Essen. Die Tiervermittlung „Chicken on Tour“ vermietet Hühner an Familien und Kitas. Für die Kinder ist nicht nur das Eiersammeln spannend.

Henrietta und Lina sind zuerst am Zaun, dicht gefolgt von Lilly und Emelie. Sie wissen, dass es bald Extra-Futter gibt, wenn die Kinder den großen weißen Eimer heranschleppen. Neugierig schauen die vier Hühner zu, wie Erzieherin Julia Volbert den Zaun öffnet und Vincent, Saphira, Jakob und Tamia zu den Tieren hineinlässt. „Ida ist noch im Häuschen“, ruft Saphira (6) und in der Tat: Huhn Nummer 5 hat sich versteckt und lässt sich erst mit ein wenig Verzögerung blicken.

Die Kinder der Kita Kettwig auf der Höhe in Essen wissen genau, was an diesem Morgen im Hühnergehege zu tun ist. Zunächst mal „Kacke wegmachen“. Mit kleinen Schüppen und gelben Eimern beseitigen die vier gekonnt die Hinterlassenschaften von Henrietta und ihrer Hennen-Schar. Der Futterautomat wird aufgefüllt, der Wasserspender geprüft. Dann endlich dürfen die Kinder mit der Hand füttern.

50 Hühnergruppen à fünf Hühner sind unterwegs

„Das graue Huhn hat mich schon mal in den Finger gezwickt“, erzählt Vincent (6). Das graue Huhn, das ist Ida, und sie pickt wie alle anderen Hühner so zielstrebig und hektisch in Richtung Kinderhände, dass Vincent und Tamia (5) flugs die Körner, Erbsen und Sonnenblumenkerne auf die Wiese fallen lassen. „Aua“, ruft Jakob (6), der etwas länger stillhält. „Die machen das ja nicht extra“, sagt Saphira, aber weh tut allen das emsige Gepicke mit den harten Schnäbeln trotzdem ein wenig.

Zwei Wochen lang sind Henrietta, Lina, Lilly, Emelie und Ida auf dem Außengelände der Kita zu Gast. Die Leihhühner kommen von Inga Feige von „Chicken on Tour“, die jeweils auf Anfrage ein Rundum-Sorglos-Paket mit fünf Hühnern samt Zubehör vorbeibringen lässt. „Wir haben 50 Hühnergruppen à fünf Hühner, die unterwegs sind“, sagt die Lehrerin und Landwirtin, die gemeinsam mit ihren zwei erwachsenen Söhnen einen Bio-Bauernhof in Haan-Gruiten betreibt.

In der Coronazeit war der Ansturm groß

Vor gut vier Jahren ging es los mit der Hühner-Vermietung vor allem an Kitas, in der Corona-Zeit entdeckten dann viele Familien das Angebot. „Die Menschen hatten viel Zeit, waren zu Hause und haben sich dann Hühner in ihre privaten Gärten geholt“, so Inga Feige. Unter den Kunden sind die Familien nun wieder weniger geworden, dafür buchen Kitas und Altenheime sehr viel. Manche Kitas sind bereits zum dritten oder vierten Mal dabei.

Chicken on Tour

„Chicken on Tour“ aus Haan-Gruiten vermietet Hühner in Fünfergruppen. Der mitgelieferte Hühnerstall hat eine automatische Türklappe, die sich morgens um 8 Uhr öffnet und abends schließt. Futter- und Wasserspender, Steckzaun, Regendach, Sandbad sowie Stroh und Futter sind ebenfalls dabei. Zwei Wochen kosten 249 Euro, vier Wochen 398 Euro. Infos: www.chickenontour.de

In NRW gibt es weitere Anbieter, zum Beispiel „Leihhenne unterwegs“ aus Havixbeck (Infos: www.leihhenne.de) oder „Leih dir ein Huhn!“ aus Overath (Infos: www.leihdireinhuhn.de).

Vincent und die anderen Vorschulkinder sind inzwischen zur Rückseite des Hühnerhauses gelaufen. Dort, hinter einer grünen Klappe, befinden sich zwei Legeboxen. „Wollen wir mal nachsehen, wie viele Eier es heute sind?“, fragt Erzieherin Julia Volbert. Ein kurzer Handgriff, dann steht fest: Es sind zwei. Eins ist braun und eins türkis. Saphira und Tamia legen sie behutsam in einen Eierkarton. „Daraus können wir Rührei machen. Oder Spiegelei“, sagt Jakob, der selbst auf einem Bauernhof wohnt und sich mit Hühnern sehr gut auskennt.

Hühner sollen so wenig Stress wie möglich haben

„Chicken on Tour“ vermietet die Hühner immer in den gleichen Fünfergruppen. Auch auf ihrem Heimathof in Haan-Gruiten leben die Hennen in einzelnen kleinen Gehegen zusammen. „Uns ist es ganz wichtig, dass die Hühner so wenig Stress wie möglich haben“, betont Inga Feige. „Und Stress beginnt für sie dann, wenn sie ihre Hackordnung neu sortieren müssen.“ Ein gutes Zeichen ist es für die Landwirtin, wenn die fünf Hühner sofort nach der Ankunft an einem neuen Ort anfangen zu picken, zu scharren und Eier zu legen. „Das ist ein bisschen so, wie wenn man mit einem Wohnmobil in den Urlaub fährt. Man hat seine Familie und seine ganzen Sachen dabei.“ Gleichzeitig sei es für die Tiere eine spannende neue Umgebung, in der sie neue Würmer und Insekten finden.

Wenn ihr Kritik von Tierschützern wegen der regelmäßigen Ortswechsel zu Ohren kommt, entgegnet Inga Feige, man sehe es den Hühnern an, wenn sie aus der Transportbox kommen, dass sie entspannt seien und sich wohlfühlen. Etwa, wenn sie sich sofort eine Kuhle für ein Sonnenbad frei scharren. Das „Chicken on Tour“-Team liefert 65 Kilometer um den Hof in Haan-Gruiten herum. „Wir wollen den Hühnern nicht zumuten, ewig lange im Auto zu sitzen.“

Kinder übernehmen Verantwortung für Lebewesen

Der pädagogische Ansatz ist der Mutter von fünf Kindern bei der Hühnervermietung ganz wichtig. Das Wechselspiel, dass Kinder Verantwortung für Lebewesen übernehmen und im Gegenzug dafür das Vertrauen und die Eier der Hühner bekommen, mag sie sehr. Dass Kinder durch die Hühner auf Zeit genau das hautnah erfahren könnten, sei ihr Hauptantrieb, erzählt sie.

Außerdem stellten sich viele Menschen unter Hühnern anonymes Federvieh vor. „Aber jedes einzelne Huhn hat einen eigenen Charakter. Das eine ist ganz forsch, das andere total zurückhaltend. Auch in ihrer Beziehung zu Menschen sind sie sehr unterschiedlich.“ Für Kinder und Familien sei das total spannend.

Mehr Bewusstsein für artgerechte Haltung

Manche Familien liebäugeln damit, sich dauerhaft Hühner anzuschaffen und nutzen das Miethühner-Angebot als Testphase. Andere haben nur einen kleinen Garten, in dem keine Hühnerhaltung möglich ist, aber für zwei Wochen geht es dann doch mal.

Inga Feige ist überzeugt, dass es einen Einfluss auf die Einkaufsgewohnheiten der Familien habe, wenn eine ganze Kita die Möglichkeit hat wahrzunehmen, was für ein Lebewesen ein Huhn ist. Ob sie dann noch Billig-Eier ohne einen Gedanken an die Haltung kaufen? „Ich glaube, dass wir da ganz viel Bewusstsein schaffen können, was artgerechte Haltung bedeutet.“ Es sei sogar politisch wichtig, wenn immer mehr Menschen wüssten, dass man Hühner am besten mit viel Auslauf und viel Zuwendung hält.

Die Essener Kita-Kinder jedenfalls kennen sich mit den Bedürfnissen von Hühnern nach anderthalb Wochen schon bestens aus und können auch die verschiedenen Laute vom leisen „tock-tock“ bis zum lauten „gack-gack“ unterscheiden. Julia Volbert sagt: „Wenn Henrietta zum Beispiel ganz aufgeregt gackert, läuft sie danach ins Häuschen und legt ein Ei.“ Wie viele Eier es wohl nach dem langen Osterwochenende sein werden? Die Kinder sind schon sehr gespannt!