „Aber die war ja noch nicht abgezahlt.“

Prozessauftakt im Mordfall Dagmar E.

Der Schicksal der getöteten Dagmar E. hat viele Menschen bewegt. Monate nach ihrem Verschwinden fanden die Ermittler ihre Leiche vergraben im Hünxer Wald. Der 25-Jährige ist einer der vier Angeklagten, die sich seit Dienstag vor dem Duisburger Landgericht für die Tat verantworten müssen.
Der Schicksal der getöteten Dagmar E. hat viele Menschen bewegt. Monate nach ihrem Verschwinden fanden die Ermittler ihre Leiche vergraben im Hünxer Wald. Der 25-Jährige ist einer der vier Angeklagten, die sich seit Dienstag vor dem Duisburger Landgericht für die Tat verantworten müssen. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Die 58-jährige Kosmetikerin, die im Dinslakener Bruch lebte, war am 30. September 2014 zuletzt lebend gesehen und anschließend von ihrem Sohn als vermisst gemeldet worden.
Die 58-jährige Kosmetikerin, die im Dinslakener Bruch lebte, war am 30. September 2014 zuletzt lebend gesehen und anschließend von ihrem Sohn als vermisst gemeldet worden. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Der Sohn gab an, sie am Abend zuletzt in der Wohnung gesehen zu haben.
Der Sohn gab an, sie am Abend zuletzt in der Wohnung gesehen zu haben. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Lange suchte die Polizei nach den angeblichen Internetkontakten der Frau, bis der Sohn ins Visier der Ermittler geriet.
Lange suchte die Polizei nach den angeblichen Internetkontakten der Frau, bis der Sohn ins Visier der Ermittler geriet. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Der heute 25-Jährige war es auch, der die Polizei Ende April dieses Jahres zu der Leiche seiner Mutter führte.
Der heute 25-Jährige war es auch, der die Polizei Ende April dieses Jahres zu der Leiche seiner Mutter führte. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Angeklagt sind außerdem drei Brüder im Alter von 19, 21 und 26 Jahren, die mit dem Sohn von Dagmar E. befreundet waren.
Angeklagt sind außerdem drei Brüder im Alter von 19, 21 und 26 Jahren, die mit dem Sohn von Dagmar E. befreundet waren. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Die jüngeren beiden Geschwister müssen sich wegen gemeinschaftlichen Mordes, der Älteste wegen Anstiftung zum Mord verantworten.
Die jüngeren beiden Geschwister müssen sich wegen gemeinschaftlichen Mordes, der Älteste wegen Anstiftung zum Mord verantworten. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Der Sohn des Opfers ist wegen Totschlags angeklagt.
Der Sohn des Opfers ist wegen Totschlags angeklagt. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Bei ihm sieht die Anklage das Mordmerkmal „Heimtücke“ nicht erfüllt, so ein Sprecher des Landgerichts.
Bei ihm sieht die Anklage das Mordmerkmal „Heimtücke“ nicht erfüllt, so ein Sprecher des Landgerichts. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Laut Anklageschrift spielte sich der Tathergang nach dem Stand der bisherigen Ermittlungen so ab: Die beiden jüngeren Brüder sollen im Auftrag des Älteren Dagmar E. in ihrer Wohnung in Dinslaken getötet haben, indem sie die Frau von hinten angriffen, ihr Mund und Nase zuhielten und sie zu Boden rissen.
Laut Anklageschrift spielte sich der Tathergang nach dem Stand der bisherigen Ermittlungen so ab: Die beiden jüngeren Brüder sollen im Auftrag des Älteren Dagmar E. in ihrer Wohnung in Dinslaken getötet haben, indem sie die Frau von hinten angriffen, ihr Mund und Nase zuhielten und sie zu Boden rissen. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Der Sohn hat sich demnach im gleichen Raum aufgehalten, ohne aktiv einzugreifen.
Der Sohn hat sich demnach im gleichen Raum aufgehalten, ohne aktiv einzugreifen. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Laut Anklage soll er von den Mordabsichten des Trios gewusst und die Tat nicht verhindert haben.
Laut Anklage soll er von den Mordabsichten des Trios gewusst und die Tat nicht verhindert haben. © Lars Heidrich / Funke Foto Services
Die Ankündigung will er nach eigenen Angaben zunächst nicht ernst genommen haben.
Die Ankündigung will er nach eigenen Angaben zunächst nicht ernst genommen haben. © dpa
Im Prozess wird auch die Frage der Schuldfähigkeit des Sohnes eine Rolle spielen.
Im Prozess wird auch die Frage der Schuldfähigkeit des Sohnes eine Rolle spielen. © dpa
Der entscheidende Hinweis auf die mutmaßlichen Täter und das Mordmotiv kam schließlich von einer Freundin des Opfers, die sich an ein Telefongespräch am Tag vor der Tat erinnerte.
Der entscheidende Hinweis auf die mutmaßlichen Täter und das Mordmotiv kam schließlich von einer Freundin des Opfers, die sich an ein Telefongespräch am Tag vor der Tat erinnerte. © dpa
Sie wusste, dass Dagmar E. dem älteren der Brüder 6000 Euro geliehen hatte und die Rückzahlung der Summe verlangte.
Sie wusste, dass Dagmar E. dem älteren der Brüder 6000 Euro geliehen hatte und die Rückzahlung der Summe verlangte. © dpa
Daraufhin überprüften die Ermittler die Handydaten der Verdächtigen und hörten ein Gespräch ab, in dem es möglicherweise darum ging, an den Platz zurückzukehren, an dem die Leiche vergraben lag und Spuren zu beseitigen.
Daraufhin überprüften die Ermittler die Handydaten der Verdächtigen und hörten ein Gespräch ab, in dem es möglicherweise darum ging, an den Platz zurückzukehren, an dem die Leiche vergraben lag und Spuren zu beseitigen. © dpa
Verteidiger Markus Horstmann mit drei der Angeklagten.
Verteidiger Markus Horstmann mit drei der Angeklagten. © dpa
Der Vorsitzende Richter Ulrich Metzler leitet den Prozess. Für das Verfahren sind zwölf Verhandlungstage angesetzt. Ende Februar wird das Urteil erwartet.
Der Vorsitzende Richter Ulrich Metzler leitet den Prozess. Für das Verfahren sind zwölf Verhandlungstage angesetzt. Ende Februar wird das Urteil erwartet. © dpa
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