Niederlande. In den Niederlanden gibt es deutlich mehr Corona-Neuinfektionen als in NRW. Vor allem in Amsterdam und Rotterdam ist die Lage kritisch.

Auch der niederländische Gesundheitsminister hat schon angenehmere Zeiten erlebt. Erst in der vergangenen Woche musste er sich im Parlament unangenehme Fragen gefallen lassen. Hatte er doch behauptet, der öffentliche Gesundheitsdienst habe die Lage unter Kontrolle. Dabei hatten die lokalen Behörden aus Amsterdam und Rotterdam ihm bereits „Land unter“ gemeldet: Gerade in der Metropolregion Randstad steigen die Fallzahlen derzeit deutlich an.

Das macht auch Professor Alex Friedrich, aus Bayern stammender Mikrobiologe an der Universität Groningen Sorge: „Vor allem in Rotterdam haben wir es nicht mehr mit eindeutigen Clustern zu tun, sondern da scheint es sich um eine Vielzahl kleiner und kleinster Infektionsereignisse zu handeln.“

Wieder haben die Niederlande, verglichen mit NRW, erstaunlich hohe Fallzahlen, die den Werten unmittelbar vor dem „intelligenten Lockdown“ im Nachbarland gleichen.

Mehr Corona-Tests, mehr Fälle?

Die berühmte „tweede golf“ – die zweite Welle? Schließlich wurden in der vergangenen Woche wieder über 4000 neue Corona-Fälle gemeldet, die Anzahl der Krankenhausaufnahmen und Corona-Toten steigt ebenso. Friedrich ist vorsichtig: „Es ist eher wie kleine Tropfen, die durch den Fußboden dringen. Und irgendwann steht man dann knietief im Wasser.“

Dennoch sieht Friedrich auch bedeutsame Unterschiede: „Es wird jetzt wesentlich mehr getestet, also findet man auch mehr Fälle.“ Die Zahl der Tests hat sich im Vergleich zum März verzehnfacht – und trotzdem gibt es kaum mehr Fälle – so kann man die Werte auch lesen. Und: Die Zahl der Menschen, die die im Nachbarland knappen Intensivbetten brauchen, ist deutlich geringer. Mitte März wurden täglich über hundert Patienten in die Kliniken eingeliefert. Derzeit sind es um die zehn.

Damals wurden fast nur die bereits schwer erkrankten Menschen in Kliniken beprobt, phasenweise war jeder vierte Test positiv. Und damals traf das Virus vor allem ältere Menschen, während jetzt vor allem die Altersgruppe der jungen Erwachsenen betroffen ist.

Prof. Alexander W. Friedrich leitet die Abteilung für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Groningen..
Prof. Alexander W. Friedrich leitet die Abteilung für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Groningen.. © Privat | Foto

Die jedoch wird, wie andernorts, mit dem Virus oft besser fertig, hat nur milde oder keine Symptome. Und letzteres ist die große Gefahr. „Wir sehen mehr und wir sehen es früher.“ In den meisten Fällen ließen sich die Hotspots gut eingrenzen.

Maskenpflicht in Amsterdam und Rotterdam

Ausnahme: Die Regionen Amsterdam und Rotterdam. Dort gibt es viele, kleine schwer nachvollziehbare Herde. Deswegen wurde Anfang August in Amsterdam und Rotterdam erstmals eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit eingeführt – zumindest auf stark besuchten Straßen und Plätzen. Bislang galt in den Niederlanden eine Maskenpflicht ausschließlich im öffentlichen Nahverkehr.

Die Gefahr zumindest in der dicht bevölkerten Randstad wächst, ist Friedrich überzeugt. „Wir gehen davon aus, dass viele das Virus unbewusst weitergeben. Es gibt auch in den Niederlanden wieder mehr Feste und Treffen, besonders vor Wiederbeginn des Semesters in den Hochschulen, hinzu kommen die vielen Ferienrückkehrer“, so Friedrich. Die werden nur selten getestet – vor allem dann, wenn sie im Gesundheitswesen arbeiten, sollen sie nach Einreisen aus Risikogebieten in Quarantäne gehen.

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Angesichts der steigenden Neu-Infektionen mit dem Coronavirus sollen die Menschen in den Niederlanden zu Hause keine größeren Feste mehr feiern. Sechs Gäste seien das Maximum, sagte Ministerpräsident Mark Rutte am Dienstagabend in Den Haag. Doch es bleibt bloß bei einem „dringenden Rat“.

Im Nachbarland also nimmt die Sorglosigkeit zu und fällt die Akzeptanz der ohnehin zurückhaltenden Corona-Maßnahmen schwer. Weder gibt es eine landesweite Maskenpflicht im Klassenzimmer, noch beim Einkauf oder in Cafés und Gaststätten, wo jetzt immerhin die Registrierungspflicht eingeführt wird.

Hinter der niederländischen Grenze sind Corona-Zahlen derzeit niedrig

Beruhigend für die Menschen am Niederrhein und den kleinen Grenzverkehr: Die Infektionszahlen in den Nachbarprovinzen Brabant, Limburg und Gelderland sind derzeit recht niedrig, bewegen sich sogar unterhalb der Zahlen in den Kreisen Kleve und Wesel. Darauf jedoch sollten sich die Institutionen beiderseits der Grenzen nicht ausruhen, empfiehlt Friedrich. „Politische Epidemiologie hilft nicht. Es wäre besser, medizinische Epidemiologie anzuwenden.“

Der niederländische DJ Afrojack bei einem Auftritt am 11.. August während einer Strandparty in Zandvoort. 1000 Zuschauer waren erlaubt.
Der niederländische DJ Afrojack bei einem Auftritt am 11.. August während einer Strandparty in Zandvoort. 1000 Zuschauer waren erlaubt. © AFP | Sander Koning

Will sagen: Weil Viren keine Grenzen kennen, sollten gerade die Nachbarländer Niedersachsen und NRW mit den niederländischen Provinzen kooperieren und abstimmen, ab welchen Fallzahlen beiderseits der Grenzen welche Maßnahmen ergriffen werden. „Aber die Euregios beschäftigen sich derzeit nicht mit solchen Fragen und erklären sich nicht für zuständig.“ Ein Manko sei auch, dass die Risikoeinschätzung von Urlaubsgebieten sich unterscheidet. Wer in den Niederlanden sorglos wieder einreisen kann, müsste in Deutschland in Quarantäne – und umgekehrt.

„Mit möglichst geringen Fallzahlen in den Corona-Winter gehen“

„Nationale Maßnahmen machen wenig Sinn“, sagt Friedrich. Rings um Groningen gibt es kaum Fälle derzeit, warum also dann einen Lockdown, der womöglich im Raum Amsterdam oder Rotterdam nötig wird? Dort in Nordfriesland sind die Fallzahlen derzeit so niedrig, dass Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes mittlerweile in Amsterdam und Rotterdam aushelfen, bei der Nachverfolgung und Isolierung der zahlreichen Fälle dort. Das Ziel müsse sein, so Friedrich, mit möglichst geringer Grundlast an aktiven Fällen in den ersten Corona-Winter zu gehen, weil im Winter mit einer deutlich steigenden Zahl auch klinischer Fälle zu rechnen sei.