Krefeld. Seit 125 Jahren werden in Krefeld-Uerdingen Schienenfahrzeuge gefertigt. Die Großmanns sind mittendrin – der ICE ist Familienangelegenheit.
Der Rhein-Ruhr-Express (RRX), der im Ruhrgebiet und Rheinland auf Jahrzehnte das Rückgrat des Regionalverkehrs bilden wird, rollt von hier aus los. Die Vorzeigezüge der Deutschen Bahn, ICE 4 und ICE 3neo, stammen ebenso von hier. Und an den Pyramiden in Ägypten, wo ein 2000 Kilometer langes Hochgeschwindigkeitsnetz entstehen soll, sausen bald ebenfalls Schienenfahrzeuge vorbei – hergestellt in Krefeld. Seit 125 Jahren werden im Stadtteil Uerdingen Züge und Waggons produziert – aktuell sind 2000 Beschäftigte bei „Siemens Mobility“, einem Tochterunternehmen des Weltkonzerns Siemens, tätig.
Thema am Mittagstisch
Mittendrin ist Familie Großmann, neben Vater Hans-Jörg und Tochter Aileen sind noch weitere vier Mitglieder am Standort in Krefeld tätig. „Ich war der erste, später ist mein Bruder dazugekommen“, erzählt Hans-Jörg Großmann, der inzwischen auch die nächste Generation – etwa zwei seiner Neffen, im Unternehmen begrüßen konnte.
„Wenn wir uns am Sonntag bei meiner Mutter zum Mittagessen treffen, dann geht es natürlich oft um Züge, das ist ja ein großer Bestandteil unseres Alltags“, gibt der gelernte Kfz-Mechatroniker einen Einblick ins Familienleben. „Das wird dem einen oder anderen manchmal schon etwas zu viel“, verrät der gebürtig aus Kamp-Lintfort stammende 58-Jährige mit einem Lächeln im Gesicht. „Dann wechseln wir das Thema, über Politik kann man ja auch reden.“
Unter anderem Tochter Aileen Großmann trägt das „Zug-Gen“ in sich. Nach der 10. Klasse startete die heute 24-Jährige eine Ausbildung zur Industriemechanikerin, erarbeitete sich in der Abendschule den Abschluss als Industriemeisterin. „Aktuell bin ich im Bereich der Qualitätssicherung tätig.“
Ärger über Verspätungen
Für ihren Vater ist Qualität ebenfalls ein großes Thema. „Wenn Züge zu spät kommen oder ausfallen liegt es nicht an uns.“ Baustellen auf Bahnstrecken oder Personalengpässe bei Lokführerinnen und -führern würden ihn genauso ärgern wie jeden anderen Pendler auch. „Wenn ich aber auf längeren Strecken unterwegs bin, genieße ich die Ruhe in den Zügen.“
Anja Buchholz-Stieglitz versucht beim Bahnfahren berufliche Aspekte auszublenden und nicht zu genau hinzuschauen, wie etwa die Konkurrenz bestimmte Dinge löst. Die Dinslakenerin ist Fachfrau für Klebetechniken, seit 20 Jahren im Betrieb, promovierte an der RWTH Aachen. In gewisser Weise fährt ihre Expertise in jedem RRX und vielen ICEs mit. „Die Front- oder Seitenscheiben werden etwa verklebt, ebenso die Bodenbeläge, damit sie dicht für Flüssigkeiten sind“, erklärt die Expertin. „Das ist aber alles Teamarbeit.“
Trotz starker Automatisierung ist Zugbau immer noch auch viel Handarbeit, wie Werksleiter Sabri Esslimani ausführt. Das wird beim Rundgang über das Werksgelände mit seinen mehreren Hallen und rund 74.000 Quadratmeter Produktionsfläche, mitten im Uerdinger-Gewerbegebiet gelegen, deutlich. Teile werden gefräst und geklebt, Arbeiterinnen und Arbeiter mit Atemschutzgeräten setzen Schweißgeräte an die Aluminium-Außenhaut der Züge in Rohform an.
Es ist teilweise laut, manchmal etwas stickig, oft auch wuselig, wenn die verschiedenen Gewerke im Akkord beispielsweise am neuen Zug für den Franken-Thüringen-Express (verkehrt zwischen Nürnberg und Sachsen) hantieren. „Es gibt Bereiche, an die Roboter einfach nicht herankommen.“ Esslimani hebt die Anstrengungen zur Ressourcenschonung hervor. „98 Prozent des Aluminiums, das bei der Fertigung abfällt, wird wiederverwendet.“
Stolz ist er auch auf den Zusammenhalt untereinander, das Klima im Werk stimme. „Im Schnitt reden wir von einer Betriebszugehörigkeit von 29 Jahren.“ Das könne sich sehen lassen.
17 bis 18 Schichten pro Woche
Wie sehen die Zukunftsaussichten des Krefelder Standorts aus? Ziemlich rosig, wenn man den Worten von Finanzchef (offiziell „CFO“) Marko Feulner glauben darf. Neue Milliarden-Aufträge, nicht nur die Deutsche Bahn sondern neuerdings auch der ägyptische Staat setzen auf Siemens-Züge aus Uerdingen, sorgen für eine hohe Auslastung. In 17 bis 18 Schichten pro Woche wird gearbeitet. „Das theoretische Maximum wären 19 Schichten, wir brauchen aber auch einen Puffer für Wartungsarbeiten“, so Marko Feulner.
Möglichkeiten, die Produktionsflächen zu erweitern, gäbe es leider nicht. Die Örtlichkeiten im Gewerbegebiet seien zu beschränkt. „Darum versuchen wir die Produktivität auf der bestehenden Fläche zu steigern. Und das gelingt uns schon ganz gut.“
Fachkräftemangel sei für die Siemens-Tochter kein akutes Problem. Das Unternehmen habe weithin einen guten Ruf, Bewerbungen gebe es ausreichend. 125 Auszubildende zählt das Trainingszentrum in Krefeld pro Jahr, 65 bis 75 davon seien später auch vor Ort eingesetzt, die anderen zieht es etwa in die Fertigung ins bayrische Erlangen.
Am Standort Krefeld werden auch die Züge mit Wasserstoff- oder Batterieantrieb, der Mireo Plus H und der Mireo Plus B, gebaut. Gute Aussichten also auch für die nächsten 125 Jahre.
Am 16. März 1898 wurde die Waggon-Fabrik A.G., Uerdingen, gegründet, richtig los ging der Betrieb mit rund 300 Beschäftigten ein Jahr später – der erste jemals gefertigte Waggon war für die Preußische Staatsbahn bestimmt. Die erste überlieferte Zusammenarbeit mit Siemens gab es bereits 1901, damals wurde in Uerdingen ein Motorwagen in Auftrag gegeben. 1989 übernahm die Siemens AG die Aktienmehrheit des inzwischen als „Duewag AG“ agierenden Konzerns, seit 1999 ist das Unternehmen eine hundertprozentige Tochter des Weltkonzerns aus München. Milliardenschwere Projekte, etwa der Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes in Ägypten oder weitere ICEs für die Deutsche Bahn, sorgen für geringe Zukunftssorgen.