Köln. Ein Foul hat den Prozess gegen Thomas Drach gestoppt: der Prozess wegen der Geldtransporter-Überfälle läuft schon ein Jahr. Was bisher geschah.
Wo ist der Videoschiedsrichter, wenn man ihn mal wirklich braucht? Thomas Drach, gern beschrieben als Deutschlands gefährlichster Schwerverbrecher, wurde gefoult. Beim Fußballspielen mit den Mitinsassen im Hafthaus 4 im Kölner Gefängnis. Mit den so genannten „schweren Jungs“. „Extreme Schmerzsymptomatik“ und eine Prellung des Brustkorbs haben die beiden Anstaltsärztinnen dem 62-Jährigen attestiert. Nach Angaben seiner Anwälte hat ihn ein Gegenspieler angesprungen und mit dem Knie erwischt. Bis zum 5. Februar ist, so das Attest, er nicht transport- und verhandlungsfähig. Damit zieht sich der seit dem 1. Februar 2022 laufende Drach-Prozess weiter in die Länge.
Bis sich die Nachricht vom mutmaßlichen Foulspiel an Drach, das sich bereits am vergangenen Freitag ereignet haben soll, bis zum Vorsitzenden Richter der 21. großen Strafkammer, Jörg Michael Bern, herumsprach, war es bereits Sonntag. Er veranlasste die anstaltsärztliche Untersuchung, deren Ergebnis aber erst vorlag, als sich die Schicksalsgemeinschaft des Drach-Prozesses an diesem Montagmorgen im Saal 112 des Kölner Landgerichtsgebäudes versammelt hatte.
Es ist der 54. Verhandlungstag mittlerweile. Ungefähr einmal in der Woche also sperrt die Polizei Straßen rings um das Gerichtsgebäude, wird meist der Hubschrauber bemüht, um den Reemtsma-Entführer von der Haftanstalt Ossendorf ins Gerichtsgebäude zu fahren. Heute immerhin sind sie nicht ganz umsonst gekommen – zeitgleich findet ein weiterer Hochsicherheitsprozess statt: Im Stockwerk drüber wird gegen einen Juwelenräuber verhandelt, der ebenfalls mit äußerster Brutalität vorging.
Überfälle mit einer Kalaschnikow
53 Verhandlungstage waren vor Jahresfrist einmal angesetzt worden, als die Hauptverhandlung gegen Thomas Drach und seinen mutmaßlichen Komplizen, einen 54-jährigen Niederländer, begann. Den beiden werden mehrere brutale Überfälle auf Geldtransporter in und um Köln zur Last gelegt: versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, schwerer Raub und – weil er eine Kalaschnikow eingesetzt haben soll – Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz werden Drach zur Last gelegt.
Die 53 Verhandlungstage - im Schnitt also gerade mal, wegen Corona, Krankheit und Ferien, einer pro Woche. Nun aber hat die 21. Große Strafkammer unter Richter Jörg-Michael Bern hat bereits weitere Termine bis in den Juni hinein festgelegt. In dieser Woche kann – wegen des gefoulten Hauptangeklagten – nicht mehr verhandelt werden. Danach regiert in Köln das Dreigestirn und die Polizei wird mutmaßlich anderes zu tun haben, als immer wieder die Zufahrten und Zugänge zum Landgericht abzuriegeln, um Thomas Drach einzufliegen.
Also soll es erst am Aschermittwoch weitergehen - wie immer morgens um 9.15 Uhr. Es wird im Rheinland nicht viele Menschen geben, die an diesem Tag so richtig verhandlungsfähig sind. Richter Bern hingegen hat über das Jahr hinweg einen äußerst nüchternen Eindruck hinterlassen. Noch ist zumindest seine Große Strafkammer komplett besetzt: Zwei Ergänzungsschöffen waren von Beginn an nominiert, für den Fall, dass einer der beiden ehrenamtlichen Richter ausfällt. Ab jetzt gibt es nur noch eine Ergänzungsschöffin, so Richter Bern: der zweite Schöffe auf der Reservebank ist langfristig erkrankt. Das teilt er den Anwesenden noch mit. Dann schließt er die Verhandlung nach kaum 15 Minuten. Aber er bittet noch die niederländische Dolmetscherin um Hilfe, geht mit ihr nach hinten in den Saal und erklärt den beiden Zeugen, die eigens an diesem Morgen für ihre Aussage aus Amsterdam angereist sind, dass sie wohl noch einmal wiederkommen müssen.
Forensiker aus Essen legt Gutachten vor
Danach, also vermutlich Ende Februar, soll der Essener Forensiker Stephan Roloff-Stachel sein Gutachten vortragen. Von ihm wird mutmaßlich abhängen, ob im Falle eines Schuldspruchs für Drach die lebenslange Sicherungsverfahren festgestellt wird. Roloff-Stachel kennt die Akten und den Angeklagten von den Verhandlungen. Gespräche mit dem Gutachter hat Drach abgelehnt. So wie er ohnehin die meiste Zeit schweigt. Nur am ersten Tag hat er der Staatsanwältin „Urkundenfälschung“ vorgeworfen, lässt manchmal krude Verschwörungstheorien von sich hören, dass der ganze Prozess Reemtsmas Rache sei: Drach war wegen der Entführung des Zigaretten-Erben und Millionärs Jan-Philipp Reemtsma im Jahre 1996 zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, die Strafe saß er zwischen 2001 und 2013 ab.
Bislang ist er mit dieser Auffassung alleine. Aber es ist anzunehmen, dass da von Seiten der Verteidigung ja noch einiges kommen an Beweisanträgen. Zumal sich vor allem der Anwalt des Mitangeklagten, Wolfgang Heer, öfter mal mit Prozessdetails aufhält. Bundesweit bekannt geworden ist er mit dieser Taktik, als er die NSU-Terroristin Beate Zschäpe verteidigte.
Indizien und Gutachten werden wohl entscheiden
Zudem ist das Verfahren vor dem Kölner Landgericht bisher ein Indizienprozess. Beide Angeklagten schweigen, die Zeugen können wenig Erhellendes beitragen, einer bezweifelt gar, dass es Drach war, der ihn überfallen hat. Unscharfe Bilder von Überwachungskameras dokumentieren die Überfälle. Ein Video-Sachverständiger hat entnervt hingeschmissen, es drohten Befangenheitsanträge seitens der Verteidigung. Eine neue Gutachterin ist eingesprungen, hält es für hoch wahrscheinlich, dass die Bilder Drach zeigen, genauso wie ein Professor für Biomechanik, der das Gangbild des Täters mit dem von Drach verglich.
Dazu gibt es eine belastende Zeugenaussage eines Mitgefangenen, dem Drach immerhin drei der vier Überfälle gestanden haben soll. Allerdings: der Mitgefangenen hat sich durch seine Kooperation ein mildes Urteil in eigener Sache – Drogendealerei – verschafft in einem Prozess vor dem Landgericht Kleve. Der dortige Richter räumte ein: „Das hat Bonuspunkte gegeben“. Wie glaubwürdig ist das alles? Darüber – wenn denn der jetzige Fahrplan so stehen bleiben kann, wird das Landgericht Köln im Juni urteilen.