Essen. Die gesperrte A42-Brücke könnte nur der Anfang sein. Vielen Autobahnbrücken droht hier ein ähnliches Schicksal. Woher kommt das?
Die Frage ist nicht ob, die Frage ist, wann es die nächste Autobahn- oder Straßensperrung in NRW gibt. Warum nicht nur die A42-Brücke über den Rhein-Herne-Kanal in erschreckend schlechtem Zustand ist.
Wie viele Brücken gibt es überhaupt in Deutschland?
Insgesamt rund 130.000. Rund 40.000 davon fallen in die Zuständigkeit des Bundes, weil sie die Autobahnen und Bundesstraßen über Flüsse, Täler, Bahnlinien und andere Straßen führen. In NRW allein gibt es rund 4500 Bundesbrücken, die im Verantwortungsbereich der beiden NRW-Niederlassungen Westfalen und Rheinland der Bundesautobahn GmbH liegen. 873 von ihnen gelten laut Bundesverkehrsministerium als „besonders sanierungsbedürftig“.
Warum sind ausgerechnet in NRW so viele Brücken?
Weil hier das dichteste Verkehrsnetz Deutschlands auf eine Topographie mit Mittelgebirgslandschaft sowie zahlreichen Flüssen und Wasserstraßen trifft. Eine Mischung, die nach Einschätzung vieler Brückenbauer „herausfordernder kaum sein könnte“. Davon kreuzen sich in NRW die maßgeblichen Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsachsen der Bundesrepublik. Hier befindet sich jeder fünfte Quadratmeter Brückenfläche des deutschen Fernstraßennetzes.
Wieso sind so viele Brücken gerade in den letzten Jahren sanierungsbedürftig?
Vor allem, weil viel mehr Autos über sie gefahren sind, als man bei ihrem Bau in den 1960er- und 1970er Jahren dachte. Ein Beispiel: Beim Bau der jüngst gesprengten Rahmedetalbrücke an der A 45 ging man laut Autobahn GmbH ursprünglich von 25.000 Fahrzeugen am Tag aus. Heute sind es zwischen 70.000 und 90.000. Vor allem der Schwerlastverkehr hat zugelegt. Nicht nur, dass es mehr LKW gibt, sie sind auch immer schwerer geworden. Früher seien 24-Tonner die Regel gewesen, weiß Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH des Bundes. „Heute sind es 40 Tonner.“ Bei Schwertransporten auch mal 44 Tonnen und mehr. „Dafür sind die Bauwerke nicht ausgelegt“, heißt es bei der Autobahn GmbH.
Ist es für eine Brücke tatsächlich so ein großer Unterschied, ob ein LKW oder ein PKW sie überquert?
Ja. Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass ein dreiachsiger Lkw mit 26 Tonnen die Straße so stark belastet wie rund 25.000 Pkw, ein vierachsiger Lkw mit 40 Tonnen sogar so stark wie 60.000 Pkw.
Wie und wie oft wird so eine Brücke eigentlich geprüft?
Eine Brückenprüfung findet nach der deutschen Norm DIN 1076 statt. Dabei werden Standsicherheit, Traglastfähigkeit und die verkehrssichere Nutzung unter die Lupe genommen. Die sogenannte „Hauptprüfung“ erfolgt alle sechs Jahre. Alle drei Jahre wird einfach geprüft und einmal jährlich gesichtet.
Was ist denn bei der Prüfung der A42-Brücke herausgekommen?
Die Prüfer vergeben beim Brücken-TÜV Noten von 1 bis 4. Die Rhein-Herne-Kanal-Brücke hat eine 3,5 bekommen, was der Experte von Autobahn NRW mit „ungenügend“ übersetzt und letztendlich auch zur Sperrung führte. Dass die Brücke grundsätzlich ein Sanierungsfall ist, ist allerdings seit Jahren bekannt. Eigentlich sollte bereits Anfang 2022 mit dem Bau einer neuen Brücke begonnen werden. Doch das Planfeststellungsverfahren kam bisher nur schleppend voran. Nun soll der Neubau 2024 beginnen. Geschätzte Bauzeit: rund fünf Jahre.
Wie sieht es denn mit den Brücken auf den Ausweichstrecken aus, also der A2 und der A40?
Besser, aber nicht gut. Auch die Brücken auf diesen Strecken seien in einem schlechten Zustand und deshalb eigentlich nicht geeignet, noch mehr Verkehr aufzunehmen, räumt Sauerwein-Braksiek ein und weiß um den Dominoeffekt. Er tritt ein, wenn LKW eine gesperrte Brücke umfahren und dadurch andere Brücken mehr belasten, die dann schneller marode werden und im schlimmsten Fall ebenfalls gesperrt werden müssen.
Werden neue Brücken denn wenigstens länger halten als ihre Vorgänger?
„Ja“, sagen die meisten Experten. Man habe natürlich aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und baue nun anders. Alte Brückenpfeiler etwa sind in der Regel hohl, heute sind sie massiv. Mehrere Universitäten in Deutschland forschen auch an der Entwicklung von Carbon- oder Basalt-Beton. Beide Sorten sollen nicht nur nachhaltiger, sondern auch langlebiger sein. Ein Problem aber ist geblieben: Niemand kann seriös einschätzen, wie das Verkehrsaufkommen in 60 oder 70 Jahren sein wird.