Gelsenkirchen. Schalke 04 erlebt wieder einmal Chaostage. Ein neuer Trainer muss gefunden werden und ein Vorstandschef. Bei einer Personalie sieht es gut aus.

Die Sonne über Gelsenkirchen war noch gar nicht aufgegangen, als bei Thomas Reis das Telefon klingelte und er in diesem Moment ahnte, was auf ihn zukommt. Zu einem persönlichen Gespräch wurde der 49-Jährige mit seinem Co-Trainer Markus Gellhaus gebeten, und das noch am frühen Morgen. Nur kurze Zeit später teilten Sportvorstand Peter Knäbel und Sportdirektor André Hechelmann dem Trainer-Duo die Freistellung mit – die zwölfte eines S04-Trainers in elf Jahren. In einer an Chaos reichen Klubgeschichte gibt es ein weiteres Kapitel. Tollhaus Schalke.

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Und so betrat Reis am Mittwoch zum letzten Mal als Trainer das Vereinsgelände, auf dem er rund zwei Monate zuvor von Zehntausenden Fans beim Schalke-Tag hymnisch gefeiert wurde – eine Verlängerung des bis 2024 gültigen Vertrages schien nur Formsache zu sein. Doch was ist in diesen acht Wochen bis zum Spiel in St. Pauli am Samstag (1:3) passiert? „Wir sind in eine Ergebniskrise geschlittert, die wir mit allen Mitteln bekämpft haben, um eine Kurskorrektur zu schaffen. Wir haben gegen Magdeburg einen Sieg der Moral gefeiert. Dieser Trend hat sich in St. Pauli aber nicht fortgesetzt“, sagte Knäbel, er wirkte bei der Pressekonferenz am Mittwoch kurz angebunden, frustriert.

Schalke: Hechelmann wirkt nervös, fast hilflos

Drei Tage waren zwischen dem Abpfiff des Pauli-Spiels und der Freistellung vergangen. Warum? „André hat sich die Zeit genommen, den Wochenanfang atmosphärisch auf sich wirken zu lassen. Wir haben sehr kontrovers diskutiert“, sagte Knäbel. Und Hechelmann, im Gegensatz zu Knäbel nervös, fast hilflos wirkend, ergänzte: „In dem Moment, in dem die Überzeugung nicht mehr gegeben ist, dann müssen wir handeln. Wir haben keine Zeit zu verschenken.“

Schalke-Trainer Thomas Reis muss gehen. Bis zuletzt war er sehr beliebt bei den Fans.
Schalke-Trainer Thomas Reis muss gehen. Bis zuletzt war er sehr beliebt bei den Fans. © firo | Jürgen Fromme

Für Hinweise auf atmosphärische Störungen zwischen Trainer und Mannschaft hätte Hechelmann aber nicht noch den Montag gebraucht. Ende August hatte Reis die Spieler zu einer Sitzung versammelt und ergebnisoffen diskutieren lassen – zum Beispiel über die Taktik und die Trainingszeiten. Widerworte habe es nicht gegeben, sagte Reis stets. Hinter vorgehaltener Hand aber beschwerten sich die Spieler. Und Innenverteidiger Timo Baumgartl bestätigte das nach dem Pauli-Spiel. Reis’ Pressing-Taktik sei „ein Spiel mit dem Feuer“, sagte Baumgartl und risikobehaftet. Baumgartl wurde dafür bestraft – aber der Trainer war irreparabel angeschlagen.

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Nun übernimmt mindestens für das Spiel beim SC Paderborn (Freitag, 18.30 Uhr/Sky) der bisherige Assistenztrainer Matthias Kreutzer. „Die Zeit für Matze ist knapp, aber vertretbar, weil er die Mannschaft gut kennt“, sagte Hechelmann. Einen Bankplatz hatte Kreutzer unter Reis nicht, er saß auf der Tribüne und hielt per Funk Kontakt. Auch Kreutzer erfuhr erst am frühen Morgen von seiner Beförderung. „Es ist herausfordernd, weil das nächste Spiel unmittelbar bevorsteht“, sagte der 40-Jährige ehrlich. Will er die Taktik ändern? „Thomas Reis hat seine Überzeugung, ich meine. Ich habe ein paar Dinge im Kopf.“

Das Ziel der Schalker bleibt die Bundesliga-Rückkehr, die Aufstiegsplätze sind lediglich sechs Punkte entfernt. Aber Knäbel ist eins bewusst: „Die Erwartungshaltungen holen uns jetzt ein. Der Satz ,Wir wollen und werden aufsteigen’ ist ein Beispiel für den selbst auferlegten Druck.“ Ein Druck, mit dem auch der neue Trainer wird leben müssen.

Peter Knäbel steht auf Schalke vor dem Aus

Die Suche nach einem neuen Mann beginnt direkt mit mehreren Problemen. Das größte: Knäbel ist in neun Monaten mit großer Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr Sportvorstand – und entscheidet dennoch über die Zukunft mit. Knäbels Vertrag endet am 30. Juni 2024, ein Abstieg und mehrere fehlerhafte Personalentscheidungen haben den Aufsichtsrat an ihm zweifeln lassen. Ein neuer Vorstandschef ist noch nicht gefunden. Die Verhandlungen mit dem Topkandidaten befinden sich nach Informationen dieser Zeitung auf der Zielgeraden. In wenigen Wochen wollen die Schalker den Namen verkünden.

Das zweite Problem: Eine kluge interne Lösung steht nicht bereit. Interimstrainer Kreutzer sowie Jakob Fimpel (U23) und Thomas Bertels (U17) genießen im Klub große Anerkennung – alle drei haben aber die Fußballlehrer-Lizenz noch nicht erworben. Ex-U17-Trainer Onur Cinel wäre ein passender Kandidat gewesen, wie Knäbel selbst sagte, doch der trainiert seit Juli das RB-Salzburg-Farmteam FC Liefering in Österreich.

Schalke muss sich extern umsehen. Eine Liste mit potenziellen Trainerkandidaten liegt lange in Hechelmanns Schublade, wie er sagte. Seit gestern Vormittag spricht er sich mit Knäbel und dem Aufsichtsrat ab und verkleinert den Kandidatenkreis. Er ist überzeugt davon, dass es viele Interessenten gibt. „Es ist eine große Ehre, für Schalke 04 arbeiten zu dürfen“, sagte Hechelmann.

Schalke feuert Thomas Reis: Alle News und Infos

Von den aktuell vereinslosen Trainern sind Sandro Schwarz (bis April bei Hertha BSC) und Robert Klauß (bis Oktober 2022 beim 1. FC Nürnberg) die interessantesten, die nicht aus einem Vertrag herausgekauft werden müssten. Hechelmann kennt Schwarz sehr gut aus vielen gemeinsamen Jahren bei Mainz 05, als Schwarz Trainer und Hechelmann Chefscout war. Schwarz kennt durch seine Zeit in Berlin große Vereine – Stressresistenz und der Umgang mit einer emotionalen Öffentlichkeit sind auch Einstellungskriterien.

Klauß war Assistent unter Julian Nagelsmann und Ralf Rangnick bei RB Leipzig (2018 bis 2020), schloss die Trainer-Ausbildung als Jahrgangsbester ab. Durch seine Zeit in Nürnberg kennt er die Zweite Liga.

Ein Feuerwehrmann soll es nicht sein, auch bei der Vorstellung des 13. Cheftrainers seit 2014 wird das Wort „dauerhaft“ fallen. „Ich wünsche mir gerade auf dieser Position Kontinuität“, sagte Knäbel.

Schalke: Spätestens nach dem Hertha-Spiel soll der Trainer da sein

Spätestens nach dem Spiel gegen Hertha BSC (8. Oktober) wollen die Schalker die Trainer-Entscheidung verkünden. Bis dahin gilt: kein Cheftrainer, kein Vorstandsvorsitzender, ein Sportvorstand auf Abruf, eine stark verunsicherte Mannschaft, und das alles bei erheblicher finanzieller Schieflage – Tollhaus Schalke eben.