Assen/Niederlande. Im ehemaligen Deportationslager im niederländischen Assen ist das Kommandantenhaus das signifikanteste Überbleibsel. Bis 2007 war es bewohnt.
Es ist das einzige Haus auf dem 250.000 Quadratmeter großen Gelände. In dunklem Grün und unter einem Glaskasten steht das ehemalige Kommandantenhaus des Kamp Westerbork, einem Deportationslager im niederländischen Assen. Von dort wurden im zweiten Weltkrieg 107.000 Menschen in Konzentrationslager gebracht, 102.000 Menschen starben.
1983 wurde etwa drei Kilometer vom ehemaligen Lager ein Museum errichtet. Das alte Lager wurde weitgehend abgerissen, doch einige Erinnerungsstücke sind noch über, das mit Abstand größte ist das Kommandantenhaus. 1939, als Kamp Westerbork noch ein Flüchtlingslager war, wurde es fertiggestellt.
Ein scheinbar normales Leben
Bis 1945 haben dort drei Kommandanten gewohnt, zuletzt Albert Gemmeker, unter dem rund 80.000 Juden nach Auschwitz deportiert worden sein sollen. Gemmeker hatte den Ruf, dass die Abtransporte unter ihm reibungslos verliefen. Auch, weil er dafür sorgte, dass die Menschen in Westerbork unter anderem durch Bildungs- und Kulturangebote ein scheinbar normales Leben führen konnten.
In einem Buch über Gemmeker werden Lager-Insassen mit den Worten zitiert: „Der vorige Kommandant trat die Leute mit dem Stiefel nach Polen, dieser lächelt sie nach Polen.“ Von einem großen Fenster im Kommandantenhaus, wo er mit seiner Sekretärin lebte, die auch seine Geliebte war, konnte er beobachten, wie die Menschen zu den Deportationszügen gebracht wurden.
Freundliche Fassade verschleiert böse Absichten
Nach außen gab er sich gerne als Gentleman, der es sich auch nicht nehmen ließ, in „seinem“ Haus Feiern mit seinen SS-Kameraden auszurichten. Dabei ließen er und seine Freunde sich von einigen Insassen des Lagers bedienen, erklärt Tessa Bouwman, Digital Curator im Museum Westerbork, die auch Führungen durch das Lager begleitet.
Im April 1945, kurz vor der Befreiung des Lagers durch kanadische Truppen, setzte sich Gemmeker ab, wurde rund einen Monat später aber verhaftet. Im Januar 1949 wurde der ehemalige Lagerkommandant zu lediglich zehn Jahren Haft verurteilt.
Holocaust-Überlebende kauften Tabakwaren bei Gemmeker
Die „korrekte Behandlung“ der Häftlinge in Westerbork wurde ihm strafmildernd angerechnet. Außerdem behauptete er, nicht gewusst zu haben, was die Menschen in den Vernichtungslagern erwartete. Im April 1951 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen und arbeitete in Düsseldorf als Verkäufer in einem Tabakwarengeschäft. Es soll jüdischen Holocaust-Überlebenden große Genugtuung bereitet haben, bei ihm einzukaufen und sich von dem früheren Lagerleiter bedienen zu lassen.
In späteren Jahren gab es noch mehrere Ermittlungsverfahren wegen Kriegsverbrechen, doch Gemmeker konnten keine zureichenden Beweise angelastet werden für eine weitere Inhaftierung. 1982 starb der Düsseldorfer wenige Wochen vor seinem 75. Geburtstag in seiner Heimatstadt.
Knapp 60 Jahre im Kommandantenhaus
Im ehemaligen Kommandantenhaus lebte aber tatsächlich noch jemand. Von 1952 bis 2007 hat eine Frau namens Hanneke Speck O’Breen dort gewohnt, die verschiedene Phasen in Westerbork erlebt hat. Ihr Vater habe mehrere Funktionen in der niederländischen Armee gehabt und sei 1952 mit seiner Familie in das Haus gezogen, berichtet Bouwman über die „merkwürdige Frau“.
Sie hat erlebt, wie Westerbork von 1951 bis 1971 Wohnort für Flüchtlinge aus Indonesien wurde und ließ sich auch nicht davon stören, dass mit der Eröffnung des Museums 1983 in den Folgejahren immer mehr Besucher nach Westerbork kamen. Mittlerweile seien es rund 150.000 jährlich, sagt Bouwman.
Haus wirkt aus der Zeit gefallen
„Sie hat sehr verschlossen gelebt und am Haus so gut wie nichts gemacht. Sie war immer komisch“, meint Bouwman. Wenn man das Haus betritt, kann man sich kaum vorstellen, dass vor noch nicht einmal 20 Jahren noch jemand dort gelebt haben soll. Die übrig gebliebenen Möbel scheinen noch aus Kriegstagen zu sein, der Herd ist verrostet und sieht aus, als sei er ewig nicht benutzt worden.
Abgesehen davon wirken die zwei Etagen plus Dachboden deutlich zu groß für eine einzelne Person. Die Frau muss irgendeine spezielle Verbindung zum Kamp Westerbork gehabt haben, doch welche genau, abgesehen von dem Vater, kann auch Bouwman nicht sagen.
Mysteriöser und geheimnisvoller Ort
Seit 2014 steht das Haus unter einem Glaskasten, um es vor weiterem Verfall zu schützen. Der Zutritt ist nur wenigen Personen vorbehalten. „Wenn alle 150.000 Besucher in das Haus gehen würden, würde es wahrscheinlich zusammenbrechen“, meint die Kuratorin.
Der Glaskasten mache das Haus noch mehr zu einem „Marker“, generell habe es etwas „Geheimnisvolles, es ist ein sehr mysteriöser Platz“, findet Bouwman, und diese Beschreibung trifft es sehr gut.