Hagen. Das Theater Hagen fährt mit drei Inszenierungen zum finnischen Opernfestival in Savonlinna. Wie bewegt man 160 Mitarbeiter und 7 Tonnen Material?

Am Dienstagfrüh wird Jörn Hüsken den Zündschlüssel herumdrehen und zur Reise seines Lebens aufbrechen. Gesellschaft leisten ihm dabei drei Kontrabässe und eine Harfe. 2600 Kilometer geht die Fahrt. Das Ziel ist eine mittelalterliche Burg in einem See im Osten Finnlands. Savonlinna, das Bayreuth des Nordens. Jörn Hüsken ist der Technische Direktor des Theaters Hagen, das in diesem Sommer mit gleich drei Inszenierungen zu den bekannten Opernfestspielen eingeladen ist.

Das ist eine große Ehre für das kleine Theater Hagen. Und eine logistische Herausforderung. Kulissen, Instrumente, Ankleider, Musiker, Sänger, Maskenbildner, Beleuchter, Techniker: Knapp 160 Mitarbeiter und mehr als sieben Tonnen Material müssen bewegt werden. „Wenn irgendein Teil vergessen wurde, hat man Pech gehabt. Und wenn Wände oder Kostüme kaputt gehen, müssen wir uns was ausdenken, denn man hat ja keine Werkstätten“, listet Jörn Hüsken mögliche Sollbruchstellen auf.

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Container ist auf dem Weg

Orchesterwarte des Philharmonischen Orchesters Hagen beladen einen Container mit Instrumenten.
Orchesterwarte des Philharmonischen Orchesters Hagen beladen einen Container mit Instrumenten. © Leszek Januszewski | Leszek Januszewski

Seit Monaten überlegen die Hagener Theaterleute, wie der Kraftakt zu stemmen ist. Ein Überseecontainer randvoll mit Kulissen und Instrumenten ist bereits per Lkw unterwegs, ein weiterer startet demnächst. Jeweils dreieinhalb Tonnen Material reisen über die baltische Route nach Finnland, dafür wurde eine Spezialfirma für Theatertransporte engagiert. Dabei gibt es ein großes Problem: Auf die Blechcontainer knallt die Sonne. Sie stehen möglicherweise Stunden, vielleicht sogar tagelang in den Seehäfen, bevor es weitergeht. Im Inneren wird es richtig heiß. Das vertragen viele Instrumente nicht. Also lautet Regel Nummer eins: In die Container kommt nur, was nicht kaputt gehen kann.

Kontrabässe zu groß zum Fliegen

„Bei allen Holzinstrumenten haben wir mit Geigenbauern beraten, wie der Transport am sichersten funktioniert“, schildert Orchesterdirektorin Antje Haury: „Eine kleine Geige geht noch als Handgepäck durch, die Flöte auch, aber schon Fagott und Cello brauchen einen Extrasitz.“ Die Kontrabässe und die Harfe sind für den Flugtransport und für die Containerverladung ungeeignet. Deshalb lädt Hüsken sie in den theatereigenen Sprinter, der über eine Klimaanlage verfügt, und fährt sie selbst zum Festival, und zwar über Schweden. „Auf der baltischen Route sind die Autobahnen nicht ausgebaut. 1800 Kilometer über Landstraße fahren, das macht keine Freude.“

Hagener Anatevka erstes Musical beim Festival

„Anatevka“, „Herzog Blaubarts Burg“ und „A Room of one’s own” sind die drei Produktionen, die das Savonlinna-Festival eingeladen hat. Das Hagener „Anatevka“ wird das erste Musical überhaupt sein, das bei den Opernfestspielen zu sehen ist. Die finnische Komponistin Outi Tarkiainen hat „A Room of one’s own“ nach Virginia Woolf als Auftragsarbeit für das Theater Hagen komponiert. So wurde Hagen letztlich in der finnischen Szene bekannt.

Aber: Die beiden Opern verlangen 30 Musiker mehr als das Musical. Antje Haury; „Das Akkordeon muss mit und die Gitarre. ,A Room of one’s own’ hat einen sehr großen Schlagzeugaufbau. Den mieten wir bei einem Schlagzeugverleih. Es gibt dort keine Hinterbühne, deshalb mussten wir die Orchesteraufstellung komplett umdenken. Wir nehmen jetzt nur einen Thai-Gong mit, statt ein ganzes Werk, und sampeln. Wo kein Platz ist, geht es nicht.“

Die Grenze ist dicht

Finnland ist die Nation der Sinfonieorchester, der Chöre und der Metal-Bands. Auf 5,5 Millionen Einwohner kommen 30 Orchester, darunter 14 Sinfonieorchester. Es gibt viele Dirigentinnen und Komponistinnen. Alle drei Genres haben keine Berührungsängste voreinander. Allerdings gibt es nur ein Opernhaus in Helsinki und eben die Savonlinna-Opernfestspiele, die jährlich eine Eigenproduktion herausbringen und Gastspiele zeigen. Über 60.000 Menschen aus aller Welt besuchen die Vorstellungen auf Burg Olavinlinna pro Saison. Häufig hat in der Vergangenheit das Mariinski Theater seine Stücke dort gezeigt, St. Petersburg ist nur 300 Kilometer entfernt. Doch seit dem Ukraine-Krieg ist die Grenze dicht.

Großartige Auszeichnung

Für das Theater Hagen ist das Gastspiel trotz des enormen Aufwands ein gutes Geschäft, nicht nur wegen des Ruhms und der Ehre, die damit verbunden sind. „Ich bin total stolz“, sagt Dr. Thomas Brauers, der Geschäftsführende Direktor. „Dieses Jahr sind wir der Hauptact bei diesem berühmten Festival. Das ist eine großartige Auszeichnung, fürs Renommee ist das hervorragend. Wir machen auch ein Schnäppchen dabei.“ Rund 50.000 Euro werden laut Brauers am Ende für die Kasse übrigbleiben. „Das ist uns wichtig, weil wir eine um sieben Wochen verkürzte Spielzeit haben, da die neue Sprühwasserlöschanlage eingebaut werden soll. Das fängt die Einnahmeverluste auf.“ Die Löschanlage wird nun seitens der Stadt in diesem Jahr doch nicht installiert, aber das ist eine andere Geschichte.

Mit der Fähre zur Bühne

Jörn Hüsken ist der Mann, der dafür sorgen muss, dass bei den Hagener Vorstellungen ab 23. Juli alles an dem Platz ist, an dem es gebraucht wird. Das fängt schon vor der Bühne an. Denn wenn die Hagener Container vor Ort sind, gibt es keine Verladerampe. Die sieben Tonnen Kulissen und Instrumente müssen über den See zur Burg transportiert werden. „Es wird alles händisch ausgeladen, auf die Fähre gepackt und rübergefahren, das wird spannend.“ Die Kommunikation sorgt ebenfalls für Nervenkitzel. „Ich hoffe, dass wir vor Ort einen Dolmetscher kriegen, weil man die ganzen Fachbegriffe auf Englisch, und auf Finnisch sowieso, nicht drauf hat.“

Die Open-Air-Bühne ist 30 Meter breit und sieben Meter tief, aber es gibt keinen Schnürboden und keine Versenkung. Die raffinierten Verwandlungen in Anatevka müssen umgedacht werden. „Dann muss man halt die Kulissen mehr anpacken.“

Starke Nerven gefragt

Für die Sänger, den Chor und das Ballett wird es herausfordernd, weil sie im Verlauf des Stückes nicht die Bühnenseite wechseln können. „Deshalb brauchen wir mehr Personal, Maskenbildner für Perückenwechsel, Ankleider. Gerade das Ballett hat in Anatevka viele schnelle Umzüge. Es wird auch noch spannend, den Darstellern in den kurzen Probezeiten zu erklären, wer wo abzugehen hat.“

Dass so viel schief gehen kann, bereitet Jörn Hüsken keine schlaflosen Nächte. „Es ist eine ganz andere Arbeitsweise, weil man auch mal improvisieren muss. Wenn‘s drauf ankommt, ist das Theater Hagen unheimlich kreativ darin, Probleme zu lösen.“

Karten und weitere Informationen: www.festivals.fi