Am Niederrhein. Geklaute Elfmeterpunkte sind Teil der Historie von Fußball-Bundesligist Fortuna Düsseldorf - auch rund um das Skandalspiel 2012 gegen Hertha BSC.
Geklaute Elfmeterpunkte zählen zur Historie von Fortuna Düsseldorf. Als es dem Verein im Sommer 2001 finanziell mal wieder so richtig schlecht ging, bemächtigten sich Unerkannte eines Nachts der beiden Elfmeterpunkte im Paul-Janes-Stadion zu Flingern, Fortunas Heimatstadtteil. Die Rasenstücke wurden vom „Kommando rettet Fortuna“ entführt, medienwirksam drei Wochen lang in Ketten gelegt und sogar auf Wasserentzug gesetzt. Der damalige Oberbürgermeister Joachim Erwin betrachtete die Lösegeld-Forderung der Geiselnehmer von einer Million D-Mark (plus X) als heroischen Verzweiflungsakt – und verhalf dem damals notorisch stümperhaft geführten Fußballklub zu einer Arena. Mühsame Entschuldung inklusive.
Live im Fernsehen von Alaska bis Feuerland
Gut elf Jahre nach der Entführungsklamotte erinnerte sich zumindest einer von 51.000 anwesenden Zuschauern in der Arena an das legendäre Schmunzelstück und führte es live vor Fernsehzuschauern in 142 Ländern auf. Beobachtet von Alaska bis Feuerland und Marokko bis Südkorea. Der Elfmeterklau per Messer auf dem Düsseldorfer Arena-Rasen beim 2:2 (1:1) im Bundesliga-Aufstiegsspiel am 15. Mai 2012 gegen Hertha BSC gilt als kurioser Höhepunkt einer der größten Skandalabende der deutschen Profifußballgeschichte.
Mit Ach und Krach und einem 2:2 gegen den MSV Duisburg hatte Fortuna Relegationsplatz drei verteidigt: mit vier Toren Vorsprung vor dem FC St. Pauli. Der 2:1-Hinspielsieg in Berlin vor 68.000 Zuschauern war dann eine schwere Überraschung. Aber kein Ruhekissen.
Im Rückspiel ging es rauf und runter. Beister traf mit einem Fernschuss in der ersten Minute, Ben-Hatira glich für Hertha aus – sah dazu aber später Gelb/Rot. In Überzahl traf Jovanovic zum 2:1 für Düsseldorf. Das bewegte Herthas Fans dazu, ein Feuerwerk abzubrennen – auch auf dem Rasen. Fortunas Anhänger zogen nach. Schiedsrichter Wolfgang Stark unterbrach die Partie für einige Minuten.
Richtig kribbelig wurde es nach Raffaels Ausgleich fünf Minuten vor dem Spielende. Hertha drängte auf das rettende 3:2, das den Klassenerhalt bedeutet hätte. Düsseldorfer Zuschauer verschafften sich indes gegen tatenlose Ordner freudetrunken Zugang zum Spielfeld.
Anderthalb Minuten vor dem möglichen Schlusspfiff stürmte die nicht mehr zu bändigende Meute beim vermeintlichen Schlusspfiff von Referee Stark den Platz. Der wilde, aber verfrühte Aufstiegsjubel zog eine 20-minütige Unterbrechung nach sich. Die Herthaner fühlten sich nun ihrer Haut nicht mehr sicher, spielten aber die finalen 90 Sekunden in einem diskussionswürdigen Rahmen zu Ende und waren beim erneuten Platzsturm abgestiegen. Für Trainer Otto Rehhagel war es in seinem letzten Pflichtspiel mit 73 Jahren sicher ein Tiefpunkt der Karriere.
Maischberger: „Taliban der Fußballfans“
Die Düsseldorfer Aufstiegseuphorie auf der anderen Seite wurde noch am gleichen Abend von Zweifeln torpediert. Die Berliner forderten wegen irregulärer Bedingungen ein Wiederholungsspiel.
Die Geschehnisse wurde sogleich seziert. Im ARD-Brennpunkt, bei „Hart, aber fair“, bei Sandra Maischberger, die Ultras gar als „Taliban der Fußballfans“ bezeichnete.
Auch die Gerichte des Deutschen Fußball-Bundes bekamen Arbeit. War es ein friedlicher Platzsturm aus der Freude über die Bundesliga-Rückkehr nach 15 Jahren? Oder war der Relegationsabend eher „Ausnahmezustand – wie beim Fliegerangriff über Essen im Zweiten Weltkrieg“, wie es Hertha-Trainer Rehhagel dem Sportgericht glaubhaft machen wollte.
Das DFB-Sportgericht und auch das Bundesgericht schmetterten den Berliner Antrag auf Wiederholungsspiel im ersten Versuch und in der Berufung am 25. Mai ab. Der DFB-Kontrollausschuss beantragte am 12. Juni ein Geisterspiel, das vermeintlich erste in der Bundesliga-Geschichte, und 100.000 Euro Geldstrafe gegen die Fortuna. Dazu gab es 50.000 Euro Geldstrafe gegen Hertha BSC. Das Sportgericht vollstreckte dies am 28. Juni.
18 Monate Sperre gegen Kobiaschwili
Fortunas Einspruch gegen das Geisterspiel hatte Erfolg. Es gab zwei Spiele mit Teilausschluss der Zuschauer. Gegen Gladbach und Freiburg durfte jeweils 30.000 Fans in die Arena. Unter den Dauerkartenbesitzern musste gelost werden, wer zuschauen durfte und wer zu Hause bleiben musste.
Das erste Geisterspiel der Bundesliga-Historie wurde übrigens erst viel später ausgetragen – am 11. März 2020 im Borussia-Park zwischen Gladbach und Köln wegen der Corona-Krise.
Die härteste Strafe des Düsseldorfer Skandalabends vom Mai 2012 kassierte indes ein Hertha-Spieler. Levan Kobiaschwili wurde wegen eines Angriffs auf Schiedsrichter Stark im Kabinengang zu 18 Monaten Sperre verurteilt, der höchsten in der Bundesliga-Geschichte. Stark stellte später sogar Strafanzeige gegen Kobiaschwili.
Übrigens: Der Elfmeter-Dieb wurde im November 2012 von Fortuna auf stattliche 50.000 Euro Schadensersatz verklagt, weil er das geklaute Stück Arena-Rasen auf der Internet-Plattform Facebook versteigern wollte. Beide Seiten einigten sich später außergerichtlich auf ein Stadionverbot für Düsseldorfer Heimspiele und eine deutlich niedrigere Geldstrafe.
Die Statistik zum Skandalspiel:
Fortuna Düsseldorf - Hertha BSC 2:2 (1:1)
Fortuna: Ratajczak - Levels, Langeneke, Lukimya, van den Bergh - Bodzek, Fink - Bröker, Ilsö (46. Jovanovic), Lambertz (90. Juanan) - Beister (77. Matuschyk).
Hertha BSC: Kraft - Janker (72. Lell), Hubnik, Mijatovic, Kobiaschwili - Niemeyer, Ronny (90.+4 Bastians) - Rukavytsya (72. Ebert), Raffael, Ben-Hatira - Adrián Ramos
Tore: 1:0 Beister (1.), 1:1 Ben-Hatira (22.), 2:1 Jovanovic (59.), 2:2 Raffael (85.).
Schiedsrichter: Wolfgang Stark (DJK Altdorf).
Zuschauer: 51.000 (ausverkauft).
Gelbe Karten: Lambertz, Jovanovic, van den Bergh – Janker, Ronny, Ebert, Mijatovic, Kobiaschwili.
Gelb/Rot: Ben-Hatira (54. Min./Foulspiel).
Hinspiel; Hertha BSC - Fortuna Düsseldorf 1:2 (1:0)
Tore: 1:0 Hubnik (19.), 1:1 Bröker (64.), 1:2 Adrián Ramos (71./Eigentor).