Münster. Die Niederlande stehen vor Neuwahlen. Rechtspopulisten hoffen auf ihre Chance. Warum sie in den letzten Jahrzehnten so gut Fuß fassen konnten.
Es ist keine neue, doch immer noch aktuelle Bestandsaufnahme: Rechtspopulismus und Extremismus werden zunehmend zur Gefahr für demokratische Gesellschaften. Janka Wagner, Wissenschaftlerin an der Uni Münster und Mitherausgeberin des Sammelband „Die Zukunft der Demokratie in Deutschland und den Niederlanden“, erklärt, vor welchen Herausforderungen beide Länder stehen, was Jugend- und Bildungsarbeit bewirken können und wie das Klima politischer Frustrationen und Vertrauensverlust für die anstehenden Neuwahlen im Nachbarland bedeuten.
Frau Wagner, was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Publikation?
Wir haben versucht, den Ist-Zustand zu umschreiben und auf die Herausforderungen und Chancen zu schauen. Wir haben vor allem auch mit jungen Menschen gesprochen, die in den Niederlanden und in Deutschland in der Politik und in der Bildungsarbeit tätig sind. Eine Erkenntnis: Es liegen natürlich große Gefahren für die Demokratie im Populismus und im Wandel der Mediengesellschaft hin zu sozialen Netzwerken – aber auch große Chancen in Bildung und Medienkompetenz, um Populismus vorzugreifen. Das gilt für die Niederlande wie für Deutschland.
Wie steht es denn genau um die Demokratie in beiden Ländern?
Es gibt durchaus Unterschiede und Gemeinsamkeiten: In beiden Ländern ist Rechtspopulismus ein wachsendes Problem, aber in den Niederlanden hat diese Entwicklung früher eingesetzt, um die Jahrtausendwende. Es ist interessant, dass es deutliche Parallelen gibt, die aber zeitversetzt stattfinden.
Woran liegt das?
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Die Gründe dafür sind natürlich vielschichtig. Das schnelle Erstarken des niederländischen Populismus ist aber sicherlich auch eine Folge der niederländischen Migrationspolitik. Multikulturalität galt lange als Erfolgsrezept: Menschen aus anderen Ländern wurden als Arbeitskräfte ins Land geholt, sich dann aber weitgehend selbst überlassen, ohne dass die Politik über Integration und politische Teilhabe dieser Menschen nachdachte. Populisten griffen dies dankbar auf und schürten die Angst vor dem Fremden, dem Islam und dem Verlust der eigenen Identität. Ein weiterer Grund ist, dass es in den Niederlanden keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, wodurch kleine populistische Parteien schneller ins Parlament einziehen können und schneller große Aufmerksamkeit und politische Teilhabe erlangen.
Ist das rechtspopulistische Spektrum in den Niederlanden also stärker ausgeprägt als in Deutschland?
Im Nachbarland ist die Politiklandschaft mit aktuell insgesamt 16 Parteien im Parlament deutlich zersplitterter. Da ist man viel stärker auf Konsens angewiesen, um politische Mehrheiten zu finden und regierungsfähig zu sein. Tendenziell wählen die meisten Niederländer und Niederländerinnen mitte-rechts, öfters als in Deutschland.
Warum ist das so?
In Deutschland gibt es an dieser Stelle noch größere Vorbehalte, weil die Gesellschaft die Schuldfrage und Erinnerungen an das Nazi-Regime noch mitträgt. In den Niederlanden spielt Pragmatismus eine größere Rolle, liberale und rechtsliberale Ideale haben eine viel stärkere Akzeptanz als in Deutschland. Es gibt auch ein viel breiteres Spektrum an liberalen Parteien, von rechtsliberal bis sozialliberal.
Ist auch das politische Klima populistischer und rauer?
Kürzlich gab Finanzministerin Sigrid Kaag bekannt, dass sie sich wegen Bedrohungen im privaten Umfeld aus der Politik zurückzieht. Auch der bekannte Rechtspopulist Geert Wilders hatte sie als Hexe bezeichnet. Der Tenor in den Debatten ist schon polemischer, als man es in Deutschland gewohnt ist. Das hat auch damit zu tun, dass populistische Parteien wie erwähnt länger Teil des politischen Diskurses sind. So konnte bei solchen Äußerungen ein Stück weit ein Gewöhnungseffekt eintreten. Ich hoffe zumindest, dass es im Bundestag unvorstellbar bleibt, eine Abgeordnete als Hexe oder ähnliches zu diffamieren.
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Die niederländische Regierung ist kürzlich zerbrochen. Hat Premier Rutte so den Weg frei gemacht für Parteien, die weiter rechts stehen wie etwa die Bauern-Bürger-Bewegung (BBB)? Sie gewann bereits die letzten Provinzwahlen.
So gesehen hat Mark Rutte der BBB schon einen Bärendienst erwiesen, seiner eigenen Partei sowieso. Wie die bisherigen Kabinette unter Ruttes Führung zeigen, hatte er sowohl nach rechts wie links die Flanken offen und war ein geschickter Verhandlungspartner. Es kann natürlich sein, dass sich Ruttes VVD nun selbst stärker rechts positionieren wird. Schließlich ist die Koalition an der Migrationsfrage zerbrochen und Rutte wurde vorgeworfen, dass sein Kurs in der Vergangenheit nicht streng genug gewesen sei. Wie sehr die BBB durch die Neuwahlen profitieren wird, ist natürlich die große Frage. Sie könnte wie bei den Provinzwahlen im März möglicherweise wieder stärkste Kraft werden.
Kann die erstmals gemeinsame linke Liste der niederländischen Sozialdemokraten und Grünen wirklich als „Bollwerk“ gegen Rechts dienen?
Die Idee ist natürlich, durch den Schulterschluss mehr Wirkungsmacht zu erzeugen und mehr Sitze im Parlament zu gewinnen. Wie das dann bei den Wahlen ausgeht, ist spekulativ.
Hat Links in den Niederlanden überhaupt große Chancen?
Linke und grüne Strömungen gibt es wie in Deutschland natürlich auch. Bevor Rutte sein Ausscheiden angekündigt hat, hätte ich aber auch gedacht, dass es linke Parteien schwer haben. Jetzt, wo Ruttes Partei aber ohne ihn als ikonische Figur auskommen muss, ist wieder alles offen. Fast alle Parteiführer treten nicht wieder an – das macht die anstehenden Neuwahlen so spannend. Der Wahlkampf beginnt erst.