Krefeld-Uerdingen. Mehr, schneller, besser: Siemens baut 90 statt 73 neue ICEs und ist trotzdem früher fertig: Zwei Züge jeden Monat heißt das Ziel.
Spötter würden sagen: Bald baut Siemens die ICEs schneller als sie für eine Fahrt quer durchs Land brauchen: In Kürze wird das Siemens-Werk in Krefeld Uerdingen alle zwei Tage einen ICE-Waggon auf die Schienen stellen, bislang dauerte das drei Tage. Und bei acht Wagen pro Zug macht das - grob gerechnet: Zwei komplett neue Züge jeden Monat.
So pflügt sich der altehrwürdige Waggonbauer in Uerdingen durch die Bestellliste der Deutschen Bahn, die 90 brandneue Züge vom Typ ICE3Neo bestellt hat. Jetzt, wo die DB auch die letzte Kaufoption gezogen hat, wird Zug Nummer 90 der neuesten Generation im August 2028 das Werk verlassen.
Züge auch für den Niederrhein: Amsterdam - Oberhausen
Rollen werden die neuen Paradepferde der DB vor allem auf den Rennstrecken von der Ruhr über Frankfurt oder Stuttgart nach München. Auch die Route von Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen nach Amsterdam wird neu bestückt. Die Züge werden gerade in Belgien und den Niederlanden getestet, um die Zulassung für Nachbarländer zu bekommen. Was die neuen ICEs nicht können: via Belgien nach Frankreich fahren. „Das Verfahren ist sehr aufwendig“, so Michael Peterson, Vorstand DB Fernverkehr. Es gebe aber durchaus Optionen für weitere Länder.
Die Schnelligkeit der Züge beschränkt sich nicht auf die Herstellung: 320 km/h sind künftig auch mit dem Fahrrad möglich: Erstmals wird ein derart fixer ICE mit Bike-Stellplätzen ausgestattet. Wie die Züge innen aussehen, ist übrigens weitgehend flexibel. Siemens kann oberhalb des Teppichbodens jederzeit auf Kundenwünsche reagieren - und die Kunden kommen aus aller Welt genauso wie aus der Region.
So werden die jüngsten ICE3Neo anders aussehen als die ersten zehn, die bereits zwischen Dortmund und dem Rhein-Main-Gebiet rollen. Zu erkennen sind sie am dezenten grauen Rahmen um die Waggontüren. Und daran, dass sie nicht ausfallen, so Fernverkehrschef Peterson: „Es gab keine Kinderkrankheiten.“ Er weiß: „Wenn dieser Zug nicht pünktlich kommt, liegt es nicht am Zug. Wir fahren auf Infrastruktur, die zu alt, zu voll und zu kaputt ist.“
Eigene Tabletleiste und je eine Armlehne in der ersten Klasse
Das Lob für die Züge wird Siemens-Chef Michael Peter (CEO Nobility) an die rund 2000 Mitarbeiter des Uerdinger Werks weitergeben. Zwei von ihnen bestuhlen gerade einen Wagen des ICEs. Eine Sitzbank, so schätzen die beiden Siemens-Mitarbeiter, die sie gerade behutsam im Waggon platzieren, wiegt knapp 30 Kilo. Dennoch sollen die Sitze, bezogen von Stoffen mit 80 Prozent Wollanteil bequemen Reisekomfort bieten. 900 Testpersonen durften probesitzen, auf den blauen Sitzen für die zweite Klasse genauso wie auf dem „warmen Grau“ der Erste-Klasse-Bestuhlung.
In der Rückenlehne des Vordersitzes befindet sich für alle Fahrgäste eine eigene Tabletleiste fürs Smartphone, oberhalb des herausklappbaren Tischchens. Auch die Fenster sind neu: sie lassen mehr Mobilfunk durch. Und in diesem Zusammenhang nicht unwichtig: ein kleines, stoffbezogenes Brettchen verschließt die Lücke zwischen den Lehnen. So kann der neugierige Fahrgast in der Reihe dahinter nicht zwischen den Sitzen hindurch lünkern, was Vorderfrau oder -mann auf dem Bildschirm hat.
Apropos Intimität: Wer gern etwas enger zusammensitzt, ist mit der Zweiten Klasse besser bedient. Dort, wo in der ersten Klasse zwei Armlehnen den Kampf der Ellbogen befrieden und eine hölzerne Ablage fürs Smartphone sitzt, ist in der Zweiten Klasse ein Pölsterchen.
Und so kann man dann ganz nach Wahl seiner Partnerin oder seinem Partner ins Ohr wispern: „Schatz, wusstest du übrigens, dass in jedem dieser Züge 40.000 Teile von 200 Lieferanten verbaut sind und er von 18 Kilometern Schweißnähten zusammengehalten wird? Und selbst mit Höchstgeschwindigkeit würde es eine ganze Stunde dauern, bis dieser ICE alle seine Kabel einmal entlang gefahren wäre.“ Tja, wenn bei ihm oder ihr damit nicht anzubahnen ist, hilft nur noch der Weg in den Speisewagen.