Essen. Greenwashing: Etiketten und Labels verraten oft nur einen Teil der Wahrheit. Oft täuschen wir uns über Gemüse, Fleisch und Ökostrom.
Die Wahrscheinlichkeit, dass wir chinesische Tomaten im Kühlschrank haben, ist ziemlich hoch: In der Tiefkühlpizza, in der Ketchupflasche, in der Tomatenmarktube. Wer weiß schon, das China der größte Tomatenproduzent der Welt ist? Dort wachsen zehnmal so viel Tomaten wie in Italien. Obwohl sich nur selten eine Tomate in die chinesische Küche verirrt. Chinesische Tomaten sind ein Exportschlager. In der Haupt-Anbauregion Xinjiang ist das Klima für den Anbau ideal. Aber dort schuften auch oft uigurische Zwangsarbeiter auf den Feldern, die keinen Lohn erhalten – chinesische Tomaten sind so unschlagbar billig, daran ändert nicht einmal ein Transport um die halbe Welt etwas.
Wir erfahren aber nur selten, wo Tomaten oder Bio-Kidneybohnen oder Bio-Erdnüsse aus China drin sind. Außer in Italien – da muss auf einer Dose Tomaten draufstehen, dass sie aus China kommen, wenn das der Fall ist. Weshalb sie sich dort schlecht verkaufen. Im Rest der Europäischen Union reicht auf der Packung die Angabe „EU“ oder „Nicht EU“. Gelegentlich findet sich, meist bei verarbeiteten Produkten, aber auch bei Lebensmitteln wie Honig die absurde Angabe „EU/Nicht EU“.
Auf den Verpackungen unserer Lebensmittel steht in jüngster Zeit immer mehr, immer kleiner gedruckt. Aber die entscheidenden Dinge stehen oft nicht da. Dies ist eine der vielen Erkenntnisse im Sachbuch „Gibt‘s das auch in Grün?“ Die beiden „Öko-Test“-Redakteurinnen Kerstin Scheidecker und Katja Tölle schreiben über Mineralwässer, Kuhmilch, Hühner- und Schweinefleisch, Soja, Kosmetik, Wasch- und Putzmittel sowie Ökostrom. Selbst bei letzterem gibt es gehörigen Etikettenschwindel: Ökostrom-Anbieter können Zertifikate von uralten norwegischen oder österreichischen Wasserkraftwerken kaufen. Mit den Zertifikaten kriegt man normalen Strom, der nur so tut, als sei er öko. Man kauft quasi den norwegischen oder österreichischen Strom, den in Norwegen oder Österreich oder sonstwo eh jemand gekauft hätte, in Deutschland dann als Öko-Strom, nur wegen der Zertifikate. So wird durch diesen Stromtarif kein einziges Windrad, keine einziges Solar-Panel neu aufgestellt. Der Anteil des Ökostrom-Bezugs am Wachsen der nachhaltigen Stromversorgung ist äußerst gering, der Motor ist vielmehr das Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Kerstin Scheidecker und Katja Tölle machen ihr Buch mit Zusammenfassungen an jedem Kapitel-Ende und mit abgestuften Empfehlungen zu einem Einkaufsratgeber für alle, die angesichts der ernüchternden Erkenntnisse trotzdem versuchen wollen, möglichst umweltverträglich, möglichst klimaschonend zu konsumieren.
Die Käfighaltung von Hühnern läuft 2025 aus
Aussagekräftigere Etiketten, neudeutsch auch Label genannt, sind eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür. Denn es gibt ein leuchtendes Beispiel für die Wirksamkeit solcher Verbraucher-Informationen: Die Kennzeichnung von Hühner-Eiern, die EU-weit 2004 eingeführt wurde, von 0 für Bio-Eier bis 3 für Eier aus Käfighaltung. Allein durch die Kennzeichnung ging bei Eiern aus Käfighaltung die Nachfrage in den Keller; wer nicht gerade auf dem Mond lebte, hatte irgendwann mal erschütternde Bilder von dieser Haltungsform gesehen. 2025 läuft die Käfighaltung von Hühnern aus. Allerdings war diese Form von Tierschutz auch preiswert zu haben, die Unterschiede lagen im einstelligen Cent-Bereich und die Eierpreise waren durch die zunehmende Industrialisierung der Hühnerhaltung seit den 50er-Jahren so gut wie gar nicht gestiegen.
Die Einsicht, dass die industrielle Tierhaltung auch für andere Tierarten nicht so wie bisher weitergehen kann, wächst nicht nur hierzulande, wo vielleicht nicht nur Millionen von Hunden und Katzen in den Genuss des seit 2002 grundgesetzlich verankerten Tierschutzes kommen sollten. Zudem geht laut Erhebung der Welternährungsorganisation FAO jede siebte Tonne CO2 auf die industrielle Tierhaltung zurück. Regenwälder werden für Tierfutter abgebrannt, Antibiotika in der Tiermast sorgen dafür, dass sie bei Menschen immer weniger helfen. Weniger Tiere zu essen, zu füttern, zu züchten ist ein Gebot der Vernunft – und es kommt den Tieren zugute.
An dem Band Nutztiere hat auch die ehemalige Landwirtschaftsministerin Renate Künast mitgearbeitet
Der neue Aufsatz-Sammelband „Nutztiere“ beschreibt für alle Tierarten Beispiele von tier- und umweltverträglichen Haltungsformen. Da sind Bio-Puten aus den Wäldern von Mecklenburg-Vorpommern genauso dabei wie die Hestbjerg-Farm bei Aarhus in Dänemark, wo 1250 Mutterschweine in Bio-Haltung leben, auf einem 1000-Hektar-Hof. Für jedes Tier müssten offenbar andere Zahlen definiert werden, ab wann eine Massenhaltung beginnt. Ein Huhn kann 40 Artgenossen voneinander unterscheiden, alles, was darübergeht, schadet seinem Sozialverhalten.
Tierfreundliche, naturnahe Haltungsformen sehen nicht immer danach aus: In einer Forellen-Zuchtanlage in Oberbayern bilden Wände aus Beton Durchflusskanäle, und Vorsprünge aus demselben Material über den Teichen schützen die Fische vor Reihern, Kormoranen und der grellen Sonne. All die einleuchtenden Beispiele des Bandes werden aber nur funktionieren, wenn die Menschen bereit sind, weniger Fleisch zu essen. Dafür wiederum sind europaweit einheitliche Kennzeichnungen nötig, die zuverlässig Auskunft geben über die Form der Haltung.
Die Bücher, die Debatte:
Kerstin Scheidecker/Katja Tölle: Gibt‘s das auch in Grün? Tricks der Industrie durchschauen, nachhaltig einkaufen. Campus Verlag, 256 S., 24 € (erscheint am 7. Februar).
Bernward Geier/Stefanie Pöpken/Renate Künast (Hg.): Nutztiere. Mehr als eine Frage der Haltung. Westend Verlag, 262 S., 29,95 €.
Kerstin Scheidecker, Katja Tölle und Stefanie Pöpken diskutieren über „Greenwashing und ander Sauereien“ bei der nächsten „Lesart“ im Essener Grillo-Theater am Dienstag, 30. Januar, mit WAZ-Kulturchef Jens Dirksen und dem Deutschlandfunkkultur-Moderator Christian Rabhansl (ab 20 Uhr, Karten: 8 €, Tel. 0201/81 22-200).