Herzogenaurach. Der Flügelstürmer vom FC Bayern München ist noch nicht bei der EM angekommen. Martin Harnik und Max Kruse wählen deutliche Worte.

Leroy Sané lief ganz am Ende der Mannschaft. An der Seite seines Münchener Kumpels Jamal Musiala drehte der 28-Jährige am Mittwochmorgen die Aufwärmrunde über den Trainingsplatz der Nationalmannschaft in Herzogenaurach. Ein Bild, das symbolisch steht für die aktuelle Rolle des Flügelstürmers in der DFB-Auswahl. Anders als EM-Star Musiala hat Sané keinen Platz in der ersten Reihe. Oder genauer gesagt, in der ersten Elf. Drei Mal kam er beim Turnier bislang als Einwechselspieler rein. Drei Mal blieb der Mann, der Spiele alleine entscheiden kann, ohne entscheidende Aktionen. Anders als etwa Niclas Füllkrug, der jeweils in der gleichen Minute eingewechselt wurde wie Sané, aber schon zwei Tore erzielte.

Der Nationalspieler polarisiert aber weniger mit seinen Leistungen, als viel mehr mit seiner Körpersprache. „Der einzige, der mir nicht gefallen hat, war Leroy Sané“, sagte der langjährige Bundesligastürmer Martin Harnik in seinem Podcast „Flatterball“, den er zusammen mit Max Kruse moderiert, über Sanés Auftritt beim 1:1 gegen die Schweiz. „Und das nicht, weil ihm nicht alles gelungen ist. Er war bemüht, hat auch viele Aktionen gehabt. Aber von der Körpersprache her kann er noch nicht akzeptieren, dass er nicht zur ersten Elf zählt. Das muss er ganz, ganz schnell umstellen“, sagte Harnik.

Max Kruse nennt Leroy Sané einen „Fremdkörper“ im DFB-Team

Der Ex-Nationalspieler Österreichs, der bei der EM als TV-Experte für Servus TV im Einsatz ist, weiß aus langer Erfahrung, dass so ein Thema in die Kabine ausstrahlen kann. „Man hat gemerkt, dass er nicht einverstanden ist mit der Rolle. Er muss jetzt unfassbar schnell den Schalter umlegen, weil er sonst gar nicht mehr berücksichtigt wird von Nagelsmann“, sagte Harnik. Und auch Kruse, der 14 Mal für Deutschland spielte, sagte über Sané: „Man hat gemerkt, dass er ein bisschen ein Fremdkörper ist.“

Die Eindrücke der beiden Ex-Nationalspieler, so viel sei gesagt, sind aus der Ferne sowie am Fernseher entstanden. Genau wie der von Marcel Reif, der bei „Bild TV“ sagte: „Ich würde mir wünschen, dass er jetzt mal explodiert. Er kann über die Körpersprache zeigen, dass er bereit ist.“

Wer Sané bei den Bayern oder der Nationalmannschaft beobachtet, der weiß aber auch, dass er eben kein Füllkrug ist, der mit Worten und Emotionen auffällt und so seine Mitspieler mitzieht. Er ist ein Spieler für die besonderen Aktionen und ein Spieler, der eine besondere Führung benötigt. Das hat Bundestrainer Julian Nagelsmann Anfang des Jahres in einem Spiegel-Interview beschrieben, als es um Motivationsmaßnahmen und Belohnungssysteme ging. „Leroy bekommt man damit, wenn man ihm mal einen freien Tag in Aussicht stellt. Dann hat er danach wieder den Kopf frei und ist voll bei der Sache“, verriet Nagelsmann und zog einen Vergleich: „Joshua Kimmich dagegen kann mit freien Tagen eher wenig anfangen, der will trainieren, trainieren, trainieren.“

DFB-Team: Rudi Völler spricht über Leroy Sané

Freie Tage gibt es für Sané während der EM nicht, höchstens mal trainingsfrei. Doch wenn die Startelf sich an den Tagen nach den Spielen ausruhen durfte, musste Sané zum Spiel-Ersatztraining. Am Mittwochmittag schrieb der Münchener bei Adidas in Herzogenaurach Autogramme. Die DFB-Verantwortlichen sind sich sicher, dass der Bayern-Star bei dieser EM noch wichtig wird. „Er kam verletzt hier her, musste anders trainieren“, sagte Sportdirektor Rudi Völler am Mittwoch bei der Pressekonferenz über Sané, der in den Wochen vor der EM aufgrund einer Schambeinverletzung nur sehr eingeschränkt trainieren konnte. „Die Schmerzen kommen und gehen, aber ich komme damit doch sehr gut klar“, sagte Sané vor dem Turnierstart.

Für Nagelsmann geht es nun darum, den Flügelstürmer in die richtige Spur zu kriegen. Als der Bundestrainer vor einem Jahr bei den Bayern entlassen wurde, kümmerte sich Nachfolger Thomas Tuchel vor allem darum, Sané wieder Selbstvertrauen zu geben. Gleich in seinem ersten Training verpasste Tuchel ihm demonstrativ einen Tritt in den Hintern.

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An guten Tagen nicht zu stoppen: Leroy Sané, verfolgt von zwei Schotten beim Auftaktspiel der EM. © Getty Images | Clive Mason

Diesen könnte Sané nun womöglich auch mal wieder gebrauchen. „Mit seiner Qualität, auch wenn er sie noch nicht gezeigt hat, ist er eine große Waffe“, sagte Völler. „Wenn du solche Spieler einwechseln kannst, werden beim Gegner die Antennen ausgefahren.“

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Zum Beispiel auch am Samstag im Achtelfinale gegen Dänemark in Dortmund (21 Uhr/ZDF). Gegen die defensivstarken Skandinavier um die drei Wikinger Jannik Vestergaard (1,99 Meter), Joachim Andersen (1,92) und Andreas Christensen (1,87) wird es vor allem darum gehen, spielerische Lösungen zu finden, Lücken zu reißen und Eins-gegen-eins-Situationen zu kreieren. Eine Aufgabe wie prädestiniert für Sané, der mit seinem Tempo und seinen Qualitäten im Dribbling genau das Element ist, das die Deutschen gegen die Dänen brauchen werden.

DFB-Team: Rückt Sané für Wirtz in die Startelf?

Für einen Startelfeinsatz wird es für Sané aber voraussichtlich noch nicht reichen. Es sei denn, Nagelsmann gibt Florian Wirtz eine Pause. Der Leverkusener hatte nach seinem Traumstart gegen Schottland zuletzt gegen Ungarn und die Schweiz nicht mehr den ganz großen Einfluss auf das Spiel. Rudi Völler, der Wirtz in Leverkusen lange begleitet hat, sieht das aber anders. „Flo hatte gegen die Schweiz super Aktionen. Es ist ein Genuss, ihn spielen zu sehen. Er ist ein überragender Spieler. Wir brauchen seine Aktionen“, sagte Völler.

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Münchner Freunde beim DFB-Training: Jamal Musiala (l.) und Leroy Sané. © Getty Images | Alexander Hassenstein

Und wenn Wirtz wieder nicht seinen besten Tag erwischt, hat Nagelsmann mit Sané eben immer noch einen weiteren Weltklassespieler auf der Bank. In der K.o.-Phase ist es nun an der Zeit, dass Sané mal wieder zeigt, dass er das auch wirklich ist.  

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