Hamburg. Eine neue Anweisung an die Schiedsrichter sorgt für viel weniger Diskussionen bei der EM. Die Bundesliga prüft, ob sie nachzieht.

Es tat sich Erstaunliches am Mittwochabend in Hamburg: Spieler in roten und Spieler in weißen Trikots diskutierten erregt, schubsten einander, der eine oder andere Spieler musste festgehalten werden, um nicht noch schlimmere Dinge zu tun. Dazwischen lief Schiedsrichter Istvan Kovacs umher und verteilte munter Gelbe und Rote Karten. 18 Gelbe Karten hatte der Rumäne im Gruppenspiel zwischen der Türkei und Tschechien (2:1) am Ende gezeigt, ein Rekord für eine Europameisterschaft, dazu zwei Platzverweise.

„Der Schiedsrichter war echt schlecht und sehr arrogant“, meinte Tschechiens Kapitän Tomas Soucek. „Der beste Schiedsrichter ist der, der keinen Einfluss auf das Spiel nimmt“, sagte Soucek: „Aber dieser Schiedsrichter wollte der Mann des Spiels sein.“ Auch der türkische Kapitän Hakan Calhanoglu schimpfte. Für ihn sei der Referee eine „Katastrophe“ gewesen. „Er war arrogant, man konnte gar nicht mit ihm sprechen.“

Auch Calhanoglu hatte Gelb gesehen, er fehlt den Türken im Achtelfinale gegen Österreich. „Ich bin zum Schiedsrichter gelaufen und wollte meine Spieler wegtreiben. Ich habe dann versucht, mit ihm zu sprechen“, sagte der Mittelfeldspieler über die Szene: „Er hat mir direkt die Gelbe Karte gegeben. Da frage ich mich, warum wir als Spielführer mit dem Schiedsrichter nicht reden können.“ Schließlich sei genau das die Ansage der Uefa vor dem Turnier gewesen.

Rudelbildung schien bei EM fast ausgestorben

Man sah in Hamburg Szenen, die fast schon ausgestorben schienen. Ja, es gibt sie noch, die gute alte Rudelbildung, das war eine Erkenntnis aus dem Gruppenspiel zwischen der Türkei und Tschechien. Sie schien ja fast ausgestorben in den ersten Wochen dieser Europameisterschaft.

Rudelbildung im Hamburger Volksparkstadion: Schiedsrichter Istvan Kovacs zeigt diesmal die Rote Karte.
Rudelbildung im Hamburger Volksparkstadion: Schiedsrichter Istvan Kovacs zeigt diesmal die Rote Karte. © AFP | JOHN MACDOUGALL

In der Bundesliga sieht man es Woche für Woche: ein Pulk von Spielern, die erregt auf den Schiedsrichter einreden, Spieler, die wie von der Tarantel gestochen auf den Schiedsrichter zurennen und ihn anbrüllen, Spieler, die bei jedem Pfiff gegen sich wild lamentieren.

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Bei der EM dagegen hatten die Schiedsrichter bislang meist ihre Ruhe. Weil die Ansage vor dem Turnier klar war: Nur noch die Kapitäne dürfen mit dem Schiedsrichter reden, oder, wenn der Torhüter Kapitän ist, ein zuvor bestimmter Vertreter. Alle anderen Spieler bekommen Gelb. Das werde man sehr konsequent durchsetzen, gab Roberto Rosetti vor, Schiedsrichter-Boss der Uefa. Er besuchte vor dem Turnier alle Mannschaftsquartiere und kündigte an: Die Schiedsrichter würden die Regeln konsequent umsetzen, zur Not auch Spieler vom Platz stellen.

Ittrich: „Die Spieler wissen, dass sofort eine Konsequenz folgt“

Erstaunlicherweise klappte die Umsetzung von Tag eins an, die Diskussionen gingen deutlich wahrnehmbar zurück – weil die Schiedsrichter von Beginn an konsequent auftraten, meint Patrick Ittrich, selbst Schiedsrichter in der Bundesliga und während der EM als Experte für Magenta aktiv. „Die Spieler wissen, dass sofort eine Konsequenz folgt“, sagt Ittrich. „Das ist wie bei Kindern zu Hause. Wenn du willst, dass die etwas nicht machen, musst du ihnen Konsequenzen androhen – und sie dann auch umsetzen.“

Bei der EM als Experte für Magenta aktiv: Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich.
Bei der EM als Experte für Magenta aktiv: Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich. © dpa | Fabian Strauch

Was hatte es nicht alles schon für Versuche gegeben, die Rudelbildung zu unterbinden. Auch in der Bundesliga kündigten die Schiedsrichterbosse immer wieder ein härteres Vorgehen an, es waren sogar mal Rote Karten angedroht für das Auslösen einer Rudelbildung. Dann gingen die ersten paar Spieltage ins Land und alles war wieder wie zuvor – weil die Schiedsrichter nicht konsequent umsetzen, was vorgegeben war. Hinzu kommt das „Phänomen des Turniers“, wie Ittrich es nennt: Wer weiß, dass er nach nur zwei Gelben Karten gesperrt ist, reißt sich eher zusammen. Bisher zumindest. „Wir müssen noch abwarten, wie es jetzt in der K.o.-Phase funktioniert, wenn es um alles geht“, sagt Ittrich. „Wenn in den Schlussminuten ein entscheidender Elfmeter gepfiffen wird – bleiben dann wirklich alle Beteiligten ruhig, auf dem Platz und daneben?

DFB beobachtet die EM ganz genau

Das wird auch die Leitung der Spitzenreferees beim Deutschen Fußball-Bund genau beobachten und nach dem Turnier auswerten. „Die Frage, ob und inwieweit die Uefa-Anweisung künftig auch im deutschen Profifußball zum Tragen kommen soll und wird, besprechen wir intensiv auch gemeinsam mit der DFL und den Zuständigen im DFB für den Spielbetrieb in der 3. Liga und dem DFB-Pokal“, heißt es dort. „Wir verfolgen die Auftritte und Leistungen der Schiedsrichter bei der Europameisterschaft sehr genau und werten die Erkenntnisse aus dem gesamten Turnier gründlich aus. Dazu gehört auch die Umsetzung der Anweisung, dass nur der Kapitän der Mannschaft, die über eine Entscheidung diskutieren möchte, den Schiedsrichter ansprechen darf.“

Patrick Ittrich hat dazu eine klare Haltung. „Natürlich würde ich mir das wünschen, ich hätte es mir schon vor 15 Jahren gewünscht“, sagt er. Wenn es denn auch konsequent umgesetzt wird.

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