Rhein und Ruhr. Was sind Falsch- und Desinformationen und wo liegt der Unterschied zu Fake News? Diese und weitere Fragen beantwortet Stefan Mündges im Gespräch.

Wer am PC oder Handy durchs Internet kurvt, sieht Millionen Nachrichten, Meinungen, Bilder, Videos. Und obwohl wir es vielleicht nicht wollen, beeinflusst dieser mediale Schwall unsere Sicht auf die Dinge dieser Welt. Hinzu kommt, dass das unendlich große Internet auch viel Platz für Lügen und Manipulationen hat. Was Falschinformationen sind und wie man sie erkennt, erklärt Medienexperte Stephan Mündges im Gespräch mit der NRZ. Er zählt zur Geschäftsführung des Instituts für Journalistik an der TU Dortmund.

Was sind eigentlich Falschinformationen?

Mündges: Falschinformation ist alles, was nachweislich ein falsche Tatsachenbehauptungen enthält. Es geht nicht darum, Meinungen abzuwerten. Meinungen sind weder falsch noch richtig. Falschinformationen können aus Versehen in die Welt gesetzt werden, oder das kann mit einer bestimmten Intention und auch mit dem Wissen, dass die Behauptung falsch ist, verbreitet werden. Und da sind wir bei der Abgrenzung zur Desinformation. Desinformation bezeichnet Falschinformationen, die bewusst und gezielt veröffentlicht und verbreitet werden. Das muss auch nicht zwingend komplett falsch sein, sondern kann auch irreführend sein, beispielsweise wenn Zahlen aus einer Statistik aus dem Kontext gerissen werden. Auch manipulative Techniken können als Desinformation klassifiziert werden. In sozialen Netzwerken kann man zum Beispiel Gefällt mir-Angaben kaufen. So wird der falsche Eindruck erweckt, eine bestimmte Äußerung hätte besonders viele Unterstützer.

Stephan Mündges ist Dozent an der TU Dortmund und befasst sich mit Geschäftsführung des Instituts, Koordination German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO).
Stephan Mündges ist Dozent an der TU Dortmund und befasst sich mit Geschäftsführung des Instituts, Koordination German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO). © NRZ | Felix Schmale

Also sind alle Desinformationen Falschinformationen, aber nicht alle Falschinformationen sind Desinformationen?

Wenn man Desinformation auf einer Inhaltsebene klassifiziert, dann ist das so. Ich würde Desinformation aber immer noch breiter fassen, denn digitale Kommunikationsplattformen bieten viele Möglichkeiten für böswillige Akteure, bestimmte Eindrücke zu erwecken oder Mehrheiten auch vorzutäuschen. Da ist dann die Abgrenzung zur Meinung nicht mehr wichtig. Wenn jemand meint, man sollte Wladimir Putin in Deutschland als Kanzler einsetzen, dann ist das von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wenn dafür aber gezielt Gefällt mir-Angaben gekauft werden, um den Eindruck zu erwecken, viele andere würden diese Meinung teilen, dann sind wir da auch schon bei Desinformation.

Wie bewerten Sie den Begriff „Fake News“?

Der Begriff ist zu einem Kampfbegriff geworden, den wir vermeiden. Mit dem Erscheinen von Donald Trump auf der politischen Bühne kam der Begriff auf, als gesagt wurde, dass Trump Fake News verbreitet. Er hat dann kommunikativ geschickt diesen Begriff okkupiert und angewendet auf redaktionelle Medien. Der Begriff ist für die Analyse unbrauchbar und in der breiten Öffentlichkeit auch schwierig besetzt.

Welche Rolle spielen Falschinformationen, die in sozialen Netzwerken geteilt werden?

Diese Plattformen ermöglichen sowohl unbewusst in die Welt gesetzten Falschinformationen als auch gezielten Desinformationskampagnen eine Bühne, auf der sie verbreitet werden können und auf der sie auch Widerhall finden. Die Mechanismen, nach denen die Plattformen funktionieren, ermöglichen erst diese weite Verbreitung. Denn ein Beitrag, mit dem viel interagiert wird, wird vielen angezeigt. Natürlich ergreifen die Plattformbetreiber auch Gegenmaßnahmen. Die machen zumindest auf dem Papier relativ viel. Wie durchschlagend das wirklich ist, ist eine andere Frage.

Wie sehen die Gegenmaßnahmen aus?

Wir haben eine Menge an Informationen, die auf den Plattformen veröffentlicht werden und kursieren und die kaum beherrschbar sind. Zumindest nicht, wenn man den Wahrheitsgehalt von Behauptungen prüfen muss. Das kann bislang nicht automatisiert oder teilautomatisiert erledigt werden. Deswegen ist es sinnvoll zu gucken, welche Behauptungen große Verbreitung finden, und wo man Anhaltspunkte hat, das zu prüfen, um zu sehen, ob es stimmt oder nicht. Dafür kooperieren Google, Facebook und TikTok mit unabhängigen Faktencheckern. Außerdem haben die großen Plattformen Sicherheits-Teams, die nach koordinierten Desinformationskampagnen Ausschau halten. Eine Vorab-Kontrolle aller Postings wäre eine weitere Möglichkeit. Aber das wäre kaum realistisch und auch nicht wünschenswert. Wir wollen Plattformen, auf denen eine möglichst große Meinungs- und Informationsfreiheit gilt. Das ist immer eine schwierige Abwägung, da man das nie über Gebühr einschränken sollte.

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Bei der Plattform „X“, ehemals Twitter, hat sich da einiges verändert seit Elon Musk das Ruder übernommen hat.

Ja, Twitter ist mittlerweile eine sehr dysfunktionale Plattform, auf der Akteure, die überhaupt nicht an der Wahrheit interessiert sind, posten können, was sie wollen. Und das völlig sanktionsfrei. Auffällig ist, dass das vor allem für Akteure gilt, die offensichtlich der politischen Neigung des neuen Eigentümers entsprechen. Rein betriebswirtschaftlich verstehe ich nicht, was das soll. Denn die Plattform lebt von Werbeeinnahmen. Für Werbetreibende ist diese Plattform aber einfach nicht mehr geeignet. Twitter hat sich sehr stark verändert zum Schlechten.

Was bedeutet die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) für die Bekämpfung von Falschnachrichten?

Es gibt überspitzt formuliert zwei verschiedene Lager in der Debatte. Die einen sagen, das werde nicht so schlimm, die anderen sagen, das werde der Weltuntergang. Ich halte weder das eine noch das andere für treffend. Aber ich sehe durchaus die negativen Aspekte, weil die Möglichkeit, das Netz mit Müll zu fluten, riesig ist. Früher musste irgendjemand Kommentare in Facebook tippen. Das kann man bald einfacher haben. Andere sagen, man KI nutzen, um Falsch- und Desinformationen zu erkennen. Das ist zum Teil richtig. Aber gerade, wenn es um Sprache geht, sind die Systeme noch nicht ausgereift. Ich glaube, das wird ein großes Problem und ich weiß nicht, wie man das lösen kann.

Haben Sie Ratschläge dafür, wie man Falschnachrichten erkennt?

Am wichtigsten ist es, kurz durchzuatmen, bevor man auf irgendwas klickt oder einen Kommentar schreibt. Desinformationskampagnen nutzen häufig psychologische Mechanismen, dass wir, wenn wir von einer bestimmten Meinung überzeugt sind, Behauptungen und Postings sofort glauben. Da sollte man sich fragen: Kann das überhaupt stimmen? Soll das, was ich da lese, eine bestimmte emotionale Reaktion in mir hervorrufen? Wenn man sich dann unsicher ist, ob etwas stimmt, kann man prüfen, ob es dazu schon einen Faktencheck gibt. Die gleichen oder ähnliche Falschbehauptungen werden immer wieder von neuen Leuten verbreitet. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die Arbeit von unabhängigen Faktencheckern. Bei der Informationsbeschaffung sollte man auch auf Qualitätsmedien zurückzugreifen. Also höre ich jetzt eine anonyme Sprachnachricht, die mir irgendjemand weitergeleitet hat, oder ist das ein Artikel, von einem Medienunternehmen mit gutem Ruf? Das sollte man bei der Mediennutzung beachten. Und was noch hilft: einfach ein bisschen weniger in sozialen Netzwerken unterwegs zu sein. Das ist manchmal für die Psyche auch gar nicht so verkehrt.