Voerde. Die Fleischerei Rühl in Voerde gibt es seit über 80 Jahren. Wie die Betreiber-Familie Problemen trotzt und was den Reiz des Berufs ausmacht.

Viele Metzgerbetriebe am Niederrhein und in ganz Nordrhein-Westfalen haben in den vergangenen Monaten und Jahren für immer ihre Pforten geschlossen. So gibt es in Kleve bald nur noch zwei Metzger, wenn der Hofladen Slütter Ende Februar seinen Betrieb einstellt. „Wir haben Umsatzrückgänge zu verzeichnen und zudem, wie so viele andere Betriebe auch, Probleme, Personal zu finden“, erklärte Firmenchef Dirk Slütter gegenüber der NRZ seine Beweggründe.

In Neukirchen-Vluyn ist bereits Ende Januar für die letzte Traditionsmetzgerei der Stadt, die Fleischerei Linßen, Schluss. Das sind keine Einzelfälle, die Branche ist im Umbruch. Nach Angaben des Fleischerverbands NRW gab es noch vor 20 Jahren deutlich über 2000 Fleischereihandwerksbetriebe im Land, heute sind es etwa 750.

Kreativ sein und neue Wege gehen

Jan Rühl (28), Junior-Chef der Fleischerei Rühl in Voerde, möchte seinen Familienbetrieb, der auf eine über 80-jährige Historie zurückblicken kann, vor diesem Hintergrund für die Zukunft aufstellen, auch mit vegetarischen und veganen Produkten punkten, vor allem aber mit Qualität. „Handwerklich kann man kreativ sein und neue Rezepte entwickeln, wenn die Zeit dafür da ist. Und man lernt, die Lebensmittel wertzuschätzen“, erklärt Rühl den Reiz seines Berufs.

Dass seit einiger Zeit immer mehr Fleischereibetriebe schließen, liege „zu 99 Prozent am Personalmangel, weil das ein Beruf ist, den nicht mehr jeder lernen möchte“, sagt Jan Rühls Mutter Martina. „Wir haben das Glück, dass unser Sohn damals gesagt hat, er will das weitermachen.“

Zum Ende der zehnten Klasse habe Jan Rühl sich entschlossen, im Betrieb seiner Eltern anzufangen. Nach der zweieinhalbjährigen Ausbildung (verkürzt) war er dann ein Jahr lang Geselle, ehe er in Frankfurt den Meister gemacht hat, berichtet Rühl.

Trend zu bewusster Ernährung ist gut

Den Trend, dass immer mehr Menschen auf ihre Ernährung achten, begrüßt er. „Das heißt schon mal, dass sie sich Gedanken darüber machen, was sie essen. Sie laufen nicht blind in Discounter und kaufen irgendwelche Produkte, die sonst wo herkommen. Diejenigen, die sich noch von Fleisch ernähren, sollten darauf achten, wo das Fleisch herkommt und zum Metzger gehen“, sagt Jan Rühl.

Er wolle in diesem Jahr versuchen, auch vegetarische oder vegane Lebensmittel zu produzieren, „aber das ist ohne die ganzen Hilfsstoffe, die die Industrie benutzt, immer etwas schwerer. Da ist viel Tüftelei hinter, wenn man das handwerklich produzieren möchte.“

Für die Zukunft der Fleischerei „möchte ich ganz gerne unseren Catering- und Buffet-Bereich etwas mehr ausbauen“, kündigt der Junior-Chef an. Außerdem werde er einen Koch-Lehrgang absolvieren, „damit ich dieses Handwerk etwas mehr lerne“. Der Standort Voerde soll erhalten und renoviert werden.

Spezialisierung auf regionale Produkte

Die Corona-Zeit sei für die Branche schwierig gewesen, doch während des Lockdowns habe sie einen großen Zuspruch bekommen, fügt Martina Rühl an. Darüber hinaus seien viele Kunden nach dem Lockdown geblieben. „Seit anderthalb bis zwei Jahren haben wir uns spezialisiert, dass wir unsere Produkte regional anbieten. Da legen die Leute unheimlich viel Wert darauf. Man merkt, dass sie weniger Fleisch essen, aber dann wollen sie auch Qualität und sind bereit, dafür mehr Geld zu bezahlen“, erklärt Martina Rühl.

Adalbert Wolf, Landesinnungsmeister des Fleischerverbands NRW, betreibt selbst eine Fleischerei in Wachtberg in der Region Bonn/Rhein-Sieg. Er beobachte, dass auch viele junge Leute den Weg ins Fachgeschäft finden „und das finde ich gut. Die sind auch bereit, mal fünf Kilometer zum nächsten Metzger oder Bäcker zu fahren, dafür dann aber die hochwertige Qualität zu haben.“

Wolf sieht die Branche aber in einer Schieflage, spricht von „überfrachtender Bürokratie“ und einer „viel zu hohen Steuerlast“. Es sei kein Wunder, dass die Kollegen reihenweise aufhören. „Die große Politik muss sich langsam mal Gedanken machen, ob sie den Mittelstand unterstützen oder sehenden Auges den Bach heruntergehen lassen will.“

Branche sucht händeringend nach Auszubildenden

Potenzielle Auszubildende sagten nicht, dass der Beruf schlecht sei, sondern sie würden sich die Aufstiegsmöglichkeiten, Freizeit und Verdienstmöglichkeiten anschauen und dann feststellen: „Das ist alles ganz toll, aber bei dem, was der Markt hergibt, gibt es bessere Sachen“, meint Wolf. Die Vergütung im Fleischerhandwerk beträgt seit diesem Jahr 1000 Euro im ersten Ausbildungsjahr, danach steigt sie auf 1100 und 1250 Euro, wie der Fleischerverband NRW auf seiner Webseite aufzeigt.

Zum Vergleich: Eine Statistik des Bundesinstituts für Berufsbildung zeigt auf, dass der Durchschnittsverdienst in zehn ausgewählten Handwerksberufen im vergangenen Jahr bei 983 Euro lag. An der Spitze sind Zimmerer mit 1264 Euro im Monatsdurchschnitt, am Schluss liegen Friseurinnen und Friseure mit 691 Euro, Bäcker-Azubis verdienten im Schnitt 970 Euro.

Laut Bundesagentur für Arbeit NRW wurden in der vergangenen Bewerbungsperiode (Oktober 2022 bis September 2023) 820 Ausbildungsstellen für Fleischer gemeldet, auf die sich lediglich 71 Personen beworben haben. Bei den Fleischereifachverkäufern ist die Lage noch deutlich verheerender, auf 961 Stellen kamen 30 Bewerber, was 32 Stellen pro Bewerber entspricht.

Viele Stellen wurden aufgrund des Bewerbermangels zurückgezogen

Zum Ende des Untersuchungszeitraums wurden dann noch 109 bzw. 127 unbesetzte Ausbildungsstellen gemeldet. „Wahrscheinlich haben viele Betriebe Angebote zurückgezogen, weil sie gemerkt haben, dass es sich nicht lohnt, oder sie haben Auszubildende über andere Wege gefunden. Die Branche hat ein Image-Problem bei jungen Menschen und muss stark um den Nachwuchs kämpfen“, meint Christoph Löhr von der BA NRW. Ende 2022 (aktuellere Zahlen hat die BA noch nicht) gab es laut Bundesagentur immerhin 747 Auszubildende in 224 Ausbildungsbetrieben.

Dabei habe die Branche viel getan, um Auszubildende zu werben: „Wir haben neue Filme entwickelt, das Image aufpoliert, eine neue Struktur in der Arbeitsweise bekommen. Das Handwerk ist sehr flexibel. Wir haben alles Mögliche getan“, findet Adalbert Wolf.

Martina Rühl schätzt den Kundenkontakt

Martina Rühl wirbt für ihr Handwerk. Das Schönste am Fleischer-Beruf sei der Kundenkontakt, „dass man mit den Kunden quatschen kann, und in unserer Fleischerei auch noch die Arbeitszeiten, weil wir wirklich noch samstags um 14 Uhr zu machen. Dann werden hier aber auch die Bordsteine hochgeklappt.“ Außerdem sei der Betrieb sehr familiär – „man merkt, wenn die Mitarbeitenden schlecht drauf sind – und wir finden für alles eine Lösung“.