Dortmund. . Der Klassiker wird zur klassischen Lehrstunde: Der BVB wird beim 0:4 von Bayern vorgeführt. Und Harry Kane ist das Symbol der Überlegenheit.
Tief im Dortmunder Stadion musste man am späten Samstagabend das BVB-Ergebnis gar nicht kennen, um zu erahnen, wie einseitig das vermeintliche Topspiel verlaufen sein musste. Verstohlen verließen die Borussen den Kabinentrakt, schauten stumm auf ihre Smartphones, während sie darauf warteten, dass endlich ein Auto kam, um sie fortzubringen.
Marcel Sabitzer versteckte sich unter seiner Kapuze, Nico Schlotterbeck hockte, ohne zu reden, auf einer Treppenstufe. Torhüter Gregor Kobel räumte ein: „Es war zu wenig, das kotzt einen an.“
Dieses „Das“, das war die 0:4-Pleite für Borussia Dortmund gegen den FC Bayern.
Dayot Upamecano hingegen, Münchens Abwehrkämpfer, verriet, dass er in dem kurzen Gespräch vor seinem Tor Gegenspieler Nico Schlotterbeck gesagt habe, dass es ihm gut gehe, ehe er ihm weggelaufen war und die frühe Führung geköpft hatte (4.). Leon Goretzka, Münchens Dampflok, erzählte, dass es schöneres gebe, als mit einer bandagierten Hand aufzulaufen, die Partie aber Spaß gemacht habe. Thomas Müller, Münchens spielende Kultfigur, scherzte, dass Harry Kane langsam mal das Hotelzimmer wechseln müsse, „oder doch endlich mal ein Haus finden, das dazu passt, dass er die ganzen Hattrick-Bälle gut unterbringt.“
Harry Kane beim BVB: Lichtgestalt mit Ball in der Tüte
Und jener Kane, Münchens Lichtgestalt? Der federte wie die anderen Bayern zum Mannschaftsbus, den Spielball in einer Plastiktüte. Erneut hatte der Engländer drei Tore (9./72./90.+3) geschossen – wie schon gegen Bochum und Darmstadt. Vor allem aber war der 30-Jährige das Symbol für die Überlegenheit im einseitigen Topspiel, das die Bundesliga als Klassiker vermarktet; als klassisch wird von den meisten Fußball-Fans aber mittlerweile das Versagen der Dortmunder in diesem Duell wahrgenommen. Der Vizemeister muss sich nach diesen 90 Minuten eingestehen, dass sich der Rivale in anderen Sphären bewegt und es kompliziert werden dürfte, sich den Traum von der Meisterschaft endlich zu erfüllen.
„Seien wir ehrlich: Wir waren in allen Bereichen die schlechtere Mannschaft“, gab Dortmunds Trainer Edin Terzic zu. „Wenn du gegen die Bayern Chancen kreieren möchtest, brauchst du was in der Hose und Mut“, sagte Julian Brandt.
Der Mut aber fehlte, die Zuversicht, die Entschlossenheit, obwohl sich der BVB vor dem Anpfiff auf einem Hoch befand, in der Liga noch nicht verloren hatte und die Münchener diejenigen waren, deren Seelenheil nach der Pokal-Blamage in Saarbrücken hätte angekratzt sein können. Doch „besonders gegen uns rufen die Bayern ihre beste Saisonleistung ab. Für sie ist es dann ein Spiel, in dem es um mehr geht als drei Punkte“, meinte Terzic.
Seine Spieler bekamen Harry Kane nie zu greifen. Der echte Neuner bewegte sich wie eine falsche Neun, tauchte im Mittelfeld auf, schlich sich auf die Außenbahnen, streichelte Pässe auf die nach vorne stürmenden Offensivkräfte Leroy Sané, Jamal Musiala und Kingsley Coman. Und, ach ja, er schloss auch noch souverän ab, überwand den in vielen Momenten herausragenden Gregor Kobel dreimal. Etwa 100 Millionen Euro haben die Münchener für Kane ausgegeben. Die Dortmunder konnten sich stattdessen nur Niclas Füllkrug für 15 Millionen Euro leisten, der in dem ungerechten Vergleich mit dem Weltklasse-Angreifer äußerst schlecht wegkam.
Fast alle Dortmunder enttäuschten, einige besonders: Marius Wolf war als Rechtsverteidiger überfordert, wurde in der Halbzeit gegen Niklas Süle getauscht. Salih Özcan wirkte als Can-Ersatz im Zentrum hilflos, Marcel Sabitzer blieb ohne Einfluss. Nur Marco Reus schien sich in seinem 400. Dortmunder Spiel richtig wehren zu wollen. Der ehemalige Kapitän vergab die größte Chance während des kurzen Aufbäumens in Hälfte zwei (56.). Ein Aufflackern. Mehr nicht.
Das BVB-Programm: Schon jetzt kommt Newcastle
Denn schon der Start ging schief. Sané drehte einen Eckball in den Fünfmeterraum, Kobel verharrte auf der Linie, Hummels sprang unter dem Ball her, Schlotterbeck blieb nicht beim köpfenden Upamecano (4.). Beim zweiten Gegentor ließ sich Wolf von Sané mit der Hacke düpieren, im Zentrum fehlten Özcan und Sabitzer, sodass Goretzka nach vorne wetzen konnte. Dieser setzte wieder Sané ein, der passte auf den freien Kane (9.). Bei Gegentor drei ließen sich Schlotterbeck und Hummels ausspielen, Gegentor vier resultierte aus einem Süle-Fehlpass. „Wir können viel besser spielen“, sagte Kobel.
Wirklich? Dass dies nur ein Ausrutscher nach unten war, können die Dortmunder schnell beweisen. Bereits am Dienstag (18.45/Prime) kommt es in der Champions League zum Heimspiel gegen Newcastle United. Die Bayern spielen einen Tag später zu Hause gegen Galatasaray Istanbul (21 Uhr/DAZN).
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In der Bundesliga sehe es nun so aus, analysierte Thomas Müller, dass der Hauptkonkurrent um die Meisterschaft Bayer Leverkusen sei. Allerdings sagte BVB-Trainer Edin Terzic: „Nach solchen Rückschlägen sind wir immer wieder zurückgekommen. Das wird uns auch diesmal gelingen.“