Kleve. „Aktenzeichen XY“ der Kunstgeschichte: Wer war der Meister von Cappenberg? Und wo sind seine Werke? Das Klever Museum gibt Antworten.

Beginnen wir doch mit einem Rockzipfel in Hellgelb. Den kannte Valentina Vlasic von einem Altarstück aus ihrem Museum Kurhaus. Sie zeigte einige Menschen, die mysteriöserweise diesem männlichen Uniformstück hinterher starren. In einem Museum in Karlsruhe entdeckte sie den Träger des gelben Gewandes: So fügten sich zumindest zwei Fragmente zusammen. Jesus indes, der mutmaßlich in der Krippe auf der Decke liegen würde, bleibt immer noch verschollen.

So ist das mit dem Werk von Jan Baegert, den man über lange Jahre „Meister von Cappenberg“ nannte, weil man dort immerhin einen seiner Altäre vollständig erhalten hatte. Die übrigen Altarbilder sind im Laufe der Jahrhunderte zerstört und zerkleinert worden.

Mit Zimmermannssägen kann man ungefähr 20 Zentimeter weit einschneiden, also Heiligenbildnisse und Randszenen der großen Altäre in haushaltskonforme Größen teilen, notfalls zu retuschieren und teilweise zu übermalen, damit das Motiv einigermaßen eigenständig aussah und dann man sie vor allem im 19. Jahrhundert gewinnbringend verkauft.

Ein weiterer Ausschnitt mit dem etwas despektierlich klingenden Titel „Die Heilige Sippe“.  
Ein weiterer Ausschnitt mit dem etwas despektierlich klingenden Titel „Die Heilige Sippe“.   © Museum für Kunst- und Kulturgeschichte Dortmund. | Juergen Spiler

Was von dem Zeitgenossen Cranachs und Dürers übrig ist, der übrigens Weseler Bürger und keinesfalls Cappenberger war, ist so ziemlich in alle Winde verstreut. Das Museum Kurhaus Kleve immerhin hatte schon unter seinem ersten Leiter, Friedrich Gorissen, immerhin fünf Tafeln von Baegert in seinem Bestand.

Guido de Werd, seinem Nachfolger, der erst jüngst Kleve zu einem lange vermissten Beutestück verhalf, gelang es, im Laufe seiner Tätigkeit fünf weitere Tafeln zu erwerben. Und bei Mäzenen dafür Gelder lockerzumachen, die auch für ein Einfamilienhaus gereicht hätten.

Die Investition indes hat sich gelohnt, nicht nur, wenn man weiß, dass derartige Altartafeln mittlerweile pro Stück auch schon mal im Millionenbereich verkauft werden. Sondern auch, weil damit der Grundstein gelegt wurde, für das, was das Museum Kurhaus jetzt bis zum 23. Juni zeigt: Das, was vom Lebenswerk übrig ist.

Immerhin rund 20 weitere Tafeln sind von Leihgebern aus Deutschland und den Niederlanden ins Kurhaus gekommen. Und bei rund 20 weiteren Objekten fand man mehr als eine Notlösung. Eine Kölner Firma hat so genannte Digitalisate erstellt. Laienhaft und unterkomplex ausgedrückt: Farbnachdrucke auf Holz. Die allerdings handwerklich veredelt werden, so dass sie auch einer mehr als flüchtigen Betrachtung standhalten.

Mehr als eine Notlösung also für alle jene Baegert-Werke, bei denen die Anreise von Los Angeles, Stanford, London oder Warschau zu kompliziert gewesen wäre oder die Leihgeber in Sachen Transport und Klimatisierung Auflagen machten, die das Kurhaus Kleve nicht umsetzen kann. So aber feiert Jan Baegert, dessen Nachname sich übrigens mutmaßlich wie der von Humphrey Bogart aussprach, in Kleve zur Osterzeit seine Wiederauferstehung. Dank Valentina „Marlow“ Vlasic.

Vater und Sohn: Hier ein Flügelaltar von Derick Baegert, dem bekannteren Vater von Jan.
Vater und Sohn: Hier ein Flügelaltar von Derick Baegert, dem bekannteren Vater von Jan. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Das eindrucksvollste Stück der Ausstellung, eine Nachbildung des acht Meter breiten und 2,30 Meter hohen Hochaltarbildes aus der Dortmunder Propsteikirche St. Johann Baptist, hat indes der ungleich berühmtere Vater Derick Baegert geschaffen. Das hat Symbolkraft, denn Jan Baegert stand lange Zeit im Schatten seines berühmteren Vaters. Ob zurecht, können die Besucher so in Kleve selbst beurteilen.

Doch was hat uns der Mann an der Wende zur Neuzeit heute noch zu zeigen? „Den Titel Schönheit und Verzückung haben wir bewusst gefällt“, erzählt Frau Vlasic und schwärmt vom seligen Lächeln der Frauenbilder Baegerts, die für sie die Mona Lisa locker in den Schatten stellen.

„Er mochte wohl Blondinen“, sagt sie. Ansonsten aber gilt: „Das Schöne an der mittelalterlichen Kunst ist ja, dass alles eine tiefere Bedeutung hat“, erzählt sie. Die Kirschen, die sich da die Kinder auf Baegerts Bildnis über die Ohren stecken, sie sind allegorisch die Früchte des Himmels. Und der masturbierende Affe in der Ecke zeigt dem christgläubigen Mann, was aus ihm würde, wenn er je auf die Idee käme…

Nun ja, da mag es wohl tun, dass die Verzückung des Mittelalters im Kurhaus einigermaßen drastisch kontrastiert wird mit einem gekreuzigten Frosch aus dem 20. Jahrhundert von Martin Kippenberger. Und wer sich frisch versündigen will, kann das im Kurhaus ebenfalls tun: einige Überschüsse der digitalen Nachdrucke für die Ausstellung können Besucher im Haus selbst zersägen.

Für Valentina Vlasic geht nach der Ausstellung das Puzzlespiel in Sachen Baegert übrigens weiter: In der Vorbereitung erfuhr sie von einem weiteren Baegert-Bruchstück, das irgendwo in Frankreich zuhause ist. Mittlerweile ist klar: Es hängt in einem Museum in Rouen. Und das ausgesägte Teil, es gehört womöglich zu Baegerts Passionsaltar. Sie will ihm nachjagen, das ist Teil ihrer Passion.

„Schönheit und Verzückung – Jan Baegert und die Malerei des Mittelalters“ bis 23. Juni im Museum Kurhaus. Der gleichnamige Katalog, 256 Seiten, ist zum Preis von 39,90 Euro erhältlich. Der chinesische Künstler und Filmemacher Shuchang Xie hat den Prozess der Digitalisierung dokumentiert. Auch dieses Werk ist in der Ausstellung zu sehen. Weitere Infos hier.