Hagen/Siegen. Der Ausbau der Ruhr-Sieg-Bahnstrecke würde die A 45 entlasten. Aber die Umsetzung hakt. Wie Politik und Bahn sich die Verantwortung zuschieben.

Das doppelte X symbolisiert die unerträgliche Langsamkeit des Seins. „20XX“ steht als Inbetriebnahme-Datum in einem Papier der Deutschen Bahn zum Ausbau der Ruhr-Sieg-Streckevon Hagen über Siegen bis Hanau. Das erste X könnte eine 4 sein, vielleicht aber auch eine 5. Wohlgemerkt: Das Projekt steht im Bundesverkehrswegeplan in der Kategorie „Vordringlicher Bedarf“. Wer sich also über den langsamen Ausbau der Straße in Deutschland aufregt, sollte beim Blick auf die Schiene vielleicht erst einmal ein Fläschchen Baldrian zu sich nehmen.

Zehn Tunnel zwischen Hagen und Siegensind zu klein. Güterwaggons, die im kombinierten Verkehr Seecontainer transportieren, passen nicht durch; es fehlen gut 25 Zentimeter. Das Profil der Bauwerke muss daher quasi aufgebohrt ausgebaut werden. Der kürzeste Tunnel misst 83 Meter, der längste 935. Zudem müssen Brücken erneuert, Signal- und Stellwerkstechnik modernisiert und Überholmöglichkeiten gebaut werden. Dann können mehr Züge schneller fahren. Das ist aufwendig und teuer.

Ruhr-Sieg-Strecke ist das Gegenstück zur Autobahn 45

Aber die 240 Kilometer lange Ruhr-Sieg-Streckeist wichtig. Denn sie repräsentiert gewissermaßen das Gegenstück zur Autobahn 45. Und ist Teil der Verkehrswende: Mehr Güter sollen auf die Schiene und mehr Menschen auch.

Die Gleisverbindung ist mehr als 160 Jahre alt. Vor elf Jahren, 2012, veröffentlichte die Industrie- und Handelskammer Siegen eine Studie, die den Ausbau als notwendig einstufte. 2017 entschied das Bundesverkehrsministerium, dass die Deutsche Bahn Netz AG mit der Planung beginnen soll. Jetzt schreiben wir das Jahr 2023.

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Nein, untätig war die Bahn in der Zwischenzeit nicht. Sie befindet sich nach eigenen Angaben seit 2021 in der Abstimmung mit Behörden, hat bei der EU Förderanträge gestellt, Baugrunderkundungen, Vermessungsarbeiten und „erste Variantenuntersuchungen“ vorgenommen.

Aber das doppelte X bleibt.

„Im Sauerland gibt es keine Alternativen“

„Wir müssen schneller werden“, sagt Ralf Geruschkat, Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer. „Es müssen mehr Güter auf die Schiene, auch wegen des Klimawandels. Und im Sauerland gibt es keine Alternativen.“

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Da kann niemand widersprechen. Auch die Deutsche Bahn nicht. „Die DB Netz treibt die Arbeiten an diesem wichtigen Projekt stetig voran“, teilt ein Sprecher mit. Erst nach der abgeschlossenen parlamentarischen Befassung und einer entsprechenden Finanzierungszusage des Bundes könne mit der Entwurfs- und Genehmigungsplanung begonnen werden. „Die DB Netz plant derzeit mit dem Beginn des Planfeststellungsverfahrens ab 2029.“ Erst danach könne man weitere Termin nennen.

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Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender der Regierungspartei FDP, sieht das anders. „Mit der Einstufung in den Vordringlichen Bedarf besitzt die Strecke bereits Planungsrecht, die DB könnte also jederzeit loslegen, ohne dass es einer weiteren politischen Entscheidung bedarf. Der Planungsstart sollte daher so bald wie möglich in die Wege geleitet werden“, sagt er. „Es wird Zeit, dass wir in Deutschland bei Planungs- und Genehmigungsverfahren für Infrastrukturprojekte in jeder Hinsicht schneller werden. Das Land erstickt in Langsamkeit, die wir uns nicht länger erlauben können.“ Die FDP treibe in der Bundesregierung die Planungsbeschleunigung „ganz entschieden und ambitioniert voran“. So habe sie jüngst etwa das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz in den Bundestag eingebracht. „Hierdurch werden alle Schienenprojekte des Vordringlichen Bedarfs besonders beschleunigt, also auch der Korridor Mittelrhein, zu dem die Ruhr-Sieg-Strecke gehört.“

 Die Ruhr-Sieg-Strecke: Hier Arbeiten am Rahrbacher Tunnel um 1910.
Die Ruhr-Sieg-Strecke: Hier Arbeiten am Rahrbacher Tunnel um 1910. © Stadtarchiv Kreuztal | unbekannt

Ausbau wurde im Bundestags bereits im Jahr 2016 beschlossen

Kritik an der Bahn äußert auch der Abgeordnete Florian Müller von der Oppositionspartei CDU. Der Bundestag habe 2016 beschlossen, die Strecke auszubauen. „Wenn wir sieben Jahr danach noch in der Vorplanung sind, haben wir uns eine Gemächlichkeit angeeignet, die nicht zu einem Industriestandort passt“, sagt der Politiker aus dem Kreis Olpe.

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Das Sauerland sei ein infrastruktureller Knotenpunkt. „Für die Stärkung und den Erhalt unserer Standortattraktivität müssen wir die Verfahren beschleunigen und sprichwörtlich die Weichen rechtzeitig stellen.“ Ob die Vorschläge der Ampel diese Prozesse beschleunigen, sei umstritten. „Wir hätten uns als Union deutlich ambitioniertere Ideen gewünscht“, so Müller. Und: „Von der Bahn wünsche ich mir konkrete Vorschläge, wie wir mehr Tempo in das Schienen-Ausbauprojekt zwischen Hagen und Siegen bekommen.“ Er hoffe sehr, „dass die von der FDP geplanten Kürzungen im Verkehrsetat von einer Milliarde Euro für kein Straßen- oder Schienenprojekt das Aus bedeuten“.

Wiese: Haben bereits Erleichterungen beschlossen

Wie Johannes Vogel war auch derBriloner Dirk Wiese, stellvertretender Fraktionschef der Regierungspartei SPD, an den Beschleunigungsberatungen beteiligt. „Dass die Umsetzung solcher Infrastrukturmaßnahmen zu viel Zeit in Anspruch nimmt, ist kein Geheimnis“, sagt er. Die Bundesregierung steuere aber mit dem Genehmigungsbeschleunigungsgesetz gegen. „Durch die Feststellung des überragenden öffentlichen Interesses für ausgewählte Projekte sowie einfacherer Regeln beim Artenschutz soll das Schienennetz schneller ausgebaut werden.“

Wie viel schneller in diesem Fall? Das wissen wir in XX Jahren.