Budapest. Eindrücke von der Leichtathletik-WM in Budapest: Der Kampf um Aufmerksamkeit geht weiter, und alte Probleme bleiben.

So riecht also die Welt. Menschen aus über 200 Nationen kommen gerade in Budapest zusammen, um ein großes Leichtathletikfest zu feiern. Und sie alle schwitzen. Ungarns Hauptstadt ächzt seit Beginn der Weltmeisterschaft am vergangenen Samstag unter einer Hitzewelle. Doch die große olympische Kernsportart vermag es trotz extremer Temperaturen jenseits der 30 Grad, ihre Anhänger ins Stadion zu locken.

Nach Doha und Eugene/Oregon sowie vor Tokio 2025 findet wieder eine WM in Europa statt. An mehreren Wettkampftagen war das rund 35.000 Zuschauer fassende Stadion Nemzeti Atlétikai Központ ausverkauft. Um ihre Stars live zu erleben, quetschen die Fans sich in überfüllte Straßenbahnen, strampeln auf dem Fahrrad oder laufen, umweht von Fahnen, am Ufer der Donau entlang. Die Leichtathletik hat ihre Faszination noch nicht verloren. Doch was für einen Eindruck hinterlässt diese WM?

Klimawandel beeinflusst den Sport - WA-Chef will umdenken

Die Hitze ist eines der großen Themen von Budapest. Die hohen Temperaturen lassen nicht nur die Zuschauer schwitzen, sie haben auch Einfluss auf die Sportlerinnen und Sportler, deren Hitzemanagement ähnlich wie 2019 bei den Wettkämpfen in Katars Hauptstadt Doha ein entscheidender Leistungsfaktor geworden ist. Wieder sah man etwa Geher wie Christopher Linke mit Eis und Wasser über Kopf und Nacken.

Auch interessant

Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics (WA) reagierte, indem er lange Rennen von den heißen Mittags-, in die zumindest etwas kühleren Abendstunden verlegte. Der Schutz der Sportler müsse „Priorität sein“, sagte WA-Chef Sebastian Coe der ARD. „Wenn man ein Gewissen gegenüber den Athleten hat, wird man sich fragen müssen, wie künftige Austragungsorte aussehen könnten“, sagte der 66-jährige Brite. Der Klimawandel, er nimmt Einfluss auf den Sport. Eine Änderung des Kalenders, eine Entkopplung mancher Wettbewerbe in kühlere Gefilde sieht der zweimalige 1500-Meter-Olympiasieger als Option.

Orban nutzt die WM in Ungarn für seine Zwecke - Ziel: Olympia

Die Wettkämpfe 2023 zeichnen das Bild einer Sportart, die sich im Kampf um Aufmerksamkeit weiterentwickelt, die Stars und Topleistungen hervorbringt. „Es ist eine erstaunlich und außergewöhnlich leistungsstarke Weltmeisterschaft“, sagt etwa Clemens Prokop, ehemaliger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), dieser Redaktion. Die WM zeigt aber auch, dass die Leichtathletik mit Problemen zu kämpfen hat.

Auch interessant

Gut, für das Wetter kann der Weltverband nichts. Anders als in der Wüste Katars waren solche Temperaturen nicht zu erwarten. Bewusst sein muss sie sich jedoch darüber, an wen sie die WM vergeben hat. Viktor Orban, Ungarns Ministerpräsident und Chef der rechtspopulistischen Fidesz-Partei, träumt von Olympischen Spielen in seiner Heimat und nutzt die WM für seine Zwecke.

Ungarische Athleten werden in Budapest abgefeiert

Die Wettkämpfe verfolgte er dieser Tage gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Tamim bin Hamad al-Thani, dem Emir von Katar, in seiner Ehrenloge. Eine Runde, die den Sport längst als Image-Aufpolierer entdeckt hat. Alle drei richten regelmäßig große Sportereignisse aus, zeigen sich weltoffen, mordern und nutzen den Heimvorteil nach innen, um Nationalstolz zu fördern. Olympia wäre der ganz große Coup.

Treten ungarische Athletinnen und Athleten im Stadion auf, wird es laut. Ob sie gewinnen oder nicht, sie werden frenetisch gefeiert. Die einzige Medaille gewann der Hammerwerfer Bence Halász mit Bronze. Für die großen Momente sorgten bei dieser WM bislang andere.

Etliche Athleten sorgen für Bestleistungen

Da war etwa Sprint-Weltmeisterin Sha’Carri Richardson (USA), die im 100-Meter-Finale Meisterschaftsrekord lief. Da war der schwedische Diskusgott Daniel Stahl, der im letzten Versuch ebenfalls mit Meisterschaftsrekord gewann. In Götterpose ging er auf die Knie. Da war die Diskuswerferin Laulauga Tausaga (USA), die im entscheidenden Finalmoment ihre Bestweite um vier Meter steigerte und Gold holte.

Daniel Stahl wie Thor: Der Schwede ist der Gott im Diskusring - und wurde in Budapest Weltmeister mit Meisterschaftsrekord.
Daniel Stahl wie Thor: Der Schwede ist der Gott im Diskusring - und wurde in Budapest Weltmeister mit Meisterschaftsrekord. © afp

„Wir erleben eine ungewöhnlich hohe Zahl von persönlichen Bestleistungen, Saisonbestleistungen und Weltbestleistungen“, sagt Clemens Prokop. „Dies ist in der Leistungsbreite und vor allem vom Zeitpunkt erstaunlich: Normalerweise ist das Jahr nach einer WM und vor den Olympischen Spielen eher ein leistungsruhigeres Jahr.“

Dopingfall Amusan beschäftigt die Weltleichtathletik

Auch interessant

Die Ursachen für diese überraschende Entwicklung seien „vermutlich vielfältig, beginnend von individuellen Faktoren bis hin zur Verbesserung der Ausrüstung“, sagt Prokop. Der schnelle Belag der Bahn in Budapest und Hightech-Spikes aus Carbon hört man oft als Gründe. Sicherlich könne beides die Leistung fördern, meint der 66-Jährige. „Ob dies aber für sich gesehen wirklich alle Leistungssteigerungen zu erklären vermag – ich bin mir da nicht sicher, kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte auch keine Verdächtigungen aussprechen.“

Natürlich, die Leichtathletik ist vorbelastet. Die Dopingskandale früherer Zeiten liegen noch immer wie ein dunkler Schleier über den Nachfolgern. Vor allem deshalb, weil Doping längst nicht der Vergangenheit angehört. Vor der WM gab es mehrere Sperren. Auch Hürdensprint-Star Tobi Amusan aus Nigeria war betroffen. Drei Tests hatte sie verpasst. Sie wurde von der unabhängigen Integritätskommission AIU gesperrt, doch kurz vor der wurde die Sperre wieder aufgehoben. In Budapest wurde sie Sechste. Ein beispielloses Hickhack.

Ihr Start bei der Leichtathletik-WM in Budapest war wegen einer vorherigen Dopingsperre umstritten: Hürdensprinterin Tobi Amusan.
Ihr Start bei der Leichtathletik-WM in Budapest war wegen einer vorherigen Dopingsperre umstritten: Hürdensprinterin Tobi Amusan. © afp

Ex-DLV-Chef fordert Verbesserung des Doping-Kontrollsystems

Clemens Prokop hat sich während seiner Zeit als DLV-Präsident als vehementer Anti-Doping-Kämpfer bewiesen. „Ihre Starterlaubnis kam für mich überraschend“, sagt der Jurist. „Nach meinem Kenntnisstand wird derzeit geprüft, die Aufhebung der Sperre vor dem Internationalen Sportgerichtshof überprüfen zu lassen. Dies wäre aufgrund der Fragezeichen hinter dieser Entscheidung ein wichtiger Schritt.“ Sperren von wenigen Monaten würden ohnehin „dem Ziel der Dopingbekämpfung nicht gerecht“.

Zwar sei das Dopingkontrollsystem insgesamt professionell geworden. Jedoch: „Es gibt eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten“, sagt Prokop, „beginnend von der Zahl der Kontrollen bis hin zur verbesserten Vergleichbarkeit der Systeme auf internationaler Ebene.“ Doping „ist ein systemimmanentes Problem des Leistungssports, das ein sich dynamisch verbesserndes Kontrollsystem erfordert“.