Bayreuth/Hagen. Die Wagner-Festspiele in Bayreuth sind nicht ausverkauft. Kriegt Katharina Wagner jetzt die Quittung des Publikums?
Wenige Tage vor der Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele am 25. Juli gibt es noch Karten. Der Grüne Hügel ist nicht mehr ausverkauft. Früher mussten Musikfreunde acht Jahre lang auf Einlass warten. Wo ist der Nimbus des einzigen deutschen Musikereignisses von Weltrang geblieben? Das fragen sich derzeit die Wagnerianer und allerlei Experten. Es raunt und rauscht im Wagner-Universum. Was ist da los?
Alle Jahre wieder ist der Grüne Hügel nicht nur ein Ort hingebungsvollster Musikpflege, sondern auch eine Brutstätte für hochgekochte Skandale. Ob Familienkriege, Dirigentenfehden oder missliebige Inszenierungen: Die Festspiele liefern zuverlässig jene Zutaten für genüsslich ausgewalzte Intrigen, um die der Deutsche sonst das britische Königshaus beneidet. Nun lautet die Frage: Gehen die Festspiele unter der Leitung von Katharina Wagner vor die Hunde? Und was bedeutet dies mit Blick auf die Vertragsverlängerung der Urenkelin des Komponisten Richard Wagner, die 2025 ansteht?
Der Kritiker
Der greise Ion Holender, langjähriger Direktor der Wiener Staatsoper, ließ es sich nicht nehmen, persönlich zur Bayreuther Kartenfrage Stellung zu beziehen und gleich den Untergang der Opernhäuser allgemein mit ihr zu verbinden. Sein Fazit: Jetzt kriegt Katharina Wagner die Quittung für alle die skandalösen Inszenierungen, die fragwürdigen Dirigenten und die schlechten Sänger. Nur: Die von Ion Holender namentlich als vorbildlich gewürdigten Regisseure Götz Friedrich, Patrice Chéreau und Harry Kupfer sind anfangs ebenso beim Bayreuther Publikum durchgefallen wie einige ihrer als Beweise für den Niedergang angeführten Kollegen.
Die Sänger
Die Sängerfrage hingegen ist in Bayreuth immer virulent, denn Richard Wagners Opernpartien und das moderne Starsängertum vertragen sich nicht. Bayreuth spiegelt ein derzeit generelles Problem. Es gibt viel zu wenige Sängerinnen und Sänger, die Wagner gut draufhaben, denn es dauert jahrelang, bis sich ein Sopran zur Brünnhilde und ein Tenor zum Siegfried entwickelt hat, vom Wotan ganz zu schweigen. Diese Zeit gibt der Markt den jungen Opernkünstlern nicht mehr. Die wirklich guten Wagner-Sänger kennt in der Regel keiner, der gerne in den Klatschmagazinen blättert. Der Attendorner Bass Georg Zeppenfeld zum Beispiel ist Weltspitze, er gerät aber nie in die Schlagzeilen.
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Die Dirigentinnen
Und die Dirigenten? In diesem Punkt war es möglicherweise tatsächlich ein Fehler, Christian Thielemann seinerzeit zum Musikdirektor von Bayreuth zu ernennen. Thielemann ist bei den Wagnerianern äußerst beliebt, auch beim mächtigen Verein der Freunde, einem traditionellen Strippenzieher der Wagner-Intrigen und Gegenpart von Katharina Wagner. Doch Thielemann hat dem Vernehmen nach gute Kollegen weggebissen, man erinnere sich an Kirill Petrenko, den Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. Nun fehlt Thielemann im Orchestergraben, angeblich vergrault von „der Katharina“, und die Beton-Wagnerianer können mit Namen wie Oksana Lyniv und Nathalie Stutzmann noch nichts anfangen; denn, man wagt es kaum zu glauben, unter Katharina Wagner dürfen Frauen im Allerheiligsten, dem Orchestergraben, den Stab führen.
Historisch gesehen gab es in Bayreuth immer ein Nebeneinander von berühmten Maestros und weniger berühmten kapellmeisterlich qualifizierten Handwerkern. Schadet es den Festspielen, wenn der Düsseldorfer Generalmusikdirektor Axel Kober dort arbeitet? Das ist nur für die Leute ein Problem, die Opernaufführungen als Events betrachten, bei denen sie möglichst viele berühmte Namen einsammeln möchten.
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Die Regisseure
Bei den Regisseurinnen und Regisseuren ist der Konflikt allerdings unlösbar. Die Bayreuther Werkinterpretationen sollen im Anspruch der Besucher und Journalisten folgende Kriterien erfüllen: Sie sollen völlig neue und überraschende Sichtweisen bieten, aber gleichzeitig möglichst traditionelle Sehgewohnheiten bedienen, originell sein, aber nicht anecken. Die Sicht auf einzelne Produktionen ändert sich im Laufe der Jahre, welche eine Inszenierung läuft. Frank Castorfs „Ring“, anfangs mit Hass geradezu überschüttet, wurde am Schluss als bedeutende Arbeit von großem Erkenntniswert gefeiert. Der aktuelle „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer hat von Anfang an Jubel geerntet, aber vermutlich, weil er trotz aller modernen Stilmittel wie Videoprojektionen nicht weh tut.
Wagners Opern sind Erzählungen von Gier und Macht, von Umweltzerstörung, von versehrten Helden und von Heldinnen, welche die Verwüstungen der Männer nicht heilen können. Sie sind also aktueller denn je. Aber natürlich wachsen gute Regisseure ebenso wenig auf den Bäumen wie gute Dirigenten. Jede Festspielleitung lebt mit dem Risiko des Fehlgriffs.
Das Publikum
Bleibt das Publikum. Hier gibt es die augenfälligsten Veränderungen, und zwar schon seit 2010. Damals kritisierte der Bundesrechnungshof, dass nur ein Drittel der jährlich verfügbaren 58.000 Karten in den freien Verkauf gingen. Die Festspiele kürzten in der Folge unter anderem den internationalen Wagner-Verbänden ihre Kartenkontingente. Damit wurde es für die besonders treuen Besucher schwerer, an Karten zu kommen. Ersetzt wurden sie durch ein Event-Publikum, das wissen wollte, was sich hinter dem Mythos Bayreuth verbirgt. Außerdem konnten nun durch das Online-Ticketing Rückläufer wieder in den Verkauf gegeben werden. Das ruinierte den Schwarzmarkt.
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Dass die Wagner-Verbände als Säulen der Wagner-Pflege kartenmäßig beschränkt wurden, kann man rückblickend als Kardinalfehler beurteilen, denn die Festspiele entledigten sich damit quasi ihrer Abonnenten. Das überlebt kein Operntheater. Das nachrückende Eventpublikum ist nicht treu. Es kommt oft kein zweites Mal auf den Grünen Hügel, weil die Vorstellungen so lange dauern und weil es drumherum so wenig Chichi und Glamour gibt. Die Hotels sind bieder, und man kann auf den Straßen keine „Promis gucken“.
Der Zaun
Dazu kommt eine räumliche Entfremdung der Festspiele zum Publikum, da seit 2016 aus Sorge vor islamistischen Anschlägen ein Sicherheitszaun aus Metall das Festspielgelände vom Festspielpark trennt. Davor gehörte die familiäre Atmosphäre zum Zauber Bayreuths, in den Pausen lustwandelten die Besucher in einer endlosen Prozession rund um das Festspielhaus, dabei konnte man hören, wie Erda oder Siegfried sich am offenen Fenster einsingen, die Musiker mischten sich unters Volk, während man einen Blick auf Katharina Wagner erhaschte, die im Sommerkleid um die Ecke huschte. Seit dem Zaun geht das nicht mehr. Das Publikum tritt sich vor dem Festspielhaus auf die Füße und fragt sich, ob es das alles wert ist, die harten und engen Sitze, die fehlende Klimaanlage und natürlich das viele Geld, das man dafür ausgeben muss.
Das Geld
Bayreuth war bisher im Vergleich zu Salzburg ein erschwingliches Festival. Zu dieser Spielzeit wurden die Preise kräftig angehoben. Die meisten Karten kosten jetzt über 200 Euro, in den vorderen Reihen bis zu 460 Euro. Katharina Wagner stellte im Interview mit dem „Nordbayerischen Kurier“ klar, dass sie mehrfach gewarnt habe, die Vorgabe der Preiserhöhungen umzusetzen und kritisierte, dass es in der Festspielverwaltung noch nicht einmal eine Marketingabteilung gibt. Das ersehnte junge Publikum kann man mit solchen Summen nicht gewinnen. Dass es für Junge viele Vergünstigungen gibt, ist wenig bekannt.
Die Gäste aus Asien kommen unvermindert, sie haben keine Geldprobleme. Dafür prallen hier zwei Kulturen aufeinander. In Japan käme niemand auf die Idee, dass eine Oper sechs Stunden dauert. Wagner wird dort gekürzt. Wer auf dem Grünen Hügel aufräumen will, und das Gelüst offenbaren viele, sollte sich klar machen, für welchen kulturellen Wert dieser Ort in Wahrheit steht: für die Zeit selbst. Sogar Staatschefs müssen es dort stundenlang in Opern aushalten und dürfen nicht auf das Smartphone gucken.