Amsterdam/Utrecht. Am Wahltag liegen Angst und Hoffnung dicht beieinander. Während die einen in den Niederlanden auf Rechts setzen, fürchten andere genau das.

Am Mittwoch herrscht Ausnahmezustand im Anne-Frank-Haus. Einige unwissende Touristen stehen mit enttäuschten Gesichtern vor dem weltbekannten Museum in Amsterdam. Herein kommt nur, wer eine ganz besondere Eintrittskarte mit sich trägt: einen Stimmzettel für die Niederlande-Wahl 2023.

Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt können von 9 bis 19 Uhr in der Eingangshalle wählen und anschließend kostenlos das Museum besuchen. „So einen entspannten Tag wie heute, habe ich selten“, gibt ein Mitarbeiter des Anne-Frank-Hauses grinsend zu. Vor der Arbeit habe er selbst noch seinen Zettel in die Wahlurne eingeworfen. „Ich kann es gar nicht abwarten, dass sich nach 13 Jahren Rutte nun endlich etwas verändert."

Amsterdam: Anne-Frank-Haus ist Wahllokal

Es ist in diesem Jahr das erste Mal, dass das Anne-Frank-Haus zum Wahllokal wird. „Das Museum macht auf die lebenswichtige Bedeutung von Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie aufmerksam“, erklärt Museumsdirektor Ronald Leopold. „Sie wurde in einem demokratischen Land geboren, doch vier Jahre später herrschte in ihrer Heimat eine Diktatur. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Demokratie fragil ist und dass wir unsere demokratischen Werte schätzen müssen."

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Von Tatjana Tempel, Michelle Kox, Madeleine Hesse

„Es ist eine große Ehre hier zu wählen“, findet auch der 27-jährige Marten Visser. Schließlich könne kein Ort in Europa besser verdeutlichen, was aufgrund von nur ein falschen Wahlentscheidung passieren kann.

„Hier können wir dafür sorgen, dass die rechten Parteien in unserem Land nicht noch größer werden." Er selbst habe seine Stimme dem linken Bündnis PvdA-Groenlinks gegeben und vertraue auf eine Prognose von Parteichef Timmermanns: „Eine rechte Koalition würde sowieso nicht lange überleben.“

Doch nicht alle sind so optimistisch. Die Freundinnen Doris (31) und Alma (36) erreichen das Wahllokal gegen 12.30 Uhr mit gemischten Gefühlen. „Ich habe Angst vor dem Wahlergebnis“, gibt Doris zu. Die Amsterdamerin geht davon aus, dass viele Menschen im Land für rechte Parteien stimmen werden. „Wenn die VVD oder die PVV an die Macht kommen, ist es mit der Freiheit in unserem Land vorbei." Auch sie wolle strategisch für das linke Bündnis PvdA-Groenlinks stimmen - um rechte Parteien aufzuhalten.

Abstimmen im Bahnhof Utrecht Centraal

In der trubeligen und kühlen Bahnhofshalle in Utrecht geht es die Treppen hoch zum örtlichen Wahlbüro. Pim Hopmans hat gerade seine Stimme abgegeben und ist wieder auf dem Weg nach unten. Was er von der neuen Regierung erwartet, egal wie diese sich am Ende zusammensetzt: „Dass sie wieder für jeden da ist.“ Soziale Gerechtigkeit ist sein Herzensthema bei den Wahlen. Zu viel werde für die reiche Bevölkerungsschichten und große Unternehmen getan, sagt der 28-Jährige.

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Ein weiteres Thema, das seine Wahlentscheidung beeinflusst habe: der Klimawandel. „Ich will, dass dass die künftige Regierung wirklich einen Fokus darauf setzt - nicht nur mit Blick auf die kommenden Jahre, sondern auf die nächsten 100 Jahre.“ Es werde einfach nicht genug getan.

Niederlande: Unterschied zwischen Stadt und Land

Allzu viel Hoffnung, dass sein Wunsch in Erfüllung geht, habe er aber nicht. Und doch: „Ich hoffe, dass ich überrascht werde.“ Seine Familie wohnt auf dem Land in Brabant. Er wisse dadurch, dass viele Menschen dort anders stimmen als er - rechter. „Es gibt einen großen Unterschied zwischen den Metropolen und ländlichen Regionen.“ Pim Hopmans selbst gibt an, die linke Partij voor de Dieren (Tierpartei) gewählt zu haben.

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Kurz nach ihm kommt Maarten aus dem Wahllokal. Der 25-Jährige stimmt auch „liever wat links“ - lieber links, wie er auf Deutsch erzählt. Mehrere Jahre hat der Politikstudent in Süddeutschland gelebt. Nun wohnt er in Utrecht und sagt offen: „Die Stadt ist recht links.“

Soziale Themen bestimmen die Niederlande-Wahl

Was Maarten sich für die kommenden Jahre in den Niederlanden wünscht: Unter anderem eine gut funktionierende Verwaltung - doch Ex-Christdemokrat Pieter Omtzigt, der mit diesem Versprechen und einer neuen Partei angetreten ist, sei keine Wahl für ihn. „Ich bin aber froh, dass es ihn gibt.“ So sei das Thema wieder auf der politischen Agenda gelandet.

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Ausschlaggebender für sein Kreuzchen sind Maarten sozialpolitische Fragen, wie er angibt. Darunter Wohnen, Lohn, Infrastruktur und mehr. „Ich habe hohe Studienschulden“, erzählt er. Auch die hohen Wohnkosten im Nachbarland bekommt er in der Studentenstadt Utrecht zu spüren: mit rund 550 Euro Zimmermiete.

Neue Regierung soll Leben verbessern

Auch Parteien aus dem rechten und konservativen Spektrum hatten mit versprochenen Mindestlohnerhöhungen auf soziale Themen gesetzt. Sollte aber der Rechtspopulist Geert Wilders, der in den Umfragen zuletzt deutlich aufgerückt war, wirklich Premier werden, sei das ein absolutes „No-Go“.

Wie auch immer die nächste Koalition aussehen wird: Die Menschen in den Niederlanden wollen nicht nur Veränderung – sie wollen Verbesserung. Die künftige Regierung kann sich darauf einstellen, daran gemessen zu werden.