Duisburg/Essen. Das Berliner Urteil zur Religionsausübung an Schulen ist Thema auf den Pausenhöfen an Rhein und Ruhr. Ein 16-jähriger Moslem hatte sich das Recht zum Gebet in der Schule erstritten. Ähnliche Diskussionen haben muslimische Schüler auch in NRW schon geführt.
„Ich habe hier noch keinen beten sehen”, sagt Marvin, 18 Jahre alt und Abiturient am Clauberg-Gymnasium in Duisburg-Hamborn. „Warum sollte man das nicht auch in der Schule tun können?”, fragt dagegen Mitschülerin Aylin. Die Diskussion um Gebetsräume an staatlichen Schulen hat auch die Pausenhöfe im Ruhrgebiet erreicht. Über das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes vom Dienstag sind die Schüler bestens informiert. Ein 16-jähriger Moslem hatte geklagt, weil er im Weddinger Gymnasium seine Religion ausüben möchte. Auf die Gebete am Vormittag könne er nicht verzichten, argumentierte der Schüler – und das Gericht gab ihm Recht. Ein Präzedenzfall?
„Ich möchte das Thema gar nicht erst anstoßen”
„Was spricht auch dagegen, Gebete stören doch niemanden”, meint die 18-jährige Alev. Sie ist selbst gläubige Muslima, praktiziert die strengen Regeln ihrer Religion jedoch nicht. Trotzdem fällt ihr „kein einziger Grund ein, warum es nicht auch ein Gebetszimmer dafür geben sollte, wenn dafür der Platz da ist”. Eben das ist aber der Knackpunkt in der Diskussion. „Wir kommen kaum mit Klassenräumen aus, wo sollen wir da noch einen Gebetsraum unterbringen?”, fragt ein Essener Schulleiter, der in der Zeitung nicht mit Namen stehen möchte. „Ich möchte das Thema am liebsten gar nicht erst anstoßen, sonst habe ich hier gleich eine riesengroße Debatte.”
Ali Topcuk ist Lehrer für Islamkunde und in der Merkez-Moschee in Duisburg aktiv. Die jetzt aufflammende Diskussion hat er schon früher geführt. Für einige seine Schüler, die sich einen Gebetsraum wünschten, diskutierte er vor zwei Jahren mit dem Leiter einer Duisburger Schule. Auch der schmetterte damals ab: „Es gibt zu wenig Räume.”
Ein sauberer und ruhiger Ort
Die 18-jährige Aylin überzeugt dieses Argument nicht: „Wer betet, möchte sich ja auch an einen stillen Ort zurückziehen können.” Und: In Deutschland gebe es nunmal die „Religionsfreiheit. Da muss dann auch in der Schule dafür gesorgt werden, dass sie gelebt werden kann”. Nach dem Berliner Urteil jedenfalls muss eine Schule keinen festen Gebetsraum zur Verfügung stellen. Im Grunde braucht's den auch gar nicht, findet Bülent Ucar, Professor für Islamische Religionspädagogik. „Für das Gebet brauchen Muslime zur Mittagszeit nur zehn bis 15 Minuten. Verrichtet werden kann es überall – es muss nur einen sauberen und ruhigen Ort geben. Ein leerer Klassenraum reicht völlig für ein Gebet in der Pause.” Das Platzargument vieler Schulleiter hält er für „vorgeschoben”: Er hat lange als Lehrer gearbeitet, „es gibt immer Räume, die für so etwas freistehen.”
Zwar sind die Mehrheit der Schüler am Duisburger Clauberg-Gymnasium Muslime, „aber, wenn die einen eigenen Raum bekommen, dann sollte es für die anderen Religionen auch einen geben”, fordert Arthur (19). Er selbst ist Jude. Mitschüler Marvin ist katholisch getauft, hat grundsätzlich nichts gegen Gebete auf dem Schulhof – auch nicht gegen einen Raum, der eigens dafür eingerichtet würde: „Aber man müsste das mit der Religion schon in die Pausen verlegen.” Muslima Aylin stimmt zu: „Eine Schule ist ja keine Moschee.”
Islamwissenschaftler Bülent Ucar warnt davor, die Debatte auf den Islam zu reduzieren. „Für mich macht es keinen Unterschied, ob ein Jude, Christ, Buddhist oder Moslem das Recht zu Beten vor Gericht erstritten hat.” Es müsse grundsätzlich geklärt werden, wie viel Religion in eine staatliche Schule gehöre.
Versöhnendes schlägt Muhammet Balaban, Vorsitzender des Essener Integrationsbeirates vor: Schulen könnten einen Raum für alle Religionen gemeinsam einrichten. „Das wäre doch eine vernünftige Lösung, die den Unterricht nicht stört. An Universitäten und in Krankenhäusern funktioniert das schon lange!”