Oberhausen. Am 26. Mai 1985 gewann der Oberhausener Norbert Brinkmann mit Bayer 05 Uerdingen im Finale gegen Bayern München den DFB-Pokal. Ein Interview.
26. Mai 1985, 18 Uhr: Schiedsrichter Werner Föckler pfeift das Pokalfinale zwischen Bayer 05 Uerdingen und dem FC Bayern München im Berliner Olympiastadion an. Die Rollen sind klar verteilt, hatten die Münchner doch zuvor keines ihrer sieben Endspiele verloren. „Von zehn Spielen verlierst du wahrscheinlich neun. Aber nicht dieses“, sagt der Oberhausener Norbert Brinkmann mit Blick auf jenen heißen Maitag, der wie kaum ein zweiter in die Vereinsannalen eingehen sollte. Denn trotz der Underdog-Rolle behielten die Krefelder vor 35 Jahren mit 2:1 die Oberhand.
Norbert Brinkmann, Jahrgang 1952, war als 20-Jähriger von seinem Jugendverein Sterkrade 06/07 an die Grotenburg gewechselt und sicherte sich als Vorstopper schnell einen Stammplatz. Dabei stieg „Nobby“ dreimal mit Uerdingen in die Bundesliga auf, kam 1986 durch das legendäre 7:3 gegen Dynamo Dresden bis ins Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger und beendete die Saison 1985/86 als Tabellendritter. „Eine unvergessliche Zeit“, so Brinkmann, der sich mit der Sportredaktion über das Pokalfinale ‘85 unterhielt, Horst Feilzers Kaugummi-Suche und wer den Pokal nach Abpfiff mit ins Bett nahm.
Herr Brinkmann, wenn Sie an jenen 26. Mai 1985 zurückdenken: Was ist das erste, was Ihnen durch den Kopf geht?
Die Gänsehaut, die ich den ganzen Tag über hatte und auch jetzt habe, wenn ich zurückblicke. Die ganze Atmosphäre war unbeschreiblich, schließlich war es das erste Mal, dass das Finale in Berlin ausgetragen wurde, wo es seit diesem Tag immer ausgetragen wird. Und vor 70.000 Zuschauern spielt man auch nicht alle Tage. Was mir auch noch sofort einfällt, ist der katastrophale Rasen. Überall waren Löcher und, da er vorher nicht gewässert wurde, pulvertrocken.
Nicht gerade die besten Voraussetzungen für den großen Coup.
Ich selbst hätte eigentlich nicht spielen sollen. Zwei Monate vorher hatte ich eine Wadenzerrung erlitten und erst eine Woche vor dem Endspiel wieder mit dem Training begonnen. Die ganze Zeit hatte ich Schmerzen, außer im Finale, da lief alles rund. Insgesamt waren wir schon krasser Außenseiter, wobei das Selbstvertrauen groß war. Wir hatten eine eingespielte Mannschaft, wo jeder wusste, worauf es ankommt. Und die Sympathien im Stadion gehörten uns, dafür hatten die Bayern schon selbst gesorgt.
Wie das?
Vor uns wurde das Damen-Finale zwischen dem FSV Frankfurt und dem KBC Duisburg ausgetragen (Anm. d. Red. Frankfurt gewann 4:3 nach Elfmeterschießen). Und noch während das Spiel lief, begannen sich die Münchner auf dem Platz warm zu machen. Da hat das ganze Stadion natürlich gepfiffen und so hat Bayern sich selbst ein wenig zum Feindbild aufgebaut.
Dennoch kam der FC Bayern besser ins Spiel, führte nach acht Minuten mit 1:0.
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Ja, die Anfangsphase gehörte den Bayern. Als dann das 1:0 durch Dieter Hoeneß fiel, war der erste Gedanke: Wenn die jetzt den zweiten Treffer nachlegen, dann werden die ihren Stiefel runter spielen und wir sehen kein Land mehr. Aber zum Glück fiel quasi im Gegenzug das 1:1 durch Horst Feilzer.
Ein Tor, das auch deshalb Berühmtheit erlangte, weil Feilzer nach dem Jubel sein Kaugummi aus dem Mund fiel.
Horst hat immer mit Kaugummi gespielt. Vor dem Spiel war allerdings keins da, weshalb er sich bei einem Reporter eines besorgt hatte. Beim Torjubel ist es ihm dann rausgefallen, aber zum Glück hat er es schnell wieder gefunden. Dabei habe ich mich besonders über das Tor gefreut, war Hoeneß doch mein Gegenspieler, auch wenn die Bayern das klasse herausgespielt haben. Wohl auch deshalb habe ich Horst besonders fest umarmt, wobei er nicht zuletzt deshalb das Kaugummi verloren hat (lacht).
„Kalli Feldkamp hielt immer eine super Ansprache“
Trainer jener Bayern-Bezwinger vom 26. Mai 1985 von Bayer 05 Uerdingen war der Oberhausener Kalli Feldkamp, der als Spieler ausschließlich für Rot-Weiß Oberhausen das Trikot überstreifte und als Trainer neben den Pokalerfolg mit Uerdingen auch noch mit Eintracht Frankfurt (1988) und dem 1. FC Kaiserslautern (1990) den Pott holte. „Feldkamp hielt immer eine super Ansprache und war ein toller Motivator, der nicht umsonst so viele Erfolge errungen hat“, sagt Norbert Brinkmann.
Bayer Uerdingen: Werner Vollack; Matthias Herget, Karl-Heinz Wöhrlin, Norbert Brinkmann, Ludger van de Loo, Horst Feilzer (61. Peter Loontiens), Friedhelm Funkel, Wolfgang Funkel, Werner Buttgereit, Wolfgang Schäfer, Lárus Guðmundsson (82. Wayne Thomas).
Bayern München: Raimond Aumann; Klaus Augenthaler, Wolfgang Dremmler, Norbert Eder, Holger Willmer (72. Michael Rummenigge), Lothar Matthäus, Søren Lerby, Hans Pflügler, Roland Wohlfarth (51. Bertram Beierlorzer), Dieter Hoeneß, Ludwig Kögl.
Tore: 1:0 Hoeneß (8.), 1:1 Feilzer (9.), 1:2 Schäfer (68.).
Zuschauer: 70.398.
Apropos Dieter Hoeneß: Dem Bayern-Angreifer hatten Sie kurz darauf ein paar Worte mit auf dem Weg gegeben.
Ich habe zu ihm gesagt. „Langer, das Ding könnt ihr heute nicht gewinnen.“ Das Selbstvertrauen ist einfach von Minute zu Minute größer geworden. Über die 90 Minuten waren wir einfach das bessere Team.
Erst recht durch den Platzverweis von Bayerns Wolfgang Dremmler in Minute 48?
Um ehrlich zu sein, hat der Platzverweis uns weniger in die Karten gespielt. Bayern ist dadurch noch mal aufgewacht und hat bis zur letzten Minute kämpferisch alles gegeben. Aber mit dem 2:1 durch Wolfgang Schäfer waren wir endgültig auf der Siegerstraße.
Jener Wolfgang Schäfer, der den Pokal danach mit ins Bett nahm?
Ja, das war vielleicht eine Nummer. Später hat er uns erzählt, dass die Security mitten in der Nacht bei ihm vorm Hotelzimmer stand und den Pokal zurückforderte. Insgesamt verliefen die Feierlichkeiten aber gesittet ab. Ein Teil der Mannschaft ist im Hotel geblieben und hat gemeinsam mit ihren Frauen gefeiert, während die Junggesellen noch die Stadt unsicher gemacht haben. Da ich mir selbst nichts aus Alkohol mache, habe ich nicht über den Durst getrunken. Dafür haben die anderen richtig zugeschlagen. Wohl auch deshalb haben wir danach keins der noch vier Liga-Spiele mehr gewonnen.
Und verpassten so ganz knapp Platz fünf und die UEFA-Cup-Teilnahme?
Ja, dass war schon ärgerlich. Aber letztlich war einfach bei vielen Spielern die Luft raus. Ich hätte zwar gerne noch die zusätzliche Prämie mitgenommen, aber letztlich hat sich ja alles positiv entwickelt. Schließlich hatten wir uns durch den Pokalsieg für den Europapokal der Pokalsieger qualifiziert. Und da lief es ja auch nicht so schlecht für uns.
Dass Uerdingen überhaupt im Finale stand, hatte man ihrem entscheidenden Treffer zum 1:0 gegen den damaligen Zweitligisten 1. FC Saarbrücken im Halbfinale zu verdanken.
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Ich habe nicht viele Tore in meiner Laufbahn geschossen, aber wenn, war es meist der entscheidende Treffer. Es war die Art von Spiel, wo man Stunden hätte spielen können, ohne dass ein Treffer gelingt. Und da ich uns die Verlängerung und das Elfmeterschießen ersparen wollte, habe ich das Ganze eben selbst in die Hand genommen.
Wir würden Sie sich selbst als Fußballer beschreiben?
Meine Trainer haben an mir besonders meine Laufbereitschaft, meine Zweikampfstärke und meinen Einsatzwillen geschätzt. Ich war in jedem Training im Wettkampfmodus, weil ich einfach immer gewinnen wollte.
Sie sprachen zu Beginn die tolle Atmosphäre im Berliner Olympiastadion an. Mit Blick auf die aktuellen Geisterspiele: Wie sehr fehlen dem Fußball die Fans?
Wenn die Kiste voll ist, ist das ein ganz anderes Gefühl. Das hat mich immer beflügelt, weshalb solche Geisterspiele nichts für mich wären. Aber um die Saison sportlich zu Ende zu bringen, was ich für richtig halte, gibt es während der Corona-Krise leider keine Alternative. Mit dem Abstand halten hätte ich aber wohl so meine Probleme gehabt, habe ich doch immer an meinen Gegenspielern geklebt wie die Klette.