Oberhausen. „Erbärmlich“ findet die Kripo Betrüger, die Oma und Opa am Telefon ums Ersparte bringen. Jetzt sollen die Enkel helfen. Die Polizei zeigt wie.

Bei Anruf: Schock. Das ist das Prinzip, nach dem Betrüger mit immer perfideren Maschen alte Menschen dazu bringen, ihnen ihr Erspartes zu überlassen. Ein wachsendes Problem – weshalb die Polizei nun neue Wege geht, um die Senioren zu schützen: „Nicht mit deiner Oma!“ oder „Nicht mit deinem Opa“, so heißt die Kampagne, von der Kripo Oberhausen erfunden für das ganze Land. Die Idee: Die Enkel helfen gegen den Enkeltrick.

100.000 Euro soll der alte Mann zahlen. Die angebliche Versicherungsvertreterin am Telefon behauptet, mit dem Geld müsse sein Sohn freigekauft werden: Der habe in München eine Frau totgefahren. Woher aber soll der Oberhausener eine so gewaltige Summe nehmen? Unter Schock bietet er seine wertvolle Münzsammlung an, übergibt sie bei einem konspirativen Treffen zwei Unbekannten. Zuhause erst erfährt er: Seinem Sohn geht es gut, die Geschichte ist frei erfunden. Geglaubt hat er sie, weil die Anruferin ihm offenbar Details entlockt hat: Das musste doch alles stimmen?

Betrugsanrufe bei Senioren häufen sich

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    Täter suchen im Telefonbuch nach alten, nicht mehr gebräuchlichen Vornamen

    Der Fall von Anfang August zeigt beispielhaft, wie Kriminelle betagte, oft alleinstehende Menschen unter Druck setzen. „Erbärmlich“, sagt Oberhausens oberster Kriminalbeamter Christian Voßkühler, „wie skrupellos die Betrüger sind.“ Gezielt, das weiß die Polizei seit Jahren, suchen sie im Telefonbuch nach alten, nicht mehr gebräuchlichen Vornamen, befragen die Angerufenen geschickt und offenbar geschult nach Einzelheiten aus ihrem Familienleben, machen ihnen mit wilden Räuberpistolen Angst – und nehmen ihnen häufig viel Geld ab.

    Ihre Geschichten werden dabei immer perfider, wissen die Ermittler. Der verunglückte Sohn, die schreiende Tochter, für die Kautionen gezahlt werden sollen; der Einbrecher, der auch die eigene Adresse auf dem Plan hat; neuerdings die krude Story eines korrupten Bankmitarbeiters, vor dem alles Erspartes in Sicherheit gebracht werden muss – der Schaden ist meist groß: Bundesweit werden laut Polizei fast täglich Werte im hohen fünfstelligen Bereich ergaunert. Groß ist auch die Betroffenheit der Opfer. Viele, weiß Kriminalhauptkommissarin Stefanie Böhringer, in Oberhausen Leiterin des zuständigen Kommissariats 21 (Betrug), gäben alles her, was sie haben, das Erbe ihrer Kinder und Enkel, geraten dadurch in finanzielle Nöte. „Das ist etwas anderes als ein Ebay-Betrug, bei dem es um 50 Euro geht.“

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    Und die Zahlen steigen. In der Kriminalstatistik wird unter „sonstige weitere Betrugsarten“ der Teilbereich der „Straftaten in Verbindung mit Enkeltrick und Schockanrufen“ via Telefon erfasst. Danach wurden für die Statistik des Landeskriminalamts 2021 knapp 7000 Fälle gezählt, 2022 schon 8200 – und das sind nur die, die auch angezeigt wurden. Dabei ist das Dunkelfeld „extrem hoch“, sagt die Polizei: Oft würden die Opfer lieber schweigen. So groß ist die Scham, auf einen Trick hereingefallen zu sein. Den Tätern, sagt Kriminaldirektor Voßkühler, sei „egal, dass ein Häufchen Elend sich hinterher nicht mehr vor die Tür traut“.

    Das aber soll die neue Kampagne künftig verhindern helfen. Es gehört zu den vordringlichen Zielen der Oberhausener Behörde, die beiden am meisten verletzlichen Gruppen zu schützen: die Kinder und die alten Menschen, „denn sie können das nicht selbst“. Sie haben mit Plakaten versucht aufzuklären, mit Radiowerbung, in Oberhausen bekommen alle 75-Jährigen einen Brief. „Am besten sofort auflegen!“, steht darin und: „Auflegen ist nicht unhöflich!“ Allein, sie haben die Erfahrung gemacht, dass die Einsicht nicht lange anhält. Und der Verstand häufig aussetzt, wenn die Angst größer ist.

    Kinder helfen Großeltern: „Den Kriminelle eine kleben“

    Am besten sofort auflegen! Kriminalhauptkommissarin Stefanie Böhringer warnt Senioren vor Betrug.
    Am besten sofort auflegen! Kriminalhauptkommissarin Stefanie Böhringer warnt Senioren vor Betrug. © FUNKE Foto Services | Lars Heidirich

    Genau hier setzt die Polizei nun an: bei den Emotionen. Denn was über Gefühle erarbeitet wird, bleibe länger hängen. Und da kommen die Enkel ins Spiel: Künftig sollen sie zusammen mit Oma und Opa „den Kriminellen eine kleben“ – nämlich ein Sammelalbum füllen, mit Stickern ähnlich denen eines Panini-Hefts. Statt Fußballern aber zeigen die Bildchen Verbrecher, Telefone, falsche Polizisten. 30 solcher Aufkleber gehören ins Heft, dazwischen gibt es Comics, Bilder zum Ausmalen und guten Rat vom Kind an die Großeltern: „Das ist alles gelogen! Du fällst nicht drauf rein!“ Weil der Enkel das sagt, glauben die Macher, werden die Alten es eher behalten, es wertvoll finden, immer wieder ansehen („Das hat mein Enkelchen für mich gemacht“) – und danach handeln.

    Die ersten Oma-Opa-Enkel-Paare sind bereits gefunden, weitere sucht die Polizei gerade an den Grundschulen. Gertrud N. (71) und ihr Enkel Kris sind dabei, weil die Oma selbst schon Opfer wurde, den Siebenjährigen nennt sie liebevoll „meinen kleinen Polizeihelfer“. Und der freut sich schon jetzt: auf den goldenen Sticker, den es zum krönenden Schluss gibt, und eine Urkunde.

    Der zuständige Minister freut sich auch: Herbert Reul (CDU) begleitet die Kampagne, wird das erste Stickeralbum im September persönlich überreichen. Das Oberhausener ist zwar zunächst ein Pilotprojekt, auf drei Jahre angelegt. Duisburg, das ist schon sicher, wird im kommenden Jahr nachziehen, möglicherweise bald das ganze Land. 47 Behörden in NRW könnten in die Kampagne einsteigen, nach den Enkeln sollen auch Jugendliche „ausgebildet“ werden, um für alte Menschen „Polizeihelfer“ zu werden.

    Polizeisprecher: „Die Opfer sind traumatisiert“

    Denn ist trifft immer wieder auch die, die informiert sind, die sagen: „Das passiert mir nicht.“ Und Fahndungserfolge, wenn es erstmal passiert ist, verzeichnet die Polizei eher wenige. 95-Prozent der Hintermänner bei Schockanrufen sitzen im Ausland; seit die Türkei mehrere Callcenter ausgehoben hat, sind sie in andere Länder abgewandert, wo der Staat eine weniger große Hilfe ist. Festnahmen, sagt Oberhausens Polizeisprecher Thomas Litges, der die Kampagne miterfunden hat, helfen den Opfern auch nicht viel: „Sie sind trotzdem traumatisiert.“

    Das Allerbeste also ist, was auch im Sammelalbum auf bald jeder Seite steht: „Leg auf!“ Hauptkommissarin Böhringer weiß warum: „Wenn Leute an Ihr Geld wollen, dann stimmt etwas nicht.“

    Auch im Sammelheft: Ein Comic von Tobi Simon mit dem Titel: „Der falsche Polizist“.
    Auch im Sammelheft: Ein Comic von Tobi Simon mit dem Titel: „Der falsche Polizist“. © Polizei Oberhausen

    >>INFO: NICHT MIT DEINER OMA – NICHT MIT DEINEM OPA

    Hinter dem Hashtag #NMDO (für „Nicht mit Deiner Oma – Nicht mit Deinem Opa“) verbirgt sich die Kampagne der Polizei Oberhausen zum Schutz alter Menschen vor Betrugsmaschen am Telefon.

    Unter nmdo.oberhausen@polizei.nrw.de können Großeltern-Enkelpaare sich direkt bei der Polizei bewerben: Teilnehmer bekommen bei verschiedenen Veranstaltungen gemeinsam mit Kooperationspartnern von Arbeiterwohlfahrt, Stadt oder Sparkasse das Sammelalbum und Stickertüten mit insgesamt 30 Klebebildchen. Weitere Infos auf der Internetseite des Polizeipräsidiums Oberhausen.