Lennestadt. Die Faszination Elspe läuft bis September 2023: Warum bei Winnetou und Old Shatterhand in „Unter Geiern“ der Nervenkitzel mitreitet. Viele Bilder
Ganz unscheinbar hängt sie an der Felswand, ein paar Holzbohlen, einige Seile, eine schlichte Hängebrücke, wie sie im Wilden Westen zum Einsatz gekommen sein mag. Der Blick wandert immer wieder nach oben, weil es wirklich sehr, sehr hoch ist, nichts für schwindelige Leute. Was wird dort wohl passieren, wenn auf der Panoramabühne in Elspe Winnetou und Old Shatterhand wieder für die gerechte Sache reiten? „Das ist schon sportlich, wenn man da oben steht“, verrät Winnetou alias Jean-Marc Birkholz. In „Unter Geiern“ spielt der Nervenkitzel von Anfang an mit.Die Premiere des neuen Stück bei den Karl-May-Festspielen ist am 17. Juni, bis September laufen die Vorstellungen. Es wurde zuvor auf Hochtouren geprobt.
Die Gewehrszene vor dem Saloon hat es in sich. Wo sitzt Sebastian Kolb am besten, der salbungsvolle Mormonenprediger, der sich als der hinterhältige Bösewicht Weller entpuppen wird? Und wo stellen sich seine Handlanger auf, mit denen Winnetou kurz darauf aneinandergerät? Regisseur Marco Kühne probiert verschiedene Auftritte aus, dann funktioniert die Stelle wie gemalt.
Marco Kühne führt jetzt Regie
Kühne hat die Regie von seinem Vater Jochen Bludau übernommen, dem im März gestorbenen verehrten Leiter des Festivals. „Ich habe mit meinem Papa seit zehn Jahren darauf hingearbeitet“, schildert er, dass es beimElspe-Festival nach dem Tod des Festspiel-Gründers in geordneten Verhältnissen weitergeht. „Papas Lieblingsspruch war immer: Jeder ist ersetzbar. Er hat immer darauf geachtet, dass die Firma sich nicht abhängig von einer Person macht. Schon vergangenes Jahr habe ich den Hauptteil der Regie übernommen.“ Ihm zur Seite steht Benjamin Armbruster, lange als Winnetou auf der Bühne gefeiert, der seit Jahren für die Dialogregie verantwortlich ist.
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Die große Naturbühne in Elspe ist bekannt für waghalsige Stunts und sensationelle Pyrotechnik-Effekte. Darüber vergisst das Publikum gerne, dass Elspe ein hochprofessionelles Sommertheater ist. Die Darsteller selbst vergessen das allerdings in keiner Sekunde. Jede Geste, jeder Blick muss sitzen, und das passiert nicht von alleine, sondern nur durch Arbeit. Winnetou kommt zu früh. Er reitet mitten in den Trauermarsch für einen von den Banditen getöteten Indianerjungen. „Warten, warten“, ruft der Regisseur. „Erst nach den letzten drei Pferden.“
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Das Timing muss sitzen
Die Szene hat ohnehin ein kompliziertes Timing. Zuerst überfallen die Banditen von den Felsen aus die Indianer, dann nähert sich Martin Krah als Old Shatterhand, dann ruft der Häuptling den Krieg aus und dann erst reitet Winnetou zu ihm. Das muss so koordiniert und konzentriert ablaufen wie ein Tanz im Ballett. Und während der fünf oder sechs Wiederholungen in der Probe hat Indianerreiter Christopher-Robin Krause wieder und wieder seinen großen Auftritt: Er fällt, von der tödlichen Kugel getroffen, mit einer Rolle rückwärts über den Pferdehintern auf den Boden. Der junge Stuntmen war sieben Jahre lang Mitglied der französischen Nationalmannschaft der Reiter im Voltigieren, hat an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen, ist mit seinem Kader Bronzemedaille-Gewinner. Nun hat er sich als Cascadeur selbstständig gemacht und zeigt seine Kunst in Elspe.
Winnetou im Breitbandformat
Die 96 Meter breite Panoramabühne in Elspe mit ihrem Höhenunterschied von 25 Metern ermöglicht epische Bilder, die in einem normalen Freilicht-Theater niemals zu realisieren wären. Wenn Winnetou alias Jean-Marc Birkholz oben auf dem Felsen hoch zu Ross die Szene überblickt, was das Publikum erst durch die Musik bemerkt, während unten die Banditen ihre Terrorakte planen, ist das Theaterkunst im Breitbandformat. Selbst der Himmel und die Wolken scheinen mitzuspielen - ebenso wie Gänsegeierdame Lilo aus Hellenthal, die für ihren Auftritt in Elspe trainiert wurde, seit sie aus dem Ei schlüpfte.
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Dagegen kontrastieren die dichten, liebevoll ausgemalten Milieus, Helmers Home mit Saloon, Brunnen und Sägebock, das Indianerdorf, der Treck des skurrilen englischen Lords mit dem zweispännig geführten Planwagen, alles Situationen, bei denen dank der gut gemachten neuen Bühnenmusik von Erik Ohl das Ohr mitsieht. Wer bei Knallerei schreckhaft ist, sollte sich lieber einen Platz in den hinteren Reihen suchen. Denn sogar die Dampflok explodiert in einem großen Pyrotechnik-Moment.
Auch das Herz spielt eine Rolle
Auch das Herz kommt in „Unter Geiern“ nicht zu kurz, es entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte zwischen Sara (Sarah Gösser) und Bloody Fox (Jonathan Elias Weiske). Aber Küssen ist beim Elspe-Festival immer noch tabu. Bleibt das so, oder ist mit dem Wechsel in der Regie auch eine vorsichtige Aktualisierung möglich? Geschäftsführer Philipp Aßhoff will das Pulver nicht zu früh verschießen: „Die Modernisierungen werden langsam erfolgen. Gerade werden alle Abteilungen jünger, das wird Konsequenzen für die Stücke haben.“
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Darf man es verraten oder nicht? Wozu ist die Hängebrücke gut? Auf ihr wird, das kann gesagt werden, der menschliche Geier Weller sein Ende finden. Stuntmann Robin übernimmt dabei eine wichtige Rolle. Er ist absolut schwindelfrei.
>> INFO: Aufführungen bis zum 3. September
- „Unter Geiern“ nach Karl May ist vom 17. Juni bis 3. September beim Elspe-Festival in Lennestadt-Elspe zu sehen.
- Die genauen Termine und Karten unter: www.elspe.de
- Es liegt ein Kondolenzbuch fürJochen Bludauaus.