Berlin. Die spanische Elf ist der neue Europameister. Sie gewann ein mitreißendes, packendes Finale 2:1. Der Schmerz der Engländer hält weiter an.

Und dann traf Spanien doch noch, als die 90. Minute in Berlin bereits ganz nah war, grätschte Mikel Oyarzabal in eine Flanke, überwand so Torhüter Jordan Pickford. Durch dieses Tor in der 86. Minute gewann die spanische Elf ein mitreißendes Finale der Europameisterschaft 2024 in Deutschland 2:1 (0:0) und ist der verdiente Europameister.

Diese EM hatte Momente, die verzauberten, wie der sensationelle Achtelfinaleinzug Georgiens, wie das wunderbare Weitschosstor des Schweizers Xherdan Shaqiri, wie die Wasserfälle im Dortmunder Stadion, wie die mutigen Auftritte der deutschen Nationalelf.

Spanien hat alle sieben Spiele bei dieser EM 2024 gewonnen - ein Genuss

Ach, und dann hatte die EM diese Spanier, die alle sechs Spiele bis zum Finale gewonnen haben – und jetzt noch die siebte Begegnung obendrauf. Die Auswahl von Trainer Luis de la Fuente hat den überlegtesten, besten Fußball geboten. Sie traute sich, weit vorne zu attackieren, sie verstand es, den Ball in den eigenen Reihen zu halten, und sie hatte auch etwas Unberechenbares. Dani Olmo, 26, kann aus dem Nichts explodieren. Wunderkind Lamine Yamal wird bereits mit Lionel Messi verglichen. Flügeldribbler Nico Williams, 22, gehört zu den Entdeckungen des Turniers. Alles wird im Zentrum zusammengehalten von Rodri, 28; es bräuchte schon eine Rugbymannschaft, um ihm mal einen Ball abzunehmen.

Nico Williams (vorne) und Lamine Yamal: Zwei spanische Stars der EM.
Nico Williams (vorne) und Lamine Yamal: Zwei spanische Stars der EM. © Jürgen Fromme / firo Sportphoto | Jürgen Fromme

Von 2008 bis 2012 hat die spanische Nationalelf den Fußball dominiert, dann traten große Spieler ab, magerere Jahre folgten. Jetzt ist eine neue Generation nach oben geklettert, es dürfte schwierig werden, sie von dort wieder zu verdrängen.   

England bei der EM 2024, diesmal sollte es endlich klappen

Auf der anderen Seite die Engländer. Dreimal hat das Land aus dem Nordwesten Europas überhaupt erst ein großes Endspiel erreicht, das Finale am Sonntagabend war das erste außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Ausgerechnet in Berlin, in Deutschland, 1966 gelang gegen den ewigen Rivalen im WM-Finale der bislang einzige Titelgewinn durch das Wembley-Tor, das eigentlich gar kein Treffer war. Es folgten Jahrzehnte der Enttäuschungen, der Missgeschicke, der verschossenen Elfmeter. Das Mutterland des Fußballs hat viele, viele großartige Spieler hervorgebracht, Kevin Keegan, David Beckham, Steven Gerrard, Wayne Rooney, aber nie sollte eine Großveranstaltung glücklich enden.

„Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten einen Ball und am Ende gewinnen immer die Deutschen”, hat Englands Legende Gary Lineker einst gesagt. Oder eben Spanien.  

Das Finale im Berliner Olympiastadion war ein Duell zweier Mannschaften, die beide auf Kontrolle setzen, dabei jedoch ganz unterschiedliche Mittel benutzen. Spanien möchte den Ball. England zieht sich lieber zurück und hatte den leichteren Weg ins Endspiel, musste in den K.o.-Spielen die Slowakei, die Schweiz und die Niederlande aus dem Weg räumen. Die spanische Elf hatte Georgien, Gastgeber Deutschland und Frankreich besiegt.

Nun musste sie es mit einer Auswahl aufnehmen, die dem Erfolg alles unterordnet, die kämpfen, beißen kann. Auch diesmal wagten sich die Three Lions nur selten nach vorne, meist positionierten sie sich in der eigenen Hälfte, um den Spaniern keine Räume zu geben. In der zwölften Minute wetzte Spaniens Nico Williams in den gegnerischen Sechzehnmeterraum, John Stones grätschte ihn rigoros um. Damit war die Duftmarke gesetzt.

EM-Finale - ein Moment kann alles verädern

Aber: Ein Moment kann alles verändern. Kurz nach der Halbzeitpause war dieser Moment gekommen. Eigentlich musste Spanien gerade verdauen, dass Taktgeber Rodri angeschlagen in der Kabine blieb, doch Lamine Yamal setzte zu einem Dribbling an. Erst am Samstag hatte das Wunderkind seinen 17. Geburtstag gefeiert, jetzt zog es von der linken Seite nach innen, passte auf Nico Williams. Der hatte aus englischer Sicht viel zu viel Platz, sodass der 22-Jährige überlegt und kühl in die rechte Ecke abschloss (47.). Und plötzlich war das bis dahin maue Endspiel ein wildes, mitreißendes Duell. Schon zwei Minuten später hätte Olmo erhöhen können. Álvaro Morata (55.) und Williams (57.) hatten das 2:0 auf dem Fuß.

Der Moment des England-Ausgleichs durch Cole Palmer.
Der Moment des England-Ausgleichs durch Cole Palmer. © AFP | JAVIER SORIANO

Englands Trainer Gareth Southgate wagte einen bemerkenswerten Schritt. Er nahm Kapitän Harry Kane herunter, brachte den Halbfinal-Helden Ollie Watkins (61.). Southgates Mannschaft spielte nun wütender, mutiger. Jude Bellinghams Schuss rauschte links vorbei (63.). Vor dem anderen Tor entschärfte Torhüter Jordan Pickford einen Schuss von Yamal (66.). Und dann? Ein kollektiver Jubelschrei. Bellingham legte auf den ebenfalls eingewechselten Cole Palmer ab, der aus 20 Metern die linke Ecke traf (73.). Nun war das Spiel wieder offen.

EM-Finale 2024: England-Fans gegen Spanien klar in der Überzahl

Die englischen Fans, eindeutig in der Überzahl, hatten sich am Marathontor ausgebreitet, aber auch in allen anderen Teilen des Olympiastadions sah man weiße Farbtupfer. Jeden rustikalen Zweikampf kommentierten sie mit lauten Jubelschreien. Spaniens Marc Cucurella, dessen Handspiel im Viertelfinale gegen Deutschland nicht geahndet wurde, wurde bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen, dies hatten sich die englischen anscheinend von den deutschen Fans abgeschaut. Zweifelhafte Völkerverständigung.

Jetzt dröhnten die Gesänge von den Rängen, kaum einen hielt es noch auf seinem Platz. Williams, Olma und Yamal passten sich durch die englische Abwehr. Ein Genuss. Pickford aber hielt Yamals Schuss (81.). Zum Haareraufen, zum Nägelkauen. Dann traf Mikel Oyarzabal. Die Entscheidung.