Die Debatte um das Berliner Schulgebets-Urteil

Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Was 1740 richtig war, ist heute nicht falsch. Die Religionsfreiheit ist ein zu Recht vom Grundgesetz geschütztes Gut. Darf sie aber auch an einem Ort ausgeübt werden, der weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist? Sie darf, hat das Berliner Verwaltungsgericht geurteilt und einem muslimischen Jungen erlaubt, in der Schule zu beten. Ein Einzelfallurteil und noch nicht gerichtsfest, aber schon trefflich als Anstoß erregter Debatten geeignet.

Debatten, die abseits aller populistischen und von Fremdenfeindlichkeit durchsetzten Empörung notwendig sind. Immer häufiger klagen Lehrer über die Erschwerung des Schulalltags, weil Eltern ihren Kindern aus religiösen Gründen untersagen, am Sexual- und Sportunterricht oder an Klassenfahrten teilzunehmen.

Solchen Forderungen fundamentalistischer Eltern - seien es Muslims, seien es Christen – nachzugeben, hieße, falsche Toleranz walten zu lassen. Das widerspräche dem zur Neutralität verpflichteten Bildungs- und Erziehungsauftrag eines staatlichen Schulsystems und würde sämtliche Integrationsbemühungen ad absurdum führen, ja die Ausprägung von Parallelgesellschaften vertiefen. Dasselbe gälte, wenn die Berliner Richter die Schule dazu verpflichtet hätten, einen Gebetsraum einzurichten; ganz abgesehen von pragmatischen Problemen für unter Platznot leidenden Schulen, hätten doch dann auch christliche, hinduistische oder buddhistische Schüler Anrecht auf einen solchen Raum.

Die Richter haben dem Jungen aber lediglich zugestanden, einmal am Tag in einer unterrichtsfreien Zeit in der Schule zu beten. Bei Verfechtern der reinen Lehre von der Trennung zwischen Staat und Kirche mag selbst das Unbehagen auslösen. Tatsächlich aber zeugt es nur von der Akzeptanz gesellschaftlicher Realität und einem feinen Empfinden für das, was die für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft so wichtige Toleranz ausmacht. Nicht zuletzt kann ein solches Urteil Vertrauen in den Staat bei eben jenen Religiösen schaffen, die ihm eher skeptisch gegenüber stehen. Es könnte also durchaus integrationsfördernd wirken. NRZ