An Rhein und Ruhr. Schulministerin Dorothee Feller möchte an Berufskollegs zum neuen Schuljahr digitale Lehre ermöglichen. Das sagen Lehrerverbände und Schulen.

Morgens früh aufstehen, sich fertig machen und mit dem Auto oder Bus zur Schule fahren. Das könnte für einige Schülerinnen und Schüler in NRW bald Geschichte sein – jedenfalls an einigen Tagen. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hatte im vergangenen Jahr nämlich angekündigt, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, um dauerhaft digitale Lehre an Berufskollegs zu ermöglichen.

Je nach Bildungsgang soll bis zu 40 Prozent digitale Lehre ermöglicht werden

Zum neuen Schuljahr 2024/25 soll die Verknüpfung von Präsenz- und Distanzunterricht in synchroner und digitaler Form unter bestimmten Voraussetzungen und einem vorgegebenen rechtlichen Rahmen ermöglicht werden. Nach dem Entwurf der neuen Ausbildungs- und Prüfungsordnung seien je nach Bildungsgang 20 bis 40 Prozent Digitalunterricht denkbar.

Bereits im vergangenen Jahr hatte sich Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) für eine Verknüpfung von Präsenz- und Distanzunterricht an Berufskollegs ausgesprochen.
Bereits im vergangenen Jahr hatte sich Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) für eine Verknüpfung von Präsenz- und Distanzunterricht an Berufskollegs ausgesprochen. © dpa | Rolf Vennenbernd

Das Walter-Eucken-Berufskolleg in Düsseldorf bietet in einigen Bildungsgängen bereits Distanzunterricht an. „In manchen Klassen haben wir 70 Prozent Präsenzlehre und 30 Prozent Distanzunterricht“, so Schulleiterin Heike Joerß. An welche Klassen und Bildungsgänge sich das Angebot richte, müsse individuell beurteilt werden. Einerseits spiele die digitale Ausstattung der Schüler eine entscheidende Rolle. „Zudem bedarf es von den Schülern eine hohe Disziplin.“

Düsseldorfer Schule hat bei ihren kaufmännischen Bildungsgängen gute Erfahrungen mit Distanzlehre gemacht

Die Erfahrungen der Schulleiterin haben gezeigt, dass die Vollzeitschüler besser vor Ort unterrichtet werden. „Bei den kaufmännischen Bildungsgängen bietet sich an einigen Tagen auch eine Distanzlehre an.“ Dafür brauche es an den Schulen aber didaktisch-pädagogische Konzepte. Joerß betont: „Die Lehrer müssen bereit sein, den Unterricht neu zu denken, sonst gelingt die digitale Lehre nicht.“

Andreas Bartsch, Präsident des Nordrhein-Westfälischen Lehrerverbands betont: „Das Angebot des Landes richtet sich in der Regel an erwachsene Schüler. Da passt ein digitales Lehrangebot auch eher ins System.“ Die Schüler seien teilweise nicht jeden Tag in der Schule und hätten zudem weitere Anfahrten.

Dennoch würde die Entscheidung vom Land jetzt nicht bedeuten, dass digitale Lehre am Berufskolleg zum Regelfall wird. Schulen seien laut Bartsch gut beraten, digitale Lehre nicht zum „Dauerbrenner“ zu machen, sondern nur in Ausnahmefällen darauf zurückzugreifen. Denn: Der Unterricht sei in Schulen deutlich lebendiger. „Die Schüler tauschen sich aus, diskutieren miteinander und führen Dialoge“, so Bartsch. Das sei in der digitalen Lehre oftmals anders.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft befürchtet Mehraufwand für die Lehrkräfte an Berufskollegs

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht die Möglichkeit, an Berufskollegs zum neuen Schuljahr vermehrt Distanzunterricht anbieten zu können, als ein zweischneidiges Schwert. „Zum einen kann es für die Schüler mit weiten Anfahrtswegen Erleichterungen schaffen, ebenso gibt es manche Inhalte, die gut digital bearbeitet werden können“, so Ayla Çelik, Vorsitzende der GEW NRW. „Zum anderen bedeute Distanzunterricht aber auch eine besondere Unterrichtsplanung und -gestaltung. Und das könne zu einem deutlichen Mehraufwand für die Lehrkräfte werden.“

In einer gemeinsamen Erklärung äußern die GEW und der DGB auch Bedenken hinsichtlich der digitalen Ausstattung. „Aus unserer Sicht fehlt es an der Verstetigung der digitalen Mittel, was sich dadurch zeigt, dass Schulträger zum Teil nur begrenzt defekte Geräte ersetzen können und neu im Schuldienst eingestellte Kollegen nicht ausgestattet werden.“

Darüber hinaus hätten nicht alle Schüler an Berufskollegs einen Zugang zu „angemessener digitaler Ausstattung“. Der DGB und die GEW sehen daher die Gefahr einer „Chancenungleichheit“. Nicht alle Schüler hätten in ihrer häuslichen Umgebung einen ruhigen Arbeitsplatz oder Zugang zu einer stabilen Internetverbindung.

Zum einen kann es für die Schüler mit weiten Anfahrtswegen Erleichterungen schaffen, ebenso gibt es manche Inhalte, die gut digital bearbeitet werden können. Zum anderen bedeute Distanzunterricht aber auch eine besondere Unterrichtsplanung und -gestaltung. Und das könne zu einem deutlichen Mehraufwand für die Lehrkräfte werden.
Ayla Çelik - Vorsitzende der GEW NRW

Grundsätzlich spreche man sich nicht gegen die Einführung eines regelhaften, anteiligen Distanzunterrichts aus. Doch betonen GEW und DGB, dass diese an „zwingende Voraussetzungen geknüpft sein müssen, die derzeit noch nicht gegeben sind.“

Lehrerverband sieht die Gefahr einer unterschiedlichen Ausbildung und Unterrichtsqualität

Und auch der Verband der Lehrerinnen und Lehrer am Berufskolleg steht dem Vorhaben kritisch gegenüber, denn: Ein spontaner Wechsel zwischen Distanz- und Präsenzformaten sei nicht möglich – insbesondere aufgrund des großen Einzugsbereichs und der entsprechenden Anfahrtszeit, so Pressesprecher Frank Hoppen. „Für Lehrkräfte, die in der Regel in mehreren Klassen und in unterschiedlichen Bildungsgängen an einem Schultag eingesetzt werden, würde dies ein Wechsel der Beschulungsform erfordern, die sich nur aus der Schule heraus realisieren lässt.“

Digitale Lehre bei plötzlichem Unterrichtsausfall

Immer wieder fällt der Unterricht an Schulen durch starken Schneefall, Unwetter oder anderen unvorhergesehenen Vorfällen – wie zuletzt Anfang Februar, wo es an mehreren Duisburger Schulen Bombendrohungen gegeben hat – aus. Können die Schulen in solchen Fällen auf digitale Lehre umstellen?

„Das ist nicht ganz so einfach“, betont Kenneth Rösen, Pressesprecher der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft NRW. Für Lehrkräfte handle es sich an den Tagen nämlich um einen normalen Arbeitstag. „Sie sind häufig in der Schule und organisieren eine Notbetreuung.“ Alle Stunden digital abzudecken, sei daher nicht möglich.

Zudem könne der Unterricht, den Lehrkräfte in Präsenz geplant haben, so auch nicht immer im Digitalen durchgeführt werden. Manches lasse sich gar nicht in Distanzlehre umsetzten, wie Sportunterricht oder Experimente in Chemie und Physik. „Häufig erhalten die Schulen auch erst am Abend die Information, dass sie am nächsten Tag geschlossen bleiben“, so Rösen. Da könne man nicht erwarten, dass die Lehrkräfte noch in ihr Postfach schauen und ihren gesamten Unterricht umplanen.

Auch bestehe die Gefahr einer unterschiedlichen Ausbildung und Unterrichtsqualität, wenn Berufskollegs individuell entscheiden können, ob und wie sie digitale Lehre einführen. „Diese Flexibilität kann zu Diskrepanzen führen, insbesondere bei der Vermittlung digitaler Fertigkeiten“, so Hoppen. Dies birgt die Gefahr einer ungleichen Vorbereitung auf die berufliche Zukunft.

Gänzlich ablehnen wolle man die Idee aber nicht. „Sie kann als fortschrittlich und anpassungsfähig an die sich ändernden Arbeits- und Lernumgebungen betrachtet werden“, betont Hoppe. Die Verknüpfung von Präsenz- und Digitallehre habe zudem zahlreiche Vorteile. „Dazu zählen die Flexibilisierung des Lernens, die Förderung digitaler Kompetenzen und die Vorbereitung der Schüler auf digitale Arbeitswelten.“