Kreis Kleve. Der Kreis Kleve zählt die meisten Unfalltoten in ganz NRW. Fahrlehrer berichten, was die Straßen in der Region so gefährlich macht.

So viele Menschen wie sonst nirgends in NRW sind im vergangenen Jahr im Kreis Kleve durch Verkehrsunfälle ums Leben gekommen. Mit 21 Verkehrstoten war die Zahl zwar etwas niedriger als im Vorjahr, aber dennoch höher als in jedem anderen Landkreis in NRW. Auch in diesem Jahr sind bereits neun Menschen im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen gestorben, zwei davon Mitte April bei einem Unfall auf der B220. Wie kann das sein?

„Das ist eine schwere Frage, die man gar nicht eindeutig beantworten kann“, sagt Paul Steinkamp im Gespräch mit unserer Redaktion. Er hat über 50 Jahre als Fahrlehrer im Kreis Kleve gearbeitet und kennt die Straßen gut. Für die vielen schweren Unfälle sieht er mehrere mögliche Ursachen: „Wir haben hier viele Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaft, auf denen man schnell fahren darf. Diese Straßen sind aber oft sehr schmal. Wenn sich da zwei breite Fahrzeuge entgegenkommen, kann es schnell ziemlich eng werden.“

Kreis Kleve: Diese Straßen sind besonders gefährlich

Dazu kämen teils unübersichtliche Straßenverhältnisse und viele Kurven. Besonders gefährlich seien die Straßen, an denen viele Bäume unmittelbar am Straßenrand stehen. „Davon gibt es im Kreis Kleve viele. Wenn man hier mit hoher Geschwindigkeit von der Straße abkommt und mit einem Baum zusammenstößt, hat man oft keine Chance mehr.“ Auch gebe es – im Gegensatz zur Autobahn – meist keine bauliche Trennung zwischen den beiden Fahrtrichtungen, sodass bei zu hohem Tempo die Gefahr bestehe, in den Gegenverkehr zu geraten.

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Stefan Sparberg, Pressesprecher der Kreispolizeibehörde Kleve, nennt auf Anfrage die über 135 Kilometer lange Grenze zu den Niederlanden als „Alleinstellungsmerkmal in NRW“. Folge sei entsprechend viel Grenzverkehr durch Pendler, Urlauber und Verkehrsteilnehmer, die zum Einkaufen über die Grenze fahren. Auch das verstärkte Aufkommen von E-Bikes und E-Scootern sorge immer mehr für Konfliktsituationen, „die im Einzelfall auch zu Verkehrsunfällen führen“. Das sei natürlich besonders für die vergleichsweise ungeschützten Verkehrsteilnehmer gefährlich.

Das Problem mit der Vorfahrt

Bei den 1279 Unfällen mit Personenschaden im Kreis Kleve waren laut Unfallstatistik Vorfahrts- und Vorrangsverstöße sowie Fehler beim Abbiegen und Wenden mit rund 40 Prozent die häufigste Ursache. Allein von Januar und Ende März hat die Polizei hier schon 880 Verstöße gegen Vorfahrt- und Abbiegeregelungen geahndet. Auch dafür hat Ex-Fahrlehrer Steinkamp eine mögliche Erklärung. Auf vielen Landstraßen im Kreis Kleve sei es häufig sehr ruhig. Wer diese Straßen seit Jahren kennt, neige beim Abbiegen vielleicht dazu zu glauben, „ach, da kommt doch eh nie jemand“, schätzt der ehemalige Fahrlehrer und appelliert an die Aufmerksamkeit der Fahrer.

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„So darf man natürlich niemals denken. Jeder Verkehrsteilnehmer trägt die gleiche Verantwortung, jederzeit vorsichtig und rücksichtsvoll zu fahren“, sagt Steinkamp. Und genau diese Rücksicht lassen einige Fahrerinnen und Fahrer inzwischen vermissen, findet Michael Geurts, Leiter der Academy Fahrschule Drive In in Kleve. „Die Leute sind einfach ungeduldiger geworden. Das merkt man nicht nur bei privaten Autofahrten, sondern auch im Fahrschulauto.“ Diese Beobachtung mache auch die Polizei immer wieder, gibt Sparberg zu. Insgesamt ist die Zahl der Verkehrsunfälle im Kreis Kleve von 9175 im Jahr 2022 auf 9306 im vergangenen Jahr angestiegen.

Der weite Weg zum Führerschein

Immer mehr Menschen würden zu dicht auffahren und an riskanten Stellen überholen, bemängelt der Fahrschulleiter Geurts. „Das sind vor allem schmale und kurvige Landstraßen, an denen direkt Bäume stehen. Und davon gibt es im Kreis Kleve eben einige.“ Ob Fahrschüler heutzutage einfach zu wenig Erfahrung auf Landstraßen sammeln? Das verneint Geurts klar. „Wer heute einen Führerschein macht, macht mindestens zwölf Sonderfahrten. Und selbst wenn diese geschafft sind, kommt der Fahrschüler erst zur Prüfung, wenn ihn der Fahrlehrer für geeignet hält.“

Die Leute sind einfach ungeduldiger geworden. Das merkt man nicht nur bei privaten Autofahrten, sondern auch im Fahrschulauto.
Michael Geurts - Fahrschulleiter, über das Fahrverhalten im Kreis Kleve.

Für den Führerschein der Klasse B muss man übrigens mindestens fünf Überlandfahrten, vier Autobahnfahrten und drei Fahrten bei Dunkelheit absolviert haben, jeweils mit einer Länge von mindestens 45 Minuten. „Außerdem sind es ja nicht nur die jungen Leute, die riskant fahren“, ergänzt Steinkamp. Sowohl Jung als auch Alt würden Geschwindigkeitsbegrenzungen und Stopp-Schilder häufig nicht mehr so ernst nehmen. „Das macht Kreuzungen immer gefährlicher.“ Für ihn gilt deshalb die Devise: „Lieber etwas länger an der Kreuzung warten als zu kurz.“