Essen. Als der Frauenfußball in Essen von nun an erstklassig war und blieb. Die drei Essener Trainer lassen die 20 Jahre Revue passieren.

Etwas mehr als 20 Jahre ist es her, dass die SGS Essen die Frauenfußball-Welt im Stadtteil Schönebeck völlig auf den Kopf stellte. Erst am letzten Spieltag fing die Mannschaft Spitzenreiter Wattenscheid 09 mit einem Sieg im direkten Duell noch ab und qualifizierte sich für die Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Und dort ging der Höhenflug weiter: Die SGS setzte sich erst gegen Niederkirchen, dann gegen TB Berlin durch und war unverhofft in der Beletage des deutschen Frauenfußballs angekommen.

„Am Tag danach haben wir uns zusammengesetzt. Die Frage war: Was machen wir jetzt?“, erinnert sich Aufstiegstrainer Ralf Agolli an den „Betriebsunfall“. „Wir hatten nichts. Keine Mannschaft, keinen Platz, kein Equipment – einfach nichts. Aber wir haben uns in das Abenteuer 1. Liga gestürzt.“ Es war der Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte: Denn an diesem Sonntag (18.30 Uhr, Hafenstr.) startet die gegen Eintracht Frankfurt in ihre 20. Saison in der Eliteliga.

Daniel Kraus ist mittlerweile Leiter in Wolfsburg

„Wahnsinn“, findet das Agolli, der die ersten Kapitel geschrieben hat und einer von nur drei Cheftrainern über diesen langen Zeitraum ist. „Kirsten Schlosser war als Co-Trainerin sogar ununterbrochen dabei, einfach verrückt“, erklärt Daniel Kraus, der mittlerweile Sportlicher Leiter im Nachwuchsbereich des VfL Wolfsburg ist, zuvor aber zugleich Nachfolger und Vorgänger von Markus Högner war. Kontinuität macht er als ein Erfolgsgeheimnis der SGS aus.

Die aber musste Agolli in den ersten Jahren überhaupt erst aufbauen. „Wir hatten damals noch nicht so einen Unterbau mit so guten Nachwuchsspielerinnen wie heute“, erklärt er. Wie es die SGS dennoch schaffte, sich in der Eliteliga festzusetzen? „Wir hatten damals das Glück, dass wir aus Duisburg die dort ausgemusterten Steffi Löhr, Stephanie Schubert und Melanie Hoffmann verpflichten konnten. Und dann ist ein mannschaftliches Kollektiv entstanden, das einfach funktioniert hat.“

Högner ist der älteste Trainer der Liga

Dafür attestiert ihm Högner heute „eine wirklich gute Arbeit“. Nach einem Jahr im Abstiegskampf übernahm er 2010 das Ruder, obwohl der Frauenfußball für ihn Neuland bedeutete. „Aber als ich das erste Mal auf dem Trainingsplatz stand, wusste ich: Das hier kann was werden.“ Mittlerweile ist er der dienst-älteste Trainer der Liga. Allerdings musste auch Högner im ersten Jahr noch um den Klassenerhalt zittern, formte dabei aber eine Mannschaft, die fortan im oberen Mittelfeld und 2014 erstmals im DFB-Pokalfinale stand.

Vorgänger und Nachfolger: Daniel Kraus (rechts) löste Markus Högner ab, ehe dieser ihn wieder „beerbte“.
Vorgänger und Nachfolger: Daniel Kraus (rechts) löste Markus Högner ab, ehe dieser ihn wieder „beerbte“. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Und noch wichtiger: Es entstand das Konzept zur Talentschmiede. „Markus ist dafür genau der richtige Trainer“, findet Kraus. „Ihn zeichnet aus, dass er sehr dem Menschen zugewandt ist. So hat er unglaublich viele Talente entwickelt.“ Und davon profitierte auch er, als er Högner, den es als Co-Trainer zur Nationalelf zog, 2016 ablöste. „Ich hatte eine junge, sehr talentierte Mannschaft mit Lea Schüller und Linda Dallmann an der Spitze.“ Und so erreichte die SGS unter Kraus in der Saison 2018/19 mit Platz vier ihre bisher beste Platzierung.

Högners zweite Amtszeit begann ebenso verheißungsvoll: Er führte die Essenerinnen zum zweiten Mal ins Pokalfinale, das der VfL Wolfsburg erst im Elfmeterschießen gewann. Damals spielte die SGS fast mit der halben Nationalelf: Marina Hegering, Stina Johannes, Turid Knaak, Lea Schüller, Nicole Anyomi, Jana Feldkamp und Lena Oberdorf. Nur waren die nicht länger zu halten. „Im Sommer 2020 kam der große Cut“, erinnert sich Högner.

Ein Jahr erbitterter Abstiegskampf

Es folgte ein Jahr erbitterter Abstiegskampf, bevor er Schönebeck wieder in ruhigeres Fahrwasser manövrierte. „Die SGS hat es immer verstanden, sich auf die neuen Anforderungen in der 1. Liga einzustellen. Das spricht für eine große Qualität. Dazu kann man nur sagen: Hut ab“, lobt Kraus. „Wirklich eine enorme Leistung“, stimmt Agolli zu.

Nur hegt er Zweifel, ob das noch lange gut geht. „Ich wünsche der SGS, dass es auch ein 30-jähriges Jubiläum gibt, aber ich glaube nicht daran. Die Macht des Geldes ist zu groß.“ Dabei spielt er auf die vielen Lizenz-Vereine an, die an die Spitze des Frauenfußballs drängen. „Vielleicht kann perspektivisch eine Vergrößerung der Liga helfen“, hofft Kraus.

Der Konkurrenzkampf wird immer größer

Natürlich sieht auch Högner diese Entwicklung: „Wir müssen der Realität ins Auge blicken: Die Aufsteiger werden immer stärker und der Konkurrenzkampf um die Liga-Plätze immer größer.“ Hinzu kommt, dass auch immer mehr Top-Klubs in den eigenen Nachwuchs investieren und der SGS Talente streitig machen.

„Entscheidend wird sein, dass es uns gelingt, auch Spielerinnen halten zu können, die anderswo im Fokus stehen. Wir brauchen diese Kontinuität, sonst wird es schwierig.“ In der neuen Saison ist diese Voraussetzung in jedem Fall gegeben.

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