An Rhein und Ruhr. Tom Berger forscht an der Universität Bielefeld zum Kameraeinsatz bei der Polizei. Ist die Erwartung falsch, Bodycams würden Gewalt verhindern?
Bei der nordrhein-westfälischen Polizei sind sie im Einsatz, auch immer mehr Städte an Rhein und Ruhr setzen sie bei ihren Ordnungsdiensten ein: Bodycams – also am Körper getragene Kameras. Tom Berger, Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkt Kriminologie an der Universität Bielefeld, forscht zu den Auswirkungen der Bodycams auf die Polizeiarbeit. Mit der NRZ spricht er über den Generalverdacht gegen Bürger, Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte und welche falsche Erwartung der Idee zugrunde liegt, Kameras würden Gewalt verhindern.
Woher kommen die Bodycams eigentlich?
International betrachtet gibt es eine Diskussion um den Einsatz von Bodycams seit Anfang der 2000er-Jahre. Insbesondere in den USA und Großbritannien werden die Kameras seit Langem genutzt. Gerade in den Vereinigten Staaten gab es eine starke Bewegung in der Zivilbevölkerung, auf diese Weise gegen Polizeigewalt vorzugehen. Hier wurden Bodycams als Möglichkeit gesehen, Fehlverhalten von Beamten vorzubeugen und im Zweifelsfall Beweismittel an der Hand zu haben, die Vergehen belegen können. Ein erstes Pilotprojekt in Deutschland fand vor zehn Jahren bei der Polizei in Frankfurt am Main statt.
Polizeibehörden und Ordnungsdienste rüsten seitdem auf, immer mehr Einsatzkräfte sind mit Bodycams ausgestattet in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Welche Vor- und welche Nachteile haben die Kameras?
Zwei Akteure sind relevant, zum einen die Polizei, zum anderen die Zivilgesellschaft. Aus Sicht der Polizeibeamtinnen und -beamten wird als Vorteil ein Deeskalationseffekt angenommen. Potenzielle Angreiferinnen oder Angreifer werden abgeschreckt, möglicherweise brenzlige Situationen eskalieren eben nicht, da eine Kamera im Einsatz ist. Sollte es doch zu einem Übergriffe oder eine Attacke kommen, gibt es dann ja Videoaufnahmen als Beweismaterial. Als Nachteil wird, insbesondere von den Polizeigewerkschaften, eine mögliche Kontrolle durch Vorgesetzte gesehen, die aber eigentlich ausgeschlossen ist, da die Videoaufnahmen für diese Zwecke kaum genutzt werden.
Und aus Sicht der Zivilgesellschaft?
Hier gibt es die Erwartung, dass ein mögliches Fehlverhalten der Beamten aufgezeichnet wird und so zur Aufklärung von Fällen von Polizeigewalt beigetragen werden kann.
Was ist denn dran am Deeskalationseffekt? Verhindern Kameras Attacken auf Polizisten?
Die Studienlage dazu ist nicht eindeutig, teils sogar widersprüchlich. Das liegt auch daran, dass viele deutsche Veröffentlichungen in diesem Feld keinen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Oft basieren die Auswertungen auf Erfahrungsberichten von Polizistinnen und Polizisten. Der Erwartung, dass Attacken durch die Bodycams verhindert werden, liegt ein „Rational-Choice-Ansatz“ zugrunde. Ein Mensch trifft unter den ihm zur Verfügung stehenden Informationen eine rationale, also vernünftige Entscheidung. Dem ist aber oft eben im wahren Leben nicht so. Begegnungen mit Polizei- oder Ordnungskräften finden oft in Stresssituationen statt. Es finden eben nicht immer rationale Überlegungen statt, sondern es geschehen Affekt-Handlungen. Es ist zudem unklar, wie Menschen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss auf die Anwesenheit einer Kamera reagieren. Kann diese unter Umständen vielleicht sogar erst zu einer Aggression führen? Erfahrungen aus den USA können wir auch nicht einfach übernehmen, weil die Zielsetzung der Bodycam eine andere ist.
Die Stadtverwaltung Dinslaken verzichtete darauf, für Ordnungskräfte Bodycams einzuführen. Unter anderem wurde angemerkt, dass die Kräfte ja auch Ansprechpartner für und Bindeglied zu der Bürgerschaft sein sollen und das Tragen der Kameras dem nicht zuträglich sei. Auch wurde von einer trügerischen Sicherheit gesprochen. Eine nachvollziehbare Entscheidung?
Ordnungskräfte nähern sich in ihrem Auftreten, gerade auch was die Ausrüstung betrifft, in den vergangenen Jahren immer mehr den Polizeibeamten an. Das betrifft auch das Thema Bodycams. Dahinter steht ein Misstrauen gegenüber dem Bürger, ein Generalverdacht. Dieser ist aber nicht fundiert. Auch unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist die Entscheidung der Stadt nachvollziehbar.
Videoüberwachung generell stellt ja ein Spannungsfeld dar.
Das Filmen mit einer Bodycam ist ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Darum sollte es enge Grenzen geben. Und wir benötigen mehr Forschung zu den Wirkungen der Bodycams.
Wie gehen Sie also das Forschungsprojekt an?
Unser Ansatz wird es sein, Polizistinnen und Polizisten zu begleiten. Wir wollen dabei unterschiedliche Einsatzgebiete und -anlässe erleben. Wir wollen in Erfahrung bringen, wie die Einstellung gegenüber Kameras ist, verändert sich etwa das Verhalten der Beamten? Zudem: Werden die Videoaufnahmen auch in der polizeilichen Ausbildung eingesetzt? Auch mit den Gewerkschaften wollen wir in den Austausch kommen. Das ist ein Teilbereich des größeren Forschungsprojekts, welches sich insgesamt einer veränderten und größeren Sichtbarkeit von Polizeiarbeit annimmt. Fast jeder Mitbürger kann Videoaufnahmen mit seinem Smartphone von Einsätzen machen und diese über soziale Medien teilen. Polizeipressestellen sind selbst bei Facebook und Co. aktiv, reagieren auf Videos. All das wollen wir mit Kolleginnen und Kollegen in Kanada, Frankreich und Großbritannien bis 2026 beleuchten.