An Rhein und Ruhr. Senioren über 60 Jahre waren in den vergangenen drei Jahren bei 38.000 Unfällen Hauptverursacher. Was ein Fahrlehrer mit Älteren im Auto erlebt.

Es war kurz vor Silvester, als ein 84-jähriger, wohl desorientierter Mann mit seinem Auto mehrere Stufen einer Treppe in Hürth heruntergefahren ist. Im Januar war ein 82-Jähriger nachmittags in Hagen unterwegs, als er von der Fahrbahn abkam, durch den Gegenverkehr fuhr und nur knapp einen Baum verfehlte. Im November verletzte ein 84-jähriger Autofahrer in Düsseldorf am Rande des Weihnachtsmarktes mehrere Passanten. Solche Unfälle, verursacht durch Seniorinnen und Senioren, lösen immer wieder Debatten über Führerscheinentzug oder verpflichtende Fahrprüfungen aus. Ab Mittwoch diskutieren Fachleute beim Verkehrsgerichtstag in Goslar unter anderem darüber, ob es eine Meldepflicht von fahrungeeigneten Personen durch Ärzte geben sollte.

Rund 38.600 Senioren über 60 Jahren sind in den Jahren 2020 bis 2022 in Nordrhein-Westfalen als Hauptverursacher von Verkehrsunfällen erfasst worden, gibt die Landesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion an. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum galten hingegen rund 124.000 Personen im Alter zwischen 20 und 59 Jahren als Hauptunfallverursacher, wie aus einer Tabelle des Landesstatistikamtes IT NRW für die NRZ hervorgeht.

Entsprechend zurückhalten sind Automobilverbände, wenn es um den verpflichtende Maßnahmen für autofahrende Seniorinnen und Senioren geht.

ADAC lehnt verpflichtende Prüfungen ab

„Uns als ADAC geht es nicht darum, von Senioren verursachte Unfälle kleinzureden oder die Augen zu verschließen, wenn jemand nicht mehr fahrtauglich ist, sondern respektvoll auch mit älteren Fahrerinnen und Fahrern umzugehen“, sagt Thomas Müther, Sprecher des Allgemeinden Deutschen Automobilclubs (ADAC) Nordrhein. „Seniorinnen und Senioren sind nicht pauschal ein Sicherheitsrisiko und sie sind auch nicht per se die schlechteren Autofahrerinnen und Autofahrer.“

Daher hält der Lobbyverband gesetzlich verpflichtende Fahreignungsprüfungen für Senioren nicht für verhältnismäßig. Entscheidend für eine unfallfreie Teilnahme am Straßenverkehr sei nicht das Lebensalter, sondern der Gesundheitszustand des Fahrers und die erworbene Fahrroutine.

Der ADAC plädiert dafür, dass sich Autofahrer freiwillig und regelmäßig ärztlich untersuchen lassen, an Fahr-Fitness-Checks teilnehmen und das eigene Fahrverhalten kritisch reflektieren.

Kostenloses Sicherheitstraining

Im vergangenen Jahr sind die Fahr-Fitness-Checks nach Auskunft des ADAC Nordrhein 300-mal in Anspruch genommen worden.

Neben diesen Fitness-Checks gibt es auch Fahrsicherheitstrainings. Die ADAC Nordrhein Stiftung bietet aktuell autofahrenden Senioren über 70 Jahre die kostenlose Teilnahme an einem halbtägigen Fahrtraining an. Interessierte können per Mail an info@stiftung-adac-nordrhein.de oder unter 0221 - 47 27 465 einen kostenlosen Gutschein anfordern. Anschließend kann der Kurs bei den ADAC Fahrsicherheitszentren in Grevenbroich oder Weilerswist gebucht werden. Der Gutschein für das halbtägige Fahrtraining ist bis zum 30. November 2023 einlösbar. Die Teilnehmer üben das Bremsen, Ausweichen und Durchfahren von Engstellen.

Dirk Loechert bietet in seiner Fahrschule Black in Düsseldorf solche Fitness-Checks an. Das Angebot spricht sich allmählich rum, inzwischen fährt er vier- bis fünfmal pro Monat auf dem Beifahrersitz bei einem Senior mit. Die Senioren bringen ihre eigenen Pkw zu diesem Training mit. Denn die betagten Fahrschülerinnern und Fahrschüler sollen in ihrem gewohnten Umfeld, also im eigenen Wagen und auf den ihnen bekannten Straßen, geschult werden.

Vollbremsung auf der Landstraße

Für den Fahrlehrer aber bedeutet das: Er hat keine doppelte Steuerung, kann also schlecht eingreifen, wenn es einmal ernst werden sollte.

Angst aber hat Fahrlehrer Dirk Loechert noch nie gehabt – anders als seine Frau, die Fahrunterricht in Mönchengladbach gibt. Sie musste bereits erleben, dass ein Fahrer auf einer Landstraße dermaßen von der Sonne geblendet worden ist, dass er eine Vollbremsung hinlegte. Solche Erfahrungen hat Dirk Loechert noch nicht gemacht. „Mein ältester Fahrer war 96 Jahre. Und der ist top gefahren“, sagt er.

Überhaupt mag er diese Art Unterricht. „Es ist einfach mal etwas anderes, eine andere Klientel“, sagt Dirk Loechert. Hier gehe es nicht darum, Menschen auf die Prüfung vorzubereiten, sondern darum, das Fahrverhalten zu analysieren und Tipps zu geben. „Die Menschen haben so viel zu erzählen. Ich erfahre Dinge über Düsseldorf, die habe ich noch nie gehört“, sagt er.

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Ein solcher Fitness-Check dauert rund 90 Minuten. In der ersten Hälfte steht ein wenig Theorie an, es wird darüber gesprochen, welche Verkehrsregeln sich verändert haben. Dann geht es auf die Straße.

Richtig dicke Verstöße beobachtet Loechert kaum. Da wird mal nicht korrekt am Stoppschild gehalten oder auf den Schulterblick beim Abbiegen verzichtet. „Aber dafür haben sie vorher schon fünfmal in den Rückspiegel geschaut und die Situation beobachtet“, schildert er Eindrücke aus der Praxis.

Wer ein solches Training – für ADAC-Mitglieder kostet es 75 Euro, für Nichtmitglieder 95 Euro – absolviert hat, bekommt eine Urkunde. „Einer war ganz stolz und wollte sie sich ins Wohnzimmer hängen“, sagt Loechert. Manch Senior hat bereits angekündigt, diesen Test beizeiten zu wiederholen. Das freut Loechert, doch er weiß auch: Es ist ein freiwilliges Angebot, das Menschen nutzen, die bereits selbst oder durch Familie und Freunde für ihre Fahrweise sensibilisiert sind.

„Diejenigen, die hier eigentlich sitzen müssten, sitzen hier nicht“.